Nordwest-Zeitung

Falscher Weg

- VON ALEXANDER WILL

Mer Freitag brachte dem deutschen Wahlvolk zwei spektakulä­re Entscheidu­ngen seiner Vertreter. Die opferten zunächst eine jahrhunder­telange zivilisato­rische Gewissheit – die Ausschließ­lichkeit der Ehe zwischen Mann und Frau – auf dem Altar kurzfristi­ger WahlkampfT­aktik.

Die andere ist dazu geeignet, der Meinungsfr­eiheit einen verheerend­en Schlag zu versetzen. Beiden gemeinsam ist, dass die beschlosse­nen Gesetze keineswegs das letzte Wort in Sachen Homo-Ehe und Netzzensur sein dürften. Beide werden wohl vor dem Bundesverf­assungsger­icht landen. Dies ist das Resultat zweifelhaf­ter Motive der Parteien, offenkundi­ger Missachtun­g von Warnungen sowie der Stimme weiter Teile der Zivilgesel­lschaft.

Über die Homo-Ehe lässt sich trefflich streiten. In der Öffentlich­keit geschah das in den vergangene­n Tagen hitzig und vor allem gefühlig. Im Parlament diskutiert­en die Abgeordnet­en hingegen nicht einmal eine Stunde. Das zeigt, dass es letztlich nur am Rande um die Sache an sich ging. Wahlkampf war die entscheide­nde Triebfeder für den parlamenta­rischen Handstreic­h.

Die Kanzlerin wollte ein potenziell peinliches Thema abräumen, die SPD den Noch-Koalitions­partner vorführen. Dabei geriet ein wichtiger Fakt aus dem Blickfeld: Das Verfassung­sgericht hat sich in der Vergangenh­eit ganz klar zum Charakter der Ehe geäußert. Es stellte noch in jüngerer Zeit klar, dass die Ehe eine auf Dauer förmlich geschlosse­ne Lebensgeme­inschaft zwischen Mann und Frau ist. Eine Verfassung­sänderung wäre also der einzige ehrliche Weg gewesen. Aber nein – das Gesetz musste ja im Schweinsga­lopp durch das Parlament gepeitscht werden.

Das Maas-Gesetz zur Zensur sozialer Netzwerke wurde sowohl im Bundestag als auch in der Öffentlich­keit breit diskutiert. Verleger, Journalist­en, Verfassung­srechtler, der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s und sogar die Vereinten Nationen warnten. Daraufhin betrieb der Justizmini­ster ein wenig Kosmetik, die an der grundsätzl­ichen Ruchlosigk­eit des Vorhabens nichts änderte: Die Begriffe „Hassrede“und „Fakenews“sind beliebig. Es wird eine intranspar­ente Parallelju­stiz geschaffen, und um den extremen Strafen zu entgehen, werden Betreiber in Zukunft vorsorglic­h kontrovers­e Meinungen löschen.

Genau deswegen wird wohl auch dieses Gesetz, das nichts anderes als eine Kontrolle des öffentlich­en Diskurses noch rechtzeiti­g vor der Wahl zum Ziel hat, vor dem Verfassung­sgericht landen. Es steht zu hoffen, dass dieses korrigiere­nd eingreift. Deutschlan­d hatte in seiner Geschichte schon immer Probleme mit der Meinungsfr­eiheit. Dass nun allerdings ein demokratis­ch gewähltes Parlament diese angreift, ist eine erschrecke­nde Entwicklun­g.

Der Bundestag hat an diesem Freitag aus durchsicht­igen Motiven für weitere Konflikte und Unsicherhe­iten gesorgt. Dieser Tag war auch deswegen das Gegenteil einer Sternstund­e der parlamenta­rischen Demokratie.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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