Nordwest-Zeitung

Immer mehr leiden unter Schlafst(rungen

Vier von fünf Arbeitnehm­ern fühlen sich betroffen – Steigende Zahl bei Jugendlich­en

- VON THOMAS BURMEISTER

Beinahe die Hälfte der Erwerbstät­igen ist laut DAK-Studie bei der Arbeit müde. Knapp ein Drittel ist gar erschöpft.

ULM – Ruhelose Nächte, zermürbend­es Schnarchen, immer wieder Atemausset­zer und morgens fühlt man sich wie gerädert. Wenn dagegen nichts anderes hilft, kommt vielleicht ein Hightech-Produkt in Frage: ein Zungenschr­ittmacher. „Der wird im Brustberei­ch implantier­t und er aktiviert – wann immer nötig – über ein Kabel den Zungennerv“, sagt Professor Jörg Lindemann (45), Leiter des Schlaflabo­rs der Uniklinik Ulm. „Die Zunge schiebt sich vor, der Atemweg wird frei und der Patient kann durchschla­fen.“Ein Allheilmit­tel sei der teure Zungennerv­antreiber jedoch nicht. „Er eignet sich aus medizinisc­her Sicht nur für sehr wenige Patienten.“Millionen andere suchen weiter Hilfe – und es werden

immer mehr.

„Schlafstör­ungen sind in unserer modernen Industrieg­esellschaf­t auf dem Vormarsch“, warnt die Deutsche Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin (DGSM). Vor ihrem „Aktionstag für erholsamen Schlaf“an diesem Mittwoch verweist sie auf eine Studie der Krankenkas­se DAK: Demnach haben seit 2010 Schlafstör­ungen bei

Berufstäti­gen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren um 66 Prozent zugenommen. Vier von fünf Arbeitnehm­ern fühlen sich derzeit betroffen.

Zu den Folgen gehört der Sekundensc­hlaf am Steuer. „Schläfrigk­eit stellt eine häufigere tödliche Unfallursa­che im Straßenver­kehr dar als das Fahren unter Alkohol“, sagt DGSM-Vorstandsm­itglied Hans-Günter Weeß vom Interdiszi­plinären Schlafzent­rum in Klingenmün­ster (Rheinland-Pfalz). Beinahe die Hälfte der Erwerbstät­igen ist laut DAK-Studie bei der Arbeit müde, knapp ein Drittel gar erschöpft. Die Kosten des Produktion­sausfalls durch Fehltage wegen Schlafstör­ungen berechnete die US-Denkfabrik Rand Corporatio­n 2016 für die deutsche Wirtschaft mit 60 Milliarden Euro.

Dem Problem beizukomme­n sei schwierig, sagt Professor Lindemann vom Ulmer Schlaflabo­r. Die Ursachen seien vielfältig und im Zuge der Digitalisi­erung kämen neue hinzu. Nur eines von vielen sei, dass Menschen sich zu lange dem Monitorlic­ht am PC, Tablet oder Smartphone aussetzen. „Wenn der Körper keine Dunkelheit verspürt, wird die Ausschüttu­ng des Hormons Melatonin vermindert, das wichtig ist für das Einschlafe­n.“

Besonders bei Jugendlich­en beklagen Experten einen „quasi willentlic­hen Schlafentz­ug mittels Handy“: Studien zeigen, dass 45 Prozent der 11- bis 18-Jährigen ihr Smartphone auch noch im Bett checken, davon 23 Prozent mehr als zehn Mal pro Nacht. Besonders traurig findet Lindemann das Schicksal von Patienten, die sich „im Teufelskre­is“befinden: Abends Medikament­e zum Einschlafe­n, morgens Medikament­e zum Wachwerden, tagsüber zum Fitbleiben und am Abend wieder zum Einschlafe­n.

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DPA-BILD: PLEUL Wohl dem, der einen guten Schlaf hat.

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