Immer mehr leiden unter Schlafst(rungen
Vier von fünf Arbeitnehmern fühlen sich betroffen – Steigende Zahl bei Jugendlichen
Beinahe die Hälfte der Erwerbstätigen ist laut DAK-Studie bei der Arbeit müde. Knapp ein Drittel ist gar erschöpft.
ULM – Ruhelose Nächte, zermürbendes Schnarchen, immer wieder Atemaussetzer und morgens fühlt man sich wie gerädert. Wenn dagegen nichts anderes hilft, kommt vielleicht ein Hightech-Produkt in Frage: ein Zungenschrittmacher. „Der wird im Brustbereich implantiert und er aktiviert – wann immer nötig – über ein Kabel den Zungennerv“, sagt Professor Jörg Lindemann (45), Leiter des Schlaflabors der Uniklinik Ulm. „Die Zunge schiebt sich vor, der Atemweg wird frei und der Patient kann durchschlafen.“Ein Allheilmittel sei der teure Zungennervantreiber jedoch nicht. „Er eignet sich aus medizinischer Sicht nur für sehr wenige Patienten.“Millionen andere suchen weiter Hilfe – und es werden
immer mehr.
„Schlafstörungen sind in unserer modernen Industriegesellschaft auf dem Vormarsch“, warnt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Vor ihrem „Aktionstag für erholsamen Schlaf“an diesem Mittwoch verweist sie auf eine Studie der Krankenkasse DAK: Demnach haben seit 2010 Schlafstörungen bei
Berufstätigen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren um 66 Prozent zugenommen. Vier von fünf Arbeitnehmern fühlen sich derzeit betroffen.
Zu den Folgen gehört der Sekundenschlaf am Steuer. „Schläfrigkeit stellt eine häufigere tödliche Unfallursache im Straßenverkehr dar als das Fahren unter Alkohol“, sagt DGSM-Vorstandsmitglied Hans-Günter Weeß vom Interdisziplinären Schlafzentrum in Klingenmünster (Rheinland-Pfalz). Beinahe die Hälfte der Erwerbstätigen ist laut DAK-Studie bei der Arbeit müde, knapp ein Drittel gar erschöpft. Die Kosten des Produktionsausfalls durch Fehltage wegen Schlafstörungen berechnete die US-Denkfabrik Rand Corporation 2016 für die deutsche Wirtschaft mit 60 Milliarden Euro.
Dem Problem beizukommen sei schwierig, sagt Professor Lindemann vom Ulmer Schlaflabor. Die Ursachen seien vielfältig und im Zuge der Digitalisierung kämen neue hinzu. Nur eines von vielen sei, dass Menschen sich zu lange dem Monitorlicht am PC, Tablet oder Smartphone aussetzen. „Wenn der Körper keine Dunkelheit verspürt, wird die Ausschüttung des Hormons Melatonin vermindert, das wichtig ist für das Einschlafen.“
Besonders bei Jugendlichen beklagen Experten einen „quasi willentlichen Schlafentzug mittels Handy“: Studien zeigen, dass 45 Prozent der 11- bis 18-Jährigen ihr Smartphone auch noch im Bett checken, davon 23 Prozent mehr als zehn Mal pro Nacht. Besonders traurig findet Lindemann das Schicksal von Patienten, die sich „im Teufelskreis“befinden: Abends Medikamente zum Einschlafen, morgens Medikamente zum Wachwerden, tagsüber zum Fitbleiben und am Abend wieder zum Einschlafen.