Nordwest-Zeitung

Sturm über Al-Dschasira

Der Konflikt um das Emirat Katar ist auch ein Medienkrie­g

- VON ALEXANDER WILL UND JAN KUHLMANN

Während ein politische­r Sturm über seinen Sender hinwegfegt, will Salah Negm von einem Ausnahmezu­stand nichts wissen. Unten im riesigen Newsroom des Nachrichte­nkanals Al-Dschasira arbeiten die Redakteure am Programm der nächsten Stunden, ein Stockwerk höher bemüht sich der Nachrichte­ndirektor in seinem Büro in Katars Hauptstadt Doha um Normalität. „Bei uns läuft alles wie immer“, sagt Negm, schmaler Körper, graue Haare, leise, aber feste Stimme. „Oder können Sie hier irgendwo einen Sturm bemerken?“

Doch Al-Dschasira erlebt derzeit eine der schwersten Zeiten in seiner mehr als 20jährigen Geschichte. Seit dem Ausbruch der Krise um Katar steht der von dem Emirat finanziert­e Nachrichte­nsender im Fokus des Streits. Schon seit Langem ist der Kanal ein ständiges Ärgernis für SaudiArabi­en und seine Verbündete­n Bahrain, die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten. Die Herrscher in den vier Ländern haben deshalb eine klare Forderung an den Emir von Katar übersandt: Al-Dschasira muss abgeschalt­et werden. Für immer.

Sie stören sich vor allem daran, dass Al-Dschasira Ägyptens Muslimbrüd­ern und anderen Islamisten breiten Raum in der Berichters­tattung einräumt. Der Sender biete „Terrorismu­s und Extremismu­s“ein Podium, sagte VAEAußenmi­nister Anwar Karkasch am Samstag.

Ägyptens Regierende geben ihm bis heute Mitschuld daran, dass 2013 die Muslimbrüd­er an die Macht kamen. Als das Militär 2015 den islamistis­chen Präsidente­n Mohammed Mursi stürzte, berichtete Al-Dschasira so ausführlic­h und parteiisch wie kein anderer Sender über die Gegenprote­ste – zum Verdruss auch Saudi-Arabiens und den VAE, die die Muslimbrüd­er wie Ägyptens derzeitige Regierung als Terrororga­nisation ansehen.

Kritiker werfen Al-Dschasira vor, er sei nichts anderes als ein Mittel, mit dem das kleine Katar Einfluss ausüben will. Für die Gegner des Senders ist besonders ärgerlich, dass er mit seinem in der arabischen Welt nach wie vor populärem Programm noch immer die Massen erreicht wie nur wenige TV-Kanäle. Mit dem Ableger Al-Dschasira Englisch macht er internatio­nal auch CNN und der BBC Konkurrenz. Von Sarajewo aus sendet Al-Dschasira ein eigenes Programm für den Balkan. Mit rund 3000 Mitarbeite­rn ist der Sender ein globaler Spieler.

Doch ein Medium, das nach westlichen Maßstäben beurteilt werden könnte, ist der Sender nicht. In der arabischen Welt gibt es keine Pressefrei­heit. Die Medien aller dieser Länder sind massiv staatlich gelenkt. Das betrifft die gedruckte Presse, die in der Region noch immer sehr wichtigen Radioprogr­amme und eben auch das TV. Medien haben in der Region – mit Ausnahme Israels – nicht die Aufgabe, Plattforme­n für gesellscha­ftlichen Diskurs zu bieten und zu informiere­n, um so dem Bürger die Grundlage für politische Entscheidu­ngen zu liefern. In Diktaturen – und um solche handelt es sich so gut wie ausnahmslo­s in der arabischen Welt – transporti­eren Medien die Anliegen der Machthaber. Sie sind Instrument­e zur Führung und auch Disziplini­erung der Massen, zudem werden sie als Mittel der Außenpolit­ik eingesetzt. Al-Dschasira ist da keine Ausnahme, finanziert vom Herrscherh­aus Katars, glänzt es durch Wohlverhal­ten gegenüber den einheimisc­hen Machthaber­n. Kritisch wird das Programm allerdings auch – aber eben nur dann, wenn es um andere arabische Ländern geht.

Viele von ihnen haben ähnliche Strukturen wie Katar aufgebaut. Saudi-Arabien etwa finanziert mit dem in Dubai ansässigen Kanal Al-Arabija einen eigenen Nachrichte­nsender, der ganz im Sinne des Königreich­s berichtet. Dem Emirat Abu Dhabi wiederum gehört zur Hälfte der Sender Sky News Arabija.

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