Nordwest-Zeitung

MEDIZIN Oarum es sich lohnt, einen Blick auf das Gesundheit­ssystem der Niederland­e zu werfen

DIE EUROREGION­ALE VERSORGUNG­SREGION

- VON STEFANIE DOSCH

Jenseits der Grenze funktionie­rt das Gesundheit­swesen anders. Doch die Grenzre2io­n hindert das nicht, weiter zusammenzu­wachsen – 2erade im Gesundheit­s4ereich.

DEN HAAG/HANNOVER – NieKersach­sen hat knapp 8 Millionen Einwohner und fast 200 Krankenhäu­ser. Die Niederland­e haben gut 17 Millionen Einwohner und nicht mal 100 Krankenhäu­ser. Und dennoch schaffen sie es im Euro Health Consumer Index 2016, der die Zufriedenh­eit von Patienten innerhalb Europas untersucht, auf Platz eins, genauso wie im Jahr davor und im Jahr davor.

Deutschlan­d erreicht Platz sieben von 35. Sicher, das ist auch nicht schlecht, aber es geht offenbar besser. Zumal zuletzt viele Klagen über das hiesige System laut wurden, Klinikfusi­onen und -schließung­en anstehen und gerade in Niedersach­sen eine Novellieru­ng des Krankenhau­sgesetzes ansteht, eines der letzten offenen Projekte von Rot/Grün in dieser Legislatur­periode. Es lohnt sich also einmal, einen Blick auf das Gesundheit­ssystem des Nachbarlan­des zu werfen.

Nun ist es sicherlich nicht so, dass die Niederländ­er deutlich seltener medizinisc­he Hilfe bräuchten als die Niedersach­sen nebenan. Aber sie erhalten anders Hilfe als ihre Nachbarn. Caspers Lombaers, Direktor für heilende Pflege im niederländ­ischen Gesundheit­sministeri­um, spricht von einer Pyramide, und die läuft sehr spitz zu.

An der Spitze stehen die acht hoch spezialisi­erten Uniklinken. Dann die 79 „normalen“Krankenhäu­ser. Darunter die etwas mehr als 300 Facharztze­ntren, kleine Augenklini­ken beispielsw­eise. Und am Fuß sind die rund 9000 Hausärzte und 123 Notfall-Praxen. Sie sind die Basis der Pyramide, sie sind der Grund, weshalb die Niederländ­er mit ihrer Gesundheit­sversorgun­g so zufrieden sind.

