Kampf um späte Gerechtigkeit
Spezialist Marcus Kenzler über Spielfilme zum Thema Raubkunst
Kenzler (44) forscht seit 2011 in Oldenburgs Lan; desmuseum nach Raub; kunst. Einen amerikani; schen Spielfilm zu dem Thema mag er besonders – „Die Frau in Gold“.
FRAGE: Es gibt inzwischen mehrere Filme, die das Thema Nazi-Raubkunst behandeln. Neulich lief „Am Abend aller Tage“, ein TV-Streifen zum Fall Gurlitt. 2014 entstand George Clooneys „Monuments men“... KENZLER: Von dem ClooneySpielfilm war ich enttäuscht. Es ist schade, dass er das Thema so abhandelt: oberflächlich, flapsig, zu hollywoodmäßig, gemischt mit saloppen Sprüchen. Allerdings ist es gut, dass generell noch einmal darauf hingewiesen wird, dass gegen Kriegsende 1945 noch eine „Schlacht“stattfand – zwischen Amerikanern, Engländern und Sowjets um die von den Nazis geraubten und verstreuten Kunstwerke. FRAGE: Was halten Sie von dem Film „Die Frau in Gold“, der am 12. Juli um 20.15 Uhr im Ersten läuft? Er erzählt von einer alten Dame in Los Angeles, Nachfahrin einer jüdischen Wiener Familie, die Bilder Gustav Klimts vom Staat Österreich zurückfordert. KENZLER: Das ist ein sehr guter Film mit namhaften Schauspielern. Man erfährt die wirkliche Geschichte vom Kampf um die Bilder sehr ruhig und unaufgeregt – desto eindrucksvoller wirkt das. FRAGE: Die Nachfahrin der Unternehmerfamilie BlochBauer muss in dem Film gegen den österreichischen Staat kämpfen, um unter anderem das berühmte Bild „Adele Bloch-Bauer I“zurückzuerhalten. Ist so ein Kampf die Regel? KENZLER: Der Fall ist, was Raubkunst betrifft, vor über zehn Jahren, also relativ früh, verhandelt worden, das Schicksal der zu Schaden gekommenen Familie interessierte damals nicht so stark wie heute. Da gab es noch nicht die große Sensibilisierung für das Thema. In Deutschland ist es inzwischen so, dass die Erben oftmals nicht mehr in dieser Weise kämpfen müssen, sonst wird es gleich ein Riesenskandal. Und den will keiner. FRAGE: Vor der Rückgabe wurden die berühmten Klimt-Bilder öffentlich gezeigt, nach der Rückgabe verschwinden sie bei privaten Besitzern... KENZLER: Ja, das ist schade. Aber das von den Nazis begangene Unrecht und der Anspruch der Geschädigten stehen vor dem gesellschaftlichen Interesse oder vor der Forschung. Am besten einigt man sich als Museum mit den Erben und kauft das Bild ein zweites Mal – aber diesmal rechtmäßig. FRAGE: Das Gemälde „Adele Bloch-Bauer I“sollte über 100 Millionen Euro kosten! KENZLER: Ja, es wurde dann ja 2006 für den Rekordpreis von 106,7 Millionen Euro an den Unternehmer Ronald Lauder verkauft. Die Summe war so hoch, dass kein Museum eine Chance hatte. Andererseits: Bei der Summe kann man Privatleuten den Verkauf nicht verübeln. FRAGE: Im Abspann des Films heißt es, es gebe noch 100 000 Kunstwerke, die der Rückgabe harren. Stimmt das? KENZLER: Auf Europa gerechnet scheint mir das nicht zu hoch gegriffen. Dazu kommen ja auch noch zahllose Möbel und andere Alltagsgegenstände, die zwangsweise jüdischen Vorbesitzern entzogen wurden. FRAGE: Haben Sie als Oldenburger Landesmuseum schon Objekte zurückgegeben? KENZLER: 2014 haben wir zwei Objekte zurückgegeben: Ein Albarello, also ein Apothekergefäß,
und und eine Fliese an die Erben eines jüdischen Kunst- und Antiquitätenhändlers in Holland. Den Albarello haben wir dann wieder zurückerworben. FRAGE: Wird nur Wertvolles zurückgegeben? KENZLER: Ich denke, es geht hauptsächlich um die Aufarbeitung des begangenen Unrechts, nicht um Geldbeträge. Auch eine Fliese, die keinen großen finanziellen Wert hat, spielt eine Rolle. FRAGE: Wie viele Raubkunstfälle bearbeiten Sie gerade? KENZLER: Ich habe derzeit rund 20 Fälle, bei denen es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um NS-Raubgut handelt. Da müssen wir Familienforschung betreiben, um jemanden zu finden, an den wir was zurückgeben können. Wenn sich niemand findet, wollen wir die Objekte zumindest zeigen und ein Schild anbringen, dass es sich um Raubkunst handelt. Aber ob wir so die Vorbesitzer finden, steht natürlich in den Sternen.