Sind Emsländer zu eifrige Häuslebauer?
In Großstädten tut sich dagegen zu wenig – Umstrittene Thesen des Instituts IW
Die Studie sorgt für Wirbel. Kann man gegenwärtig überhaupt „zu viel“bauen?
KÖLN/LINGEN – Im Emsland wird nach Einschätzung des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zu viel gebaut. Der Landkreis gehört einer neuen Studie der Wirtschaftsforscher zufolge zu den Regionen, in denen mehr gebaut wird als sinnvoll wäre – gemessen an der schrumpfenden Bevölkerung und der Tatsache, dass vielerorts Häuser leer stehen.
So seien im Emsland zwischen 2011 und 2015 rund 1060 Wohnungen mehr gebaut worden, als auf Basis der Bevölkerungsentwicklung und der bestehenden Leerstände sinnvoll gewesen wäre. Zum Großteil handele es sich um große Wohnungen oder Einfamilienhäuser. Auch im Schwarzwald, in der Eifel oder in vielen Teilen Bayerns werde gemessen am Bedarf zu viel gebaut, meinen die Forscher. In Großstädten gibt es dagegen zu wenig Neubauten.
Der Landkreis Emsland selber verwies darauf, dass die Zahl der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte stetig wachse – und damit auch der Bedarf an Wohnraum. Das Emsland habe mit über 80 Prozent eine hohe Wohneigentumsquote. Es gebe ein Programm, um Bauwillige in Bestandsquartiere zu lenken. Allerdings wachse die Bevölkerung des Landkreises auch – sie stieg von 1995 bis 2015 um 26 000 auf 319 488 Einwohner an.
Widerspruch zur These, im Emsland werde zuviel gebaut, kam auch vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. Die Kommunen stellten das Bauland zwar zur Verfügung, aber bauten die Häuser selbst nicht, sagte NSGB-Experte Meinhard Abel: „Wenn Bauland in Anspruch genommen wird, zeigt das doch, dass Bedarf vorhanden ist.“
Auf dem Land in der Nachbarschaft großer Städte und in Flächenlandkreisen wie dem Kreis Kloppenburg wachse die Bevölkerung noch, dort seien dringend Neubauten nötig. Das entlaste auch die großen Städte, die selbst nicht ausreichend Bauland zur Verfügung stellen. „Bedarfe können sich ändern“, sagte Abel und verwies auf neuen Wohnraumbedarf für Flüchtlinge.
„Die rege Bautätigkeit in ländlichen Regionen alarmiert auch uns“, sagte hingegen Henry Wilke vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Das neue Baugesetzbuch habe zahlreiche Ausnahmemöglichkeiten und Erleichterungen für Wohnungsbau auf landwirtschaftlichen und unbebauten Flächen am Ortsrand geschaffen. Damit sei das Ziel der Bundesregierung, bis 2030 den täglichen Flächenverbrauch auf 30 Hektar zu drosseln, konterkariert worden. „Der Boden als endliche Ressource muss vor maßlosem Flächenverbrauch und Versiegelung geschützt werden“, sagte Wilke.
Auch der Bund für Umweltund Naturschutz in Niedersachsen wies auf den Flächenverbrauch hin, der in Deutschland täglich mehr als 70 Hektar betrage. Die Landesregierung habe sich nicht dazu durchgerungen, neue Siedlungen nur dort zuzulassen, wo es eine Anbindung an Bus oder Bahn gibt. „Das wäre eine wichtige Maßnahme gegen Zersiedlung gewesen“, sagte Marita Wudtke.
Der stellvertretende Geschäftsführer des niedersächsischen Baugewerbeverbands, Jan Loleit, wies darauf hin, dass in Deutschland die Eigenheimquote im Vergleich mit anderen Ländern niedrig sei. Auch sei die Bauquote bei Eigenheimen in Niedersachsen rückläufig; gebaut würden eher Mehrfamilienhäuser und Wohnungen. Aus Leerstand lasse sich nicht automatisch ableiten, dass zu viel gebaut werde. Es gebe Gründe für den Leerstand – etwa, dass die Immobilie veraltet sei.
Wenn auf dem Land gebaut werde, dann in den prosperierenden Regionen mit einer guten mittelständischen Wirtschaft, sagte der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Osnabrück, Heinrich Bottermann. „Das ist die große gesamtpolitische Aufgabe, die Regionen, die wir besiedelt halten wollen, gut zu durchmischen mit Jung und Alt. Ohne Arbeitsplätze geht eine Region platt.“