Nordwest-Zeitung

Als ein Wildschwei­n in der Tür baumelte

Oberer Teil der Haarenstra­ße sofort dabei – Unterer Teil gehört seit 1974 dazu

- VON KARSTEN RÖHR

Die Haarenstra­ße ist ein Beispiel für die Einkaufsst­raßen in der Innenstadt. Bewohner erinnern sich an die damalige Zeit.

OLDENBURG – Als die Fußgängerz­one im August 1967 eröffnet wurde, öttelten die Autos vom Julius-Mosen-Platz munter weiter durch die Haarenstra­ße, dann links in die Mottenstra­ße und wieder links in die Kurwickstr­aße, in die Wallstraße, oder zum Tanken und Parken auf den Waffenplat­z – alles weiterhin Autobereic­h.

Dass die Haarenstra­ße seit dem 1. November 1974 komplett dazugehört, „ist ihrer Eigeniniti­ative und ihrem Verhandlun­gsgeschick zu verdanken“, hieß es in der Festschrif­t zum 25-jährigen Bestehen. Die Kaufleute hatten zwar schon 1967 eifrig verhandelt, aber die Kassen waren leer. Anfang der 70er-Jahre kam die Zusage der Stadt – und Jahr für Jahr die Verschiebu­ng. Da handelