MEDIZIN Oarum es sich lohnt, einen Blick auf das Gesundheitssystem der Niederlande zu werfen
DIE EUROREGIONALE VERSORGUNGSREGION
Jenseits der Grenze funktioniert das Gesundheitswesen anders. Doch die Grenzre2ion hindert das nicht, weiter zusammenzuwachsen – 2erade im Gesundheits4ereich.
DEN HAAG/HANNOVER – NieKersachsen hat knapp 8 Millionen Einwohner und fast 200 Krankenhäuser. Die Niederlande haben gut 17 Millionen Einwohner und nicht mal 100 Krankenhäuser. Und dennoch schaffen sie es im Euro Health Consumer Index 2016, der die Zufriedenheit von Patienten innerhalb Europas untersucht, auf Platz eins, genauso wie im Jahr davor und im Jahr davor.
Deutschland erreicht Platz sieben von 35. Sicher, das ist auch nicht schlecht, aber es geht offenbar besser. Zumal zuletzt viele Klagen über das hiesige System laut wurden, Klinikfusionen und -schließungen anstehen und gerade in Niedersachsen eine Novellierung des Krankenhausgesetzes ansteht, eines der letzten offenen Projekte von Rot/Grün in dieser Legislaturperiode. Es lohnt sich also einmal, einen Blick auf das Gesundheitssystem des Nachbarlandes zu werfen.
Nun ist es sicherlich nicht so, dass die Niederländer deutlich seltener medizinische Hilfe bräuchten als die Niedersachsen nebenan. Aber sie erhalten anders Hilfe als ihre Nachbarn. Caspers Lombaers, Direktor für heilende Pflege im niederländischen Gesundheitsministerium, spricht von einer Pyramide, und die läuft sehr spitz zu.
An der Spitze stehen die acht hoch spezialisierten Uniklinken. Dann die 79 „normalen“Krankenhäuser. Darunter die etwas mehr als 300 Facharztzentren, kleine Augenkliniken beispielsweise. Und am Fuß sind die rund 9000 Hausärzte und 123 Notfall-Praxen. Sie sind die Basis der Pyramide, sie sind der Grund, weshalb die Niederländer mit ihrer Gesundheitsversorgung so zufrieden sind.
„Der Hausarzt hat bei den Niederländern einen sehr guten Ruf“, erklärt Lombaers. Und auch im Gesundheitsministerium ist man überzeugt: Je näher am Zuhause geheilt und gepflegt wird, desto so besser. Der Patient hat nicht so weite Wege bis zur Hilfe, er hat einen persönlichen Bezug zum Arzt, und da sind auch noch die deutlich geringeren Kosten. 26 Milliarden Euro kostet die stationäre Behandlung im Jahr, 3 Milliarden Euro die ambulante Behandlung, führt Lombaers auf. Dabei machen letztere den Großteil aus. Auf 20 Besuche bei einem Hausarzt kommt nur eine Überweisung an ein Krankenhaus. Und – Notfälle außer Betracht gelassen – man braucht in den Niederlanden die Überweisung des Hausarztes für eine Krankenhausaufnahme. Und die kriegt man nur, wenn der Hausarzt wirklich nicht weiterhelfen kann. Der Hausarzt als Lotse, der alle Behandlungsschritte des Patienten abstimmt und koordiniert. Dem Hausarzt kommt in den Niederlanden eine große Aufgabe zu – und er hat eine große Aufgabenfülle. Doch er steht damit nicht allein. Denn zusätzlich zu den 9000 Hausärzten gibt es unter anderem 18000 häusliche Krankenpfleger, vergleichbar mit den früheren Gemeindeschwestern in Niedersachsen. Und die häuslichen Krankenpfleger sind nicht die einzige Hilfe für die Hausärzte. Seit Neustem kommt einmal die Woche eine Fachkraft für psychiatrische Fälle in die Hausarztpraxen, damit auch Patienten mit psychiatrischen Störungen dort Hilfe finden, erläutert Lombaers. Es wird außerdem an einem besseren Computersystem gearbeitet, damit den Behandelnden auch wirklich alle notwendigen Patientendaten zur Verfügung stehen. Das Land lässt den Hausärzten zudem mehr Freiraum. Bloß ein Antrag – und es gibt eine Ausnahme von dieser oder jener Regulation. Und dann istdanochdasGeld. Auch in den Niederlanden steigen die Kosten für das Gesundheitssystem, und zwar mehr als die Wirtschaftsleistung. Nun werden sie gesetzlich gedeckelt: Die Kosten für die stationäre Behandlung dürfen nur noch maximal um ein Prozent pro Jahr steigen, die für die ambulante Behandlung hingegen um fast drei Prozent. Das heißt: Die Pyramide des Gesundheitswesen soll noch spitzer zulaufen, weniger Aufgaben für die Krankenhäuser, mehr Aufgaben für die Hausärzte. Doch gibt es überhaupt genug Hausärzte, auch auf dem platten Land? In Niedersachsen nimmt der Leerstand von Praxen schließlich Jahr für Jahr zu: Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) vermeldete zuletzt 335 freie Hausarztpraxen. Das sind zehn mehr als 2016 und 28 mehr als 2015. Und dabei gibt es in Niedersachsen schon einige Programme zur Landarzt-Gewinnung: Seit Ende vergangenen Jahres gibt es ein entsprechendes Stipendien-Programm für Medizinstudenten. Außerdem können junge Mediziner, die sich in ländlichen Regionen niederlassen, einen Investitionskostenzuschuss erhalten. Manche Kommunen würden einem Bewerber gar eine komplett ausgestattete Praxis zur Verfügung stellen. Und dennoch findet sich einfach kein Nachfolger für den alten Hausarzt. In den Niederlanden ist dieses Problem nicht so gravierend, heißt es in Den Haag von offizieller Stelle. In den nördlichen Provinzen Drente, Groningen und Friesland ist man bei diesem Thema nicht ganz so optimistisch, dort machen sich der demografische Wandel und die Landflucht der jungen Leute schon deutlicher bemerkbar. Und auch in den Niederlanden gilt: Wo weniger Menschen leben, gibt es weniger Mediziner. Die Uniklinik Groningen ist die einzige weit und breit, alle anderen sieben sind im dicht besiedelten Süden angesiedelt. Die anderen Krankenhäuser im Norden sind deutlich kleiner und haben ähnliche Sorgen wie die diesseits der Grenze.
Deshalb haben sich Groningen und Co. ein anderes Rezept verschrieben: Kooperation über die Landesgrenze hinweg. Nach dem Motto: Zwei eher strukturschwache Regionen ergeben eine sehr starke euroregionale Verbundregion. Dr. Victor Verrijp, Leiter Strategie und Entwicklung an der Uniklinik Groningen, zählt begeistert die Vorteile auf, die Patienten von der Zusammenarbeit etwa mit den Kliniken in Ostfriesland und dem Oldenburger Land haben: kürzere Wartezeiten, kürzere Anfahrtszeiten, erhöhte Qualität der Versorgung und so weiter. Und die Krankenhäuser profitieren natürlich auch, sie können zum Beispiel ihre teuer angeschafften Apparate viel häufiger nutzen.
Jetzt müssen nur die Krankenversicherungen auf beiden Seiten der Grenze noch mitspielen, derzeit tun sich die niederländischen da etwas schwer. Und die eine oder andere Sprachbarriere muss abgebaut werden. Aber da ist man etwa mit der European Medical School auch schon dran.