Commissario Brunetti taucht ab
Neues von Bestseller-Autorin Donna Leon – Korruptes System Venedigs
Donna Leon: „Stille Wasser“, Diogenes Verlag, Zürich, 352 Seiten, 24 Euro. ZARICH – Es ist unerträglich heiß in Venedig. Und unerträglich findet Guido Brunetti auch den Mann, den er in der Nuestura wegen eines ungeklärten Todesfalls befragen muss. Denn er ist reich, einflussreich und unglaublich arrogant. Doch der Commissario beherrscht sich, denn er ahnt, dass seinem Vorgesetzten nicht wirklich an einer Aufklärung gelegen ist.
Sein junger Kollege Pucetti allerdings ist hitziger. Doch bevor dieser etwas Unbesonnenes tut, simuliert Brunetti einen Schwächeanfall – mit weitreichenden Folgen. Brunetti wird ins Krankenhaus gebracht und bekommt wegen Erschöpfung eine Auszeit verordnet. Damit beginnt Donna Leons neuer Roman „Stille Wasser“.
Die Ouvertüre hat eigentlich nichts mit dem 26. Fall des beliebten Polizisten zu tun, wenn sie auch ein Schlaglicht auf die Arbeitsweise der italienischen Behörden wirft, was wiederum umso mehr für jene Vorkommnisse gilt, in die Brunetti später hineinschlittert. Alles beginnt mit dem Aufenthalt des Commissarios in einer Villa auf einer kleinen Insel in der Lagune. Hier soll er sich erholen. Denn Brunetti merkt, dass seine Batterien tatsächlich aufgeladen werden müssen.
Der Verwalter jenes Hauses war ein Freund seines verstorbenen Vaters, und Brunetti findet sofort einen Draht zu ihm. Der wortkarge Davide hat eine Vorliebe: Bienen, die er weit draußen in der Lagune
züchtet. Täglich rudert er raus, um nach ihnen zu sehen, denn auch seine weit abgelegenen Stöcke werden vom weltweiten Bienensterben nicht verschont. Brunetti darf mit und erfährt bei diesen Ausflügen eine Menge über die Natur. Hier draußen ist das Lagunenwasser zumindest äußerlich noch sauber – ganz anders als direkt in Venedig. Es ist eine gute Zeit für Brunetti, der sich beim Rudern und Schwimmen täglich so verausgabt, dass er abends oft über seinem geliebten Plinius (d. Älteren) einschläft.
Doch die Idylle endet schlagartig, als Davide die Touren fürs Wochenende absagt und spurlos verschwindet. Klar, dass Brunetti nicht
locker lässt und seinen Freund sucht. Er holt sich Hilfe bei Kollegen aus der Nuestura. Die guten alten Bekannten Vianello und auch Griffoni sind mit von der Partie, als sie auf Unglaubliches stoßen. Doch wie damit umgehen? Was dann geschieht, ist typisch Leon. Ruckartig zieht sie den lockeren Spannungsbogen straff – fürs Erste.
Danach geht es wieder gemächlicher zu, und der Leser wundert sich durchaus, dass Brunetti so eine lange Leitung hat. Das Besondere an den Romanen der gebürtigen Amerikanerin ist: Ihre beziehungsweise Brunettis Fälle sind zwar oft alltägliche Polizeiarbeit, aber doch auch häufig nichts anderes als
Symptome eines korrupten Systems, das die ganz großen Verbrechen ermöglicht und vertuscht – was natürlich nicht auf Venedig (oder Italien) beschränkt ist.
Doch die zunehmende Verschmutzung der Lagune trifft die 74-jährige Wahl-Venezianerin natürlich ins Mark. Wie in jedem ihrer Bücher gibt es also auch hier wieder ein aktuelles Schwerpunktthema. Und dieses Mal ist es eben die Profitgier und/oder persönliches Interesse zulasten der Umwelt. So steckt auch „Stille Wasser“voller kaum verbrämter Kritik, was gut ist. Und gut zu lesen, ist dieser Leon-Roman, in dem der BrunettiClan dieses Mal nur rudimentär auftritt, allemal.