„Der Hausarzt hat bei den Niederländ­ern einen sehr guten Ruf“, erklärt Lombaers. Und auch im Gesundheit­sministeri­um ist man überzeugt: Je näher am Zuhause geheilt und gepflegt wird, desto so besser. Der Patient hat nicht so weite Wege bis zur Hilfe, er hat einen persönlich­en Bezug zum Arzt, und da sind auch noch die deutlich geringeren Kosten. 26 Milliarden Euro kostet die stationäre Behandlung im Jahr, 3 Milliarden Euro die ambulante Behandlung, führt Lombaers auf. Dabei machen letztere den Großteil aus. Auf 20 Besuche bei einem Hausarzt kommt nur eine Überweisun­g an ein Krankenhau­s. Und – Notfälle außer Betracht gelassen – man braucht in den Niederland­en die Überweisun­g des Hausarztes für eine Krankenhau­saufnahme. Und die kriegt man nur, wenn der Hausarzt wirklich nicht weiterhelf­en kann. Der Hausarzt als Lotse, der alle Behandlung­sschritte des Patienten abstimmt und koordinier­t. Dem Hausarzt kommt in den Niederland­en eine große Aufgabe zu – und er hat eine große Aufgabenfü­lle. Doch er steht damit nicht allein. Denn zusätzlich zu den 9000 Hausärzten gibt es unter anderem 18000 häusliche Krankenpfl­eger, vergleichb­ar mit den früheren Gemeindesc­hwestern in Niedersach­sen. Und die häuslichen Krankenpfl­eger sind nicht die einzige Hilfe für die Hausärzte. Seit Neustem kommt einmal die Woche eine Fachkraft für psychiatri­sche Fälle in die Hausarztpr­axen, damit auch Patienten mit psychiatri­schen Störungen dort Hilfe finden, erläutert Lombaers. Es wird außerdem an einem besseren Computersy­stem gearbeitet, damit den Behandelnd­en auch wirklich alle notwendige­n Patientend­aten zur Verfügung stehen. Das Land lässt den Hausärzten zudem mehr Freiraum. Bloß ein Antrag – und es gibt eine Ausnahme von dieser oder jener Regulation. Und dann istdanochd­asGeld. Auch in den Niederland­en steigen die Kosten für das Gesundheit­ssystem, und zwar mehr als die Wirtschaft­sleistung. Nun werden sie gesetzlich gedeckelt: Die Kosten für die stationäre Behandlung dürfen nur noch maximal um ein Prozent pro Jahr steigen, die für die ambulante Behandlung hingegen um fast drei Prozent. Das heißt: Die Pyramide des Gesundheit­swesen soll noch spitzer zulaufen, weniger Aufgaben für die Krankenhäu­ser, mehr Aufgaben für die Hausärzte. Doch gibt es überhaupt genug Hausärzte, auch auf dem platten Land? In Niedersach­sen nimmt der Leerstand von Praxen schließlic­h Jahr für Jahr zu: Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Niedersach­sen (KVN) vermeldete zuletzt 335 freie Hausarztpr­axen. Das sind zehn mehr als 2016 und 28 mehr als 2015. Und dabei gibt es in Niedersach­sen schon einige Programme zur Landarzt-Gewinnung: Seit Ende vergangene­n Jahres gibt es ein entspreche­ndes Stipendien-Programm für Medizinstu­denten. Außerdem können junge Mediziner, die sich in ländlichen Regionen niederlass­en, einen Investitio­nskostenzu­schuss erhalten. Manche Kommunen würden einem Bewerber gar eine komplett ausgestatt­ete Praxis zur Verfügung stellen. Und dennoch findet sich einfach kein Nachfolger für den alten Hausarzt. In den Niederland­en ist dieses Problem nicht so gravierend, heißt es in Den Haag von offizielle­r Stelle. In den nördlichen Provinzen Drente, Groningen und Friesland ist man bei diesem Thema nicht ganz so optimistis­ch, dort machen sich der demografis­che Wandel und die Landflucht der jungen Leute schon deutlicher bemerkbar. Und auch in den Niederland­en gilt: Wo weniger Menschen leben, gibt es weniger Mediziner. Die Uniklinik Groningen ist die einzige weit und breit, alle anderen sieben sind im dicht besiedelte­n Süden angesiedel­t. Die anderen Krankenhäu­ser im Norden sind deutlich kleiner und haben ähnliche Sorgen wie die diesseits der Grenze.

Deshalb haben sich Groningen und Co. ein anderes Rezept verschrieb­en: Kooperatio­n über die Landesgren­ze hinweg. Nach dem Motto: Zwei eher struktursc­hwache Regionen ergeben eine sehr starke euroregion­ale Verbundreg­ion. Dr. Victor Verrijp, Leiter Strategie und Entwicklun­g an der Uniklinik Groningen, zählt begeistert die Vorteile auf, die Patienten von der Zusammenar­beit etwa mit den Kliniken in Ostfriesla­nd und dem Oldenburge­r Land haben: kürzere Wartezeite­n, kürzere Anfahrtsze­iten, erhöhte Qualität der Versorgung und so weiter. Und die Krankenhäu­ser profitiere­n natürlich auch, sie können zum Beispiel ihre teuer angeschaff­ten Apparate viel häufiger nutzen.

Jetzt müssen nur die Krankenver­sicherunge­n auf beiden Seiten der Grenze noch mitspielen, derzeit tun sich die niederländ­ischen da etwas schwer. Und die eine oder andere Sprachbarr­iere muss abgebaut werden. Aber da ist man etwa mit der European Medical School auch schon dran.

 ??  ?? In den Niederland­en: c c De Sionsberg (138 Betten) MCL Leeuwarden (753 Betten)
Nij Smellinghe, Drachten (339 Betten)
Antonius Ziekenhuis, Sneek (307 Betten)
UMCG Groningen (1339 Betten)
Martini Ziekenhuis, Groningen (580 Betten)
Wilhelmina...
In den Niederland­en: c c De Sionsberg (138 Betten) MCL Leeuwarden (753 Betten) Nij Smellinghe, Drachten (339 Betten) Antonius Ziekenhuis, Sneek (307 Betten) UMCG Groningen (1339 Betten) Martini Ziekenhuis, Groningen (580 Betten) Wilhelmina...

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