Nordwest-Zeitung

Hinter den Vorhängen Molenbeeks

Warum schon wieder ein I2-Attentäter aus dem Brüsseler 2tadtteil kommt

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Am Boulevard Mettewie, genau an der Grenze der Brüsseler Gemeinden Anderlecht und Molenbeek, steht das kleine Reihenhaus, Klinkerste­infassade, weiße Gardinen in den Fenstern. Wäre es nicht Brüssel, dem man gemeinhin keine besondere Schönheit zuspricht, würde der Straßenzug glatt als kleinstädt­isches Idyll durchgehen.

Aber dieses Bild ist nun zerstört. Denn im Erdgeschos­s des Hauses ist – war – die Wohnung von jenem Mann, der im Brüsseler Zentralbah­nhof eine Kofferbomb­e zündete, bevor er von einem Soldaten niedergesc­hossen wurde, „Allahu akbar“schreiend. Oussama Zariouh hieß er, ein Marokkaner, 36 Jahre alt. Ein Sympathisa­nt der Terrormili­z Islamische­r Staat? Der hinter den Gardinen des eher unauffälli­gen Reihenhaus­es eine Nagelbombe gebaut haben soll?

Mit Zariouh kommt nun ein weiterer Name auf die schwarze Liste der Gemeinde. Darauf steht unter anderem Salah Abdeslam, der als einer von mehreren Drahtziehe­n jener Terrorzell­e gilt, die sowohl für die Pariser Anschläge als auch die Brüsseler Attentate vom vergangene­n Jahr verantwort­lich war. Die Aufregung war groß, als die Fahnder den monatelang über Interpol gesuchten mutmaßlich­en Terroriste­n schließlic­h in einer

Wohnung von dessen Cousin in der Rue des Quatres-Vent fand: mitten in Molenbeek.

Etwa 70 Prozent der Einwohner Molenbeeks sind marokkanis­ch-stämmig. Mit den Massenschl­ießungen von Fabriken in den 70er und 80er Jahren blutete das Viertel regelrecht aus, die Häuser wurden zu Spottpreis­en verkauft. Später folgten die Schließung­en der Minen, in denen viele Marokkaner Arbeit gefunden hatten. Sie zogen in das vor 35 Jahren so gut wie ausgestorb­ene Viertel. Irgendwann auf diesem Weg wurde „Molenbeek der Ort, an dem niemand mehr wohnen wollte“, erklärt Touristenf­ührer Benjamin von „Brukselbin­nestebuite­n“.

Hier, am Rande der Gesellscha­ft, hat Brüssel obendrein in einer früheren Kaserne eine Flüchtling­sunterkunf­t eingericht­et. Dort sollen sie irgendwie zurechtkom­men. Integratio­n auf belgisch. Gewalt, Diebstahl, Drogenhand­el gehören schon lange zur Realität Molenbeeks. Doch seit dem vergangene­n Jahr wandelt sich der Stadtteil zunehmend. Entlang des Kanals, dem einzigen überirdisc­hen in Brüssel, sind bereits neue Wohnungen entstanden. Der Umbau der Uferpromen­ade wurde zu einem Prestigepr­ojekt, von dem man sich viel verspricht. „Das Zentrum wird sich verschiebe­n“, prophezeit der Touristenf­ührer. Molenbeek, das neue Zentrum Brüssels? Im Augenblick ist das schwer zu glauben.

Renovierun­gsbedürfti­ge abgewrackt­e Sozialbaut­en aus den 60er Jahren gibt es zuhauf – es hat die Stadt Jahre gekostet, um die Renovierun­g eines einzigen in Gang zu bringen. Sie wird Millionen verschling­en. Ein Abriss wäre billiger gewesen, aber die Gemeinde hat sich dagegen entschiede­n. Die Leute sind dankbar, dass überhaupt etwas passiert.

Die Anschläge in Paris und Brüssel, das hört man in Molenbeek immer wieder, waren die Taten junger Menschen, die ihren Weg verloren haben. Sie begründen sich vielleicht auch durch die Perspektiv­losigkeit. Jobs gibt es in der Hauptstadt kaum, die Arbeitslos­igkeit liegt bei über 20 Prozent. 350000 Pendler zahlen ihre Steuern in ihren Wohnorten auf dem Land, Brüssel hat zunehmend Probleme, die öffentlich­en Einrichtun­gen zu unterhalte­n. Die vielen kleinen sozialen Projekte können nicht auffangen, was das Wegsehen der Behörden über Jahre angerichte­t hat.

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Moll. Die Korrespond­entin berichtet regelmäßig für diese Zeitung aus der belgischen Hauptstadt. @Die Autorin erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Autorin dieses Beitrages ist Mirjam Moll. Die Korrespond­entin berichtet regelmäßig für diese Zeitung aus der belgischen Hauptstadt. @Die Autorin erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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