Wenn nur das nackte Überleben zählt
„Herz auf Eis“von Isabelle Autissier – Nominiert für Prix Goncourt
Isabelle Autissier: „Herz auf Eis“, übersetzt von Kirsten Gleinig, mare Verlag, Hamburg, 224 Seiten, 22 Euro. HAMBURG – Diese Lektüre ist eine Extremerfahrung. Was werbend auf Buchumschlägen steht, entspricht erfahrungsgemäß selten der Wahrheit. In diesem Fall aber ist der Satz fast eine Untertreibung. Der Roman „Herz auf Eis“von der Französin Isabelle Autissier, nominiert für den prestigeträchtigen Prix Goncourt, beschreibt eine existenzielle Grenzsituation, von der zu lesen einen mitnimmt – durchaus im körperlichen Sinne.
Dabei ist die Geschichte zunächst nur eine Robinsonade wie andere auch. Louise und Ludovic – ein junges verliebtes Pärchen, das dem Pariser Alltag entfliehen will – nehmen sich ein Sabbatjahr und umsegeln die Welt. Alles prima, bis sie einen Ausflug auf eine unbewohnte Insel vor Kap Hoorn unternehmen.
Eigentlich ist das Betreten verboten, da sie unter Naturschutz steht. Was soll’s! Der leichtsinnige Ludovic wischt Bedenken beiseite, auch als dunkle Gewitterwolken aufziehen. Es kommt wie erwartet: Ein Sturm reißt ihre Jacht und damit jegliche Außenverbindung mit sich fort. Notdürftigen Schutz in der InselTdnis bieten die Ruinen einer verlassenen Walfang-Station. Bevölkert ist das strauch- und baumlose Eiland nur von Pinguinen und Seelöwen.
Kälte, Hunger: Die beiden modernen Großstädter kämpfen ums nackte Überleben. Zunächst halten die beiden noch zivilisatorische Rituale ein, etwa tägliches Waschen oder das Instandsetzen ihres maroden Unterschlupfes. Doch mehr und mehr verlieren sie die Nerven, geraten in ihrer Hilflosigkeit aneinander und weisen sich gegenseitig die Schuld an ihrer Misere zu. Haben sie sich erst noch verzweifelt aneinandergeklammert, gehen sie nun mit Fäusten aufeinander los. Was als Liebe beginnt, endet in Hass – bis der stärkere Lebenswille siegt. Der 60jährigen Schriftstellerin, die 1991 als erste Frau allein die Welt umsegelte, ist ein außerordentlicher Psychothriller gelungen. Die Lektüre raubt einem nicht nur den Atem, sondern nebenbei auch ein paar Illusionen. Liebe? Menschlichkeit? Alles nichts, wenn es darum geht, die eigene Haut zu retten.