Nordwest-Zeitung

Als Gabelstapl­erfahrer und Krankensch­wester tätig

Aus dem Großmaul der 8AF wird ein Facharbeit­er in Neubranden­burg

- VON HANS BEGEROW

BERLIN – Im Laufe des Jahres 1977 rekrutiert­e die Terrororga­nisation „Rote Armee Fraktion“eine Reihe von neuen Mitglieder­n, um personell aufzustock­en und ein Ziel zu erreichen: Die Befreiung der RAF-Terroriste­n der ersten Generation mit Gudrun Ensslin, Andreas Baader und JanCarl Raspe. Nicht alle der neu Rekrutiert­en waren den Anforderun­gen gewachsen oder wollten bei der RAF bleiben. Ab 1980 tauchten zehn ehemalige RAF-Terroriste­n in der DDR unter. Was aus ihnen wurde: c SUSANNE ALBRECHT

Sie hatte am 30. Juli 1977 in Oberursel den Kontakt zum Dresdner-Bank-Sprecher Jürgen Ponto hergestell­t – Ponto war der Patenonkel ihrer Schwester. Arglos öffneten die Pontos drei adrett gekleidete­n jungen Leuten die Tür. Doch aus dem Höflichkei­tsbesuch wurde eine gescheiter­te Entführung. Ponto wurde vor den Augen seiner Frau erschossen. Drei Jahre später wird aus Susanne Albrecht in der DDR Ingrid Jäger. Sie studiert, wird Englischle­hrerin und heiratet. 1986 bekommt sie einen anonymen Hinweis, eine Anspielung auf ihre wahre Identität. Albrecht/Becker muss ihre Arbeit in Köthen aufgeben. Die Stasi versteckt sie, besorgt ihr und ihrem Mann eine neue Arbeit in Dresden. 1988 erfolgt eine Entsendung des Paars zum Kernforsch­ungszentru­ms Dubna bei Moskau. Als sie von dort zurückkehr­t, wird sie in Berlin erkannt. Albrecht wird zu zwölf Jahren Haft verurteilt, 1993 ist sie als Freigänger­in in einer Bremer Stadtteils­chule tätig. Entlassung 1996. Lebt unter einem anderen Namen. c SILKE MAIER-WITT

In der DDR heißt sie Angelika Gerlach, arbeitet als Krankensch­wester in Erfurt. 1986 wird sie wie Albrecht enttarnt. Ein DDR-Flüchtling hatte den

westdeutsc­hen Behörden Hinweise gegeben. Da stellt die Bundesrepu­blik Fragen nach Angelika Gerlach. Die DDR antwortet „wahrheitsg­emäß“, eine Angelika Gerlach sei ihr nicht bekannt, tatsächlic­h hatte die Stasi aus ihr Sylvia Beyer gemacht und ihr einen neuen Job in Neubranden­burg verschafft. Nach der Enttarnung zu zehn Jahren Haft verurteilt, 1995 entlassen. c RALF-BAPTIST FRIEDRICH

Unter dem Namen Eildberg arbeitet er sich in der Papierfabr­ik Schwedt hoch, wird vom Gabelstapl­erfahrer zum führenden Mitarbeite­r. Er heiratet

seine Freundin Sigrid Sternebeck (auch ein RAFMitglie­d), die mit ihm aus dem Westen gekommen ist. 1983 wird eine Tochter geboren. Friedrich wird 1992 zu sechseinha­lb Jahren Haft verurteilt. c WERNER LOTZE

Lotze ist ebenfalls mit seiner Freundin, Christine Dümlein (RAF-Mitglied), in die DDR eingereist. Die beiden heiraten, 1982 wird eine Tochter geboren. Aus Lotze wird Manfred Janssen, der zunächst als Kraftfahre­r arbeitet, dann studiert und als Ingenieur tätig ist. Seine Frau heißt nun Katharina. Christine Dümlein

bleibt übrigens nach ihrer Enttarnung auf freiem Fuß. Ihre Straftat „Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g“ist verjährt. Lotze wird 1992 zu elf Jahren Freiheitss­trafe verurteilt. c MONIKA HELBING

Sie lebt als Elke Johanna Köhler in Eisenhütte­nstadt und arbeitet als Krankensch­wester. Liiert ist sie mit Ekkehard Freiherr von Senckendor­ffGudent. Im Jahr 1981 wird der gemeinsame Sohn geboren. 1992 wird sie zu einer Freiheitss­trafe von sieben Jahren verurteilt, drei Jahre später wird sie auf Bewährung entlassen.

c SENCKENDOR­FF-GUDENT

Der „RAF-Arzt“Ekkehard Freiherr von Senckendor­ffGudent wird zu Horst Winter. Er leitet später, hoch anerkannt in seinem Beruf, eine Einrichtun­g für Suchtkrank­e in Frankfurt/Oder. Bleibt als einfaches Mitglied nach seiner Enttarnung auf freiem Fuß. c HENNING BEER

Erleidet 1981 einen Nervenzusa­mmenbruch und übersiedel­t 1982 in die DDR. Aus dem Großmaul der RAF wird ein Facharbeit­er in Neubranden­burg. Heiratet später eine DDR-Bürgerin. 1991 wegen versuchten Mordes zu sechs Jahren Freiheitss­trafe verurteilt, 1995 wieder auf freiem Fuß.

c INGE VIETT

Sie ist seit 1972 an gewalttäti­gen Aktionen, vor allem des 2. Juni, beteiligt. Erstmals wird sie im Mai 1972 verhaftet, nachdem sie an einem Banküberfa­ll beteiligt war. Im Juli 1973 gelingt ihr die Flucht aus der Haft. Beteiligt an der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz in Berlin. 1975 wird sie erneut verhaftet. 1976 gelingt ihr erneut die Flucht. Beteiligt an der Befreiung des 2. Juni-Aktivisten Till Meyer mit Waffengewa­lt aus der Haft. Sie knüpft 1980 die Kontakte zur Stasi, damit aussteigew­illige RAF-Mitglieder abtauchen können. Sie selbst geht nach Paris, wo sie bei einer Polizeikon­trolle mit wilder Verfolgung­sfahrt einen Polizisten schwer verletzt. Darauf hin übersiedel­t sie in die DDR. Als Eva-Maria Sommer lebt sie in Dresden. Nach einer Westreise erkennt eine Freundin Viett und spricht sie darauf an. Die Stasi macht aus Eva-Maria Sommer eine EvaMara Schnell, die nun im Schwermasc­hinenkombi­nat Magdeburg arbeitet. 1990 erkennt eine DDR-Bürgerin Viett auf einem Fahndungsp­lakat. 1992 wird sie zu 13 Jahren Haft verurteilt. Entlassung 1997.

 ?? BILD: BUNDESKRIM­INALAMT ?? Vorderseit­e des Faltblatte­s „Dringend gesuchte Terroriste­n“. Erste Reihe von links Susanne Albrecht, Elisabeth von Dyck, Friederike Krabbe, Silke Maier-Witt, zweite Reihe von links Juliane Plambeck, Adelheid Schulz, dritte Reihe von links Angelika...
BILD: BUNDESKRIM­INALAMT Vorderseit­e des Faltblatte­s „Dringend gesuchte Terroriste­n“. Erste Reihe von links Susanne Albrecht, Elisabeth von Dyck, Friederike Krabbe, Silke Maier-Witt, zweite Reihe von links Juliane Plambeck, Adelheid Schulz, dritte Reihe von links Angelika...

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