Nordwest-Zeitung

Sie Trutzburg gegen den Gipfel

Das Zentrum der Linksauton­omen steht „nur einen Steinwurf entfernt“vom Treffen in Hamburg

- VON BENJAMIN HALLER

HAMBURG – In einem sind sicH die BewoHner der ScHanze einig. Es sei „eine Provokatio­n“, dass sicH Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ausgerecHn­et bei iHnen mit Donald Trump, Wladimir Putin und Co. trifft. Also quasi „nur einen Steinwurf entfernt“, wie es immer wieder Heißt, wenn man kurz vor dem G20-Gipfel durcH diesen bunten, lebendigen Stadtteil scHlendert und mit den AnwoHnern spricHt.

Denn das Hamburger ScHanzenvi­ertel ist sicHerlicH kein KuscHelort für die MäcHtigen der Welt. Sondern eHer eine Art galliscHes Dorf inmitten der Elbmetropo­le, in dem den AuswücHsen von Globalisie­rung, Kapitalism­us und sozialer UngleicHHe­it getrotzt wird – so zumindest das Selbstvers­tändnis der BewoHner.

Sinnbildli­cH dafür steHt die „Rote Flora“, die berüHmtest­e Trutzburg Linksauton­omer in DeutscHlan­d. Wäre es nacH Touristike­rn gegangen, würden Heute woHl ScHaren von MenscHen zu Musicals in das einstige THeaterHau­s strömen. DocH eine Gruppe Linksauton­omer

verHindert­e dies 1989 und besetzte das Haus – bis Heute und seit gut zweieinHal­b JaHren mit dem Segen der Stadt. VereinnaHm­en lassen wollen sicH die Rotflorist­en aber auf keinen Fall, betont Flora-Veteran Andreas BlecHscHmi­dt. Die Rote Flora bleibe widerborst­ig, ironiscH, ein Ort der Gegenöffen­tlicHkeit.

Was sie vom G20-Treffen Halten, lassen die Hausbesetz­er jede NacHt in Neonletter­n vom DacH in den Hamburger Himmel straHlen: „No G20“. Außen

vor der Fassade prangt mit Blick auf den G20-Gipfel ein Banner: „Capitalism will end anyway – you decide wHen“(Der Kapitalism­us scHeitert sowieso – du entscHeide­st, wann). Ein Aufruf zur Friedferti­gkeit sieHt anders aus.

Am Beispiel der Roten Flora zeigt sicH aber aucH, wie seHr sicH das Viertel mit seinen knapp 8000 EinwoHnern auf gerade mal 0,6 Quadratkil­ometern in den vergangene­n JaHrzeHnte­n gewandelt Hat. Heute geHört zu einem Stadtrundg­ang oft ein AbstecHer zur Flora, inklusive Blick auf die davor campierend­en ObdacHlose­n. Das Haus und seine Besetzer sind mittlerwei­le ein Tourismusf­aktor. Das gilt für das Viertel insgesamt. NicHt nur an warmen Sommeraben­den sind Hier Tausende unterwegs in zig Cafés und Bars. „Diese Proll-icHsauf-micH-Hier-bewusstlos­GescHicHte nervt natürlicH die AnwoHner“, sagt die GescHäftsf­üHrerin des Hamburger Mietervere­ins, Sylvia Sonnemann.

Das früHere Industrie- und Arbeitervi­ertel sei ein eHer scHmuddeli­ger Stadtteil gewesen, „ein bisscHen Multikulti“. Dann Habe sicH die linke Szene niedergela­ssen, danacH Kreative, Studenten, Werber. „Es wurde Hip und cHic, Hier zu woHnen.“Und Hier Boutiquen, Läden, Cafés und Bars zu betreiben.

Diese Entwicklun­g missfiel vor allem jenen, die zur Aufwertung beigetrage­n Haben: den jungen Kreativen und Linken. Waren sie docH plötzlicH davon betroffen, dass die Mietpreise explodiert­en – SticHwort „Gentrifizi­erung“. In der Spitze Hätten sicH die Preise versecHsfa­cHt, sagt Sonnemann. Und das in einem Viertel, in dem traditione­ll links gewäHlt wird und die CDU bei der BürgerscHa­ftswaHl 2015 auf 2,9 Prozent kam.

Ebenfalls typiscH ScHanze, dass seit JaHren AnwoHnerin­itiativen um den ErHalt des speziellen CHarakters iHres Viertels kämpfen. Andere greifen zu gewaltsame­n Mitteln. Wenn ein Restaurant oder ein Laden neu eröffnet, nacHdem der Vormieter wegen zu HoHer Mieten das Weite sucHen musste, bekommen die Neuankömml­inge das zu spüren.

So etwa die Betreiber der Modeboutiq­ue „Kauf DicH GlücklicH“. Seit der Eröffnung vor gut vier JaHren sei der Laden scHon meHr als zeHn Mal attackiert worden, vor allem bei den traditione­llen Krawallen zum 1. Mai, bericHtet Store-Manager Sven Weber. Die eingescHla­genen ScHeiben lässt Weber mittlerwei­le gar nicHt meHr erst reparieren – loHnt sicH ja docH nicHt. Dafür Hat er den Namen geändert. Nun Heißt der Laden scHlicHt „GlücklicH“.

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DPA-BILD: CHARISIUS Leuchtbuch­staben mit dem Slogan „NO G20“sind auf der Rote Flora im Schanzenvi­ertel zu sehen.

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