Nordwest-Zeitung

An Realität vorbei

- VON ULRICH SCHÖNBORN

Oatürlich will ich wissen, aus was die Lebensmitt­el bestehen, die ich esse und trinke. Mir ist es aber noch nie passiert, dass ich versehentl­ich Kokosmilch statt Kuhmilch kaufe.

Apropos Kokosmilch: Diese Bezeichnun­g gibt es schon viel länger als die Wettbewerb­shüter der Europäisch­en Union. Und niemand ist bisher auf die Idee gekommen, dass hier Milch gleich Milch ist.

Das aktuelle Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs zur Benennung von Lebensmitt­eln macht Verbrauche­r dümmer als sie sind – und hinkt der Zeit hinterher. Vegetarisc­he und vegane Ernährung ist längst Alltag. Dahinter stecken in der Regel keine materielle­n Zwänge wie einst, als es den Braten nur sonntags gab. Es geht vielmehr um eine sehr bewusste Entscheidu­ng für einen Lebensstil.

Die Gefahr, dass ein Vegetarier tierische mit pflanzlich­en Produkten verwechsel­t, nur weil die Begriffe „Milch“oder „Wurst“auf der Verpackung stehen, ist also gering. Und trügerisch ist die Hoffnung der Hersteller tierischer Produkte, dass es ihre Position im immer schwierige­r werdenden Wettbewerb stärkt, wenn man diese Begriffe vor dem Zugriff der Vermarkter vegetarisc­her oder veganer Lebensmitt­el schützt.

Wenn es den Verbrauche­rschützern in Brüssel wirklich um das Wohl der Menschen geht, sollten sie an einer anderen Stelle ansetzen. Zwar gibt es inzwischen ellenlange Vorschrift­en zur Kennzeichn­ung von Inhaltssto­ffen in Lebensmitt­eln. Doch mal ehrlich: Verstehen Sie das Kleingedru­ckte auf Ihrer Tofu- oder Leberwurst­verpackung? Das chemische Kauderwels­ch ist etwas von Experten für Experten und alles andere als verbrauche­rfreundlic­h.

Wichtiger als der Streit, ob Wurst nur dann Wurst sein darf, wenn sie aus tierischem Fleisch besteht, ist die Frage, was in dem Produkt alles verwurstet wurde. Mehr verbrauche­rnahe Transparen­z würde übrigens auch verhindern, dass Menschen im guten Glauben an eine gesunde Ernährung vegane Lebensmitt­el essen, die mit fragwürdig­en industriel­l hergestell­ten Zutaten produziert werden. Es kommt auf den Inhalt an, nicht auf die Verpackung.

@ Den Autor erreichen Sie unter Schönborn@infoautor.de

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