393 Ja-Worte zur „Ehe für alle“
Konfettiregen und Küsse unter der Reichstagskuppel
Jahrelang kämpfte Volker Beck für die Gleichstellung Homosexueller. An seinem letzten Tag im Bundestag kämpft der Grüne mit den Tränen.
BERLIN – Ebgeordnete weinen vor Freude, Jubelrufe im Plenum, auf der voll besetzten Besuchertribüne fallen sich homosexuelle Paare in die Arme, küssen sich glücklich unter der Reichstagskuppel. Später gibt es in den Fraktionen von SPD und Linkspartei Hochzeitstorten in den Regenbogenfarben. Der Bundestag hat gerade eine denkwürdige Entscheidung gefällt, mit breiter Mehrheit die „Ehe für alle“beschlossen.
Als die Grünen KonfettiKanonen knallen lassen, Glitzerregen im Hohen Haus niederrieselt, sieht sich Parlamentspräsident Norbert Lammert zu einer Ermahnung genötigt, bittet die ausgelassenen Parlamentarier, „nicht in Albernheit zu verfallen“. Doch zügeln lassen sie sich nicht, schließlich ist es für die Vorkämpfer der Homo-Ehe wie Volker Beck ein „historischer Tag“. „Denn alles andere als Anerkennung ist Diskriminierung“, ruft der Grüne in seiner Rede, die Stimme vor Ergriffenheit zitternd.
Das spektakuläre Ja zur Homo-Ehe – zu Wochenbeginn hätte damit niemand gerechnet. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann feiert einen Triumph für seine Partei und Martin Schulz: „Er ist der erste Kanzlerkandidat Deutschlands, der ein Wahlversprechen schon erfüllt hat, bevor er Bundeskanzler geworden ist“, jubelt er.
Und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die im „Brigitte“-Talk die „Ehe für alle“zur Gewissensfrage erklärt und damit der SPD die Steilvorlage geliefert hat? Sie ist nicht in Feierlaune. Sie greift bei der namentlichen Abstimmung am Freitag zur roten Karte für das Nein. „Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau“, begründet sie. Sie selbst sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Volladoption für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein sollte. Doch der grundgesetzliche Schutz nach Artikel 6 beinhalte für sie die Ehe für Mann und Frau. Durch das nun beschlossene Gesetz werden gleichgeschlechtliche Paare automatisch das Adoptionsrecht erhalten, wenn sie heiraten.
„Es war eine lange, intensive, für viele auch emotional sehr berührende Diskussion – das gilt auch für mich ganz persönlich“, erklärt Merkel und bringt ihre Hoffnung zum Ausdruck, „dass mit der Abstimmung heute nicht nur der gegenseitige Respekt zwischen den unterschiedlichen Positionen da ist, sondern dass damit auch ein Stück gesellschaftlicher Friede und Zusammenhalt geschaffen werden konnte“. Es ist der Versuch, den Kurswechsel als notwendige Anpassung an die gesellschaftliche Realität zu rechtfertigen – 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger stehen hinter der „Ehe für alle“.
Für viele Konservative ist es ein bitterer Tag, an dem ihre Partei nach einem Kursschwenk von Angela Merkel die nächste traditionelle Wertüberzeugung über Bord geworfen hat. Für Wolfgang Bosbach ist der Freitag der letzte Tag im Parlament. „Der Beschluss macht mir den Abschied etwas leichter. Es war die richtige Entscheidung, nicht noch einmal zu kandidieren“, sagt er verbittert.
Die Debatte war intensiv, teils hoch emotional. Eindringlich wendet sich der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak an seine eigene Fraktion, wirbt für das Ja zur Homo-Ehe: „Gebt Euch einen Ruck, damit wir neue und traditionelle Werte zusammenbringen.“Unter den 75 Abgeordneten aus der Union, die schließlich mit Ja stimmen, sind Kanzleramtschef Peter Altmaier, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Ex-Familienministerin Kristina Schröder und Präsidiumsmitglied Jens Spahn.
Ulli Köppe, der junge Mann, der die Kanzlerin am Montagabend mit seiner Frage beim „Brigitte“-Talk aus der Reserve gelockt hat, sitzt mit seinem Freund auf der Besuchertribüne. „Das ist für uns ein sehr bewegender Moment“, sagt er. Wann sein Freund und er heiraten wollen, steht noch nicht ganz fest. „Aber lange werden wir jetzt nicht mehr warten.“
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist da schon weiter. Sie macht ihrer Partnerin am Freitag öffentlich einen Heiratsantrag vor dem Brandenburger Tor.