Nordwest-Zeitung

Als die Räder laufen lernten

0817 erfand Karl Drais die „Laufmaschi­ne“

- VON VOLKER HASENAUER

Der Siegeszug des Fahrrads wäre ohne Drais nicht möglich gewesen – und ohne einen Vulkanausb­ruch auf den 9hili::inen.

MANNHEIM – Zwei hölzerne Räder in einer Spur, verbunden durch einen Eschenholz­rahmen mit Lenkstange und Ledersatte­l: Vor 200 Jahren erfand der Mannheimer Tüftler Karl Drais die „Laufmaschi­ne“, den Urtyp des Fahrrads. Am 12. Juni 1817 führte seine Premierenf­ahrt von der Mannheimer Innenstadt bis zur Schwetzing­er Postpferde­station und retour. Der Beginn des Zweiradpri­nzips, ohne das der Siegeszug des Fahrrads nicht möglich gewesen wäre. Und auch dank der Vorarbeite­n von Drais konnte wenige Jahrzehnte später der erste praxistaug­liche Motorwagen durch Mannheim rollen: erfunden von Carl Benz. Doch statt Ruhm und Ehre erntete Drais bei seinen Zeitgenoss­en vor allem Spott und Unverständ­nis. Viel zu instabil, nutzlos und zu teuer sei das „hölzerne Pferd“, lauteten die Urteile. Nur in London und Paris gab es für wenige Jahre eine kurze Draisinen-Begeisteru­ng. In England wurden sogar Wettrennen ausgefahre­n. Nach kleineren Unfällen erteilten dann mehrere Städte den Laufmaschi­nen Fahrverbot­e. Drais erlebte den Siegeszug seiner Erfindung nicht mehr. „Erst nach seinem Tod verbreitet­en sich die Idee der Laufmaschi­nen, die dann rasch zu den ersten mit Pedalen und Ketten angetriebe­nen Fahrrädern weiterentw­ickelt wurden“, sagt Thomas Kosche vom baden-württember­gischen Technikmus­eum „Technoseum“.

Entscheide­nd für den Durchbruch war die Entwicklun­g des Luftreifen­s durch John Dunlop 1888, der das Fahrradfah­ren komfortabl­er und sicherer machte. Die frühen drahtbesch­lagenen Räder hießen nicht ohne Grund „Knochensch­üttler“.

Drais-Biograf Hans-Erhard Lessing verweist auf die geniale Weitsicht des aus niederem Beamtenade­l stammenden Drais: Die von ihm vor 200 Jahren gewählte Reifengröß­e gilt bis heute als Standard. Er entwarf einen klappbaren Fahrradstä­nder, und das Prinzip der vom Lenker aus zu bedienende­n Hinterradb­remse überstand die Jahrhunder­te. Indes streiten Experten darüber, ob die um 1817 währende Hungerkris­e entscheide­nden Anteil an der Erfindung des Zweirads hatte. Der 1815 auf den Philippine­n ausgebroch­ene Vulkan Tabora hatte solch gewaltige Aschemenge­n in die Atmosphäre geschleude­rt, dass es in Europa zu einem Jahr ohne Sommer und damit zu katastroph­alen Missernten kam. In deren Folge, so die Überlegung Lessings, seien viele Pferde gestorben, weil schlicht nicht genügend Futter vorhanden gewesen sei. Und inmitten dieser Krise habe Drais nach alternativ­en Mobilitäts­konzepten gesucht. Den Beginn vom Abschied vom Pferd als wichtigste­m Mobilitäts­faktor kann man rückblicke­nd auf das Jahr 1817 datieren – auch wenn sich Carl Benz noch einige Jahrzehnte nach Drais für seine ersten Motorwagen ohne Pferde verspotten lassen musste. Benz selbst soll Drais als Visionär geschätzt haben.

2017 jedenfalls wird Drais nun groß gefeiert. Die Sonderauss­tellung im Mannheimer Technoseum spannt den Bogen von den ersten Laufmaschi­nen bis zu modernen Designerrä­dern und E-Bikes. Ein Musical feiert den genialen Erfinder. Wer mag, kann die Originalro­ute der ersten Draisinenf­ahrt bei einer Zweirad-Stadtführu­ng nachradeln – auch wenn weder das Drais’sche Geburtshau­s noch die Postpferde­station erhalten blieben.

Ein neuer Roman erzählt vom unsteten Leben des Karl Drais, der außer dem Laufrad eine Schreibmas­chine und einen besonders energieeff­izienten Holzofen erfand. Im Juli gibt das Bundesfina­nzminister­ium eine silberpoli­erte 20Euro-Gedenkmünz­e heraus: Sie erinnert an seine wichtigste Erfindung und zeigt, wie Karl Drais mit eleganten Schritten auf seiner Laufmaschi­ne dahingleit­et.

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Laufrad.
BILD: DPA Eleganter Schritt: Die historisch­e Darstellun­g zeigt Karl Friedrich Freiherr von Drais von Sauerbronn auf dem von ihm erfundenen Laufrad.

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