Sturm über Al-Dschasira
Der Konflikt um das Emirat Katar ist auch ein Medienkrieg
Während ein politischer Sturm über seinen Sender hinwegfegt, will Salah Negm von einem Ausnahmezustand nichts wissen. Unten im riesigen Newsroom des Nachrichtenkanals Al-Dschasira arbeiten die Redakteure am Programm der nächsten Stunden, ein Stockwerk höher bemüht sich der Nachrichtendirektor in seinem Büro in Katars Hauptstadt Doha um Normalität. „Bei uns läuft alles wie immer“, sagt Negm, schmaler Körper, graue Haare, leise, aber feste Stimme. „Oder können Sie hier irgendwo einen Sturm bemerken?“
Doch Al-Dschasira erlebt derzeit eine der schwersten Zeiten in seiner mehr als 20jährigen Geschichte. Seit dem Ausbruch der Krise um Katar steht der von dem Emirat finanzierte Nachrichtensender im Fokus des Streits. Schon seit Langem ist der Kanal ein ständiges Ärgernis für SaudiArabien und seine Verbündeten Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten. Die Herrscher in den vier Ländern haben deshalb eine klare Forderung an den Emir von Katar übersandt: Al-Dschasira muss abgeschaltet werden. Für immer.
Sie stören sich vor allem daran, dass Al-Dschasira Ägyptens Muslimbrüdern und anderen Islamisten breiten Raum in der Berichterstattung einräumt. Der Sender biete „Terrorismus und Extremismus“ein Podium, sagte VAEAußenminister Anwar Karkasch am Samstag.
Ägyptens Regierende geben ihm bis heute Mitschuld daran, dass 2013 die Muslimbrüder an die Macht kamen. Als das Militär 2015 den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi stürzte, berichtete Al-Dschasira so ausführlich und parteiisch wie kein anderer Sender über die Gegenproteste – zum Verdruss auch Saudi-Arabiens und den VAE, die die Muslimbrüder wie Ägyptens derzeitige Regierung als Terrororganisation ansehen.
Kritiker werfen Al-Dschasira vor, er sei nichts anderes als ein Mittel, mit dem das kleine Katar Einfluss ausüben will. Für die Gegner des Senders ist besonders ärgerlich, dass er mit seinem in der arabischen Welt nach wie vor populärem Programm noch immer die Massen erreicht wie nur wenige TV-Kanäle. Mit dem Ableger Al-Dschasira Englisch macht er international auch CNN und der BBC Konkurrenz. Von Sarajewo aus sendet Al-Dschasira ein eigenes Programm für den Balkan. Mit rund 3000 Mitarbeitern ist der Sender ein globaler Spieler.
Doch ein Medium, das nach westlichen Maßstäben beurteilt werden könnte, ist der Sender nicht. In der arabischen Welt gibt es keine Pressefreiheit. Die Medien aller dieser Länder sind massiv staatlich gelenkt. Das betrifft die gedruckte Presse, die in der Region noch immer sehr wichtigen Radioprogramme und eben auch das TV. Medien haben in der Region – mit Ausnahme Israels – nicht die Aufgabe, Plattformen für gesellschaftlichen Diskurs zu bieten und zu informieren, um so dem Bürger die Grundlage für politische Entscheidungen zu liefern. In Diktaturen – und um solche handelt es sich so gut wie ausnahmslos in der arabischen Welt – transportieren Medien die Anliegen der Machthaber. Sie sind Instrumente zur Führung und auch Disziplinierung der Massen, zudem werden sie als Mittel der Außenpolitik eingesetzt. Al-Dschasira ist da keine Ausnahme, finanziert vom Herrscherhaus Katars, glänzt es durch Wohlverhalten gegenüber den einheimischen Machthabern. Kritisch wird das Programm allerdings auch – aber eben nur dann, wenn es um andere arabische Ländern geht.
Viele von ihnen haben ähnliche Strukturen wie Katar aufgebaut. Saudi-Arabien etwa finanziert mit dem in Dubai ansässigen Kanal Al-Arabija einen eigenen Nachrichtensender, der ganz im Sinne des Königreichs berichtet. Dem Emirat Abu Dhabi wiederum gehört zur Hälfte der Sender Sky News Arabija.