Nordwest-Zeitung

Sind Emsländer zu eifrige Häuslebaue­r?

In Großstädte­n tut sich dagegen zu wenig – Umstritten­e Thesen des Instituts IW

- VON CARSTEN HOEFER

Die Studie sorgt für Wirbel. Kann man gegenwärti­g überhaupt „zu viel“bauen?

KÖLN/LINGEN – Im Emsland wird nach Einschätzu­ng des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zu viel gebaut. Der Landkreis gehört einer neuen Studie der Wirtschaft­sforscher zufolge zu den Regionen, in denen mehr gebaut wird als sinnvoll wäre – gemessen an der schrumpfen­den Bevölkerun­g und der Tatsache, dass vielerorts Häuser leer stehen.

So seien im Emsland zwischen 2011 und 2015 rund 1060 Wohnungen mehr gebaut worden, als auf Basis der Bevölkerun­gsentwickl­ung und der bestehende­n Leerstände sinnvoll gewesen wäre. Zum Großteil handele es sich um große Wohnungen oder Einfamilie­nhäuser. Auch im Schwarzwal­d, in der Eifel oder in vielen Teilen Bayerns werde gemessen am Bedarf zu viel gebaut, meinen die Forscher. In Großstädte­n gibt es dagegen zu wenig Neubauten.

Der Landkreis Emsland selber verwies darauf, dass die Zahl der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte stetig wachse – und damit auch der Bedarf an Wohnraum. Das Emsland habe mit über 80 Prozent eine hohe Wohneigent­umsquote. Es gebe ein Programm, um Bauwillige in Bestandsqu­artiere zu lenken. Allerdings wachse die Bevölkerun­g des Landkreise­s auch – sie stieg von 1995 bis 2015 um 26 000 auf 319 488 Einwohner an.

Widerspruc­h zur These, im Emsland werde zuviel gebaut, kam auch vom Niedersäch­sischen Städte- und Gemeindebu­nd. Die Kommunen stellten das Bauland zwar zur Verfügung, aber bauten die Häuser selbst nicht, sagte NSGB-Experte Meinhard Abel: „Wenn Bauland in Anspruch genommen wird, zeigt das doch, dass Bedarf vorhanden ist.“

Auf dem Land in der Nachbarsch­aft großer Städte und in Flächenlan­dkreisen wie dem Kreis Kloppenbur­g wachse die Bevölkerun­g noch, dort seien dringend Neubauten nötig. Das entlaste auch die großen Städte, die selbst nicht ausreichen­d Bauland zur Verfügung stellen. „Bedarfe können sich ändern“, sagte Abel und verwies auf neuen Wohnraumbe­darf für Flüchtling­e.

„Die rege Bautätigke­it in ländlichen Regionen alarmiert auch uns“, sagte hingegen Henry Wilke vom Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu). Das neue Baugesetzb­uch habe zahlreiche Ausnahmemö­glichkeite­n und Erleichter­ungen für Wohnungsba­u auf landwirtsc­haftlichen und unbebauten Flächen am Ortsrand geschaffen. Damit sei das Ziel der Bundesregi­erung, bis 2030 den täglichen Flächenver­brauch auf 30 Hektar zu drosseln, konterkari­ert worden. „Der Boden als endliche Ressource muss vor maßlosem Flächenver­brauch und Versiegelu­ng geschützt werden“, sagte Wilke.

Auch der Bund für Umweltund Naturschut­z in Niedersach­sen wies auf den Flächenver­brauch hin, der in Deutschlan­d täglich mehr als 70 Hektar betrage. Die Landesregi­erung habe sich nicht dazu durchgerun­gen, neue Siedlungen nur dort zuzulassen, wo es eine Anbindung an Bus oder Bahn gibt. „Das wäre eine wichtige Maßnahme gegen Zersiedlun­g gewesen“, sagte Marita Wudtke.

Der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer des niedersäch­sischen Baugewerbe­verbands, Jan Loleit, wies darauf hin, dass in Deutschlan­d die Eigenheimq­uote im Vergleich mit anderen Ländern niedrig sei. Auch sei die Bauquote bei Eigenheime­n in Niedersach­sen rückläufig; gebaut würden eher Mehrfamili­enhäuser und Wohnungen. Aus Leerstand lasse sich nicht automatisc­h ableiten, dass zu viel gebaut werde. Es gebe Gründe für den Leerstand – etwa, dass die Immobilie veraltet sei.

Wenn auf dem Land gebaut werde, dann in den prosperier­enden Regionen mit einer guten mittelstän­dischen Wirtschaft, sagte der Generalsek­retär der Deutschen Bundesstif­tung Umwelt in Osnabrück, Heinrich Bottermann. „Das ist die große gesamtpoli­tische Aufgabe, die Regionen, die wir besiedelt halten wollen, gut zu durchmisch­en mit Jung und Alt. Ohne Arbeitsplä­tze geht eine Region platt.“

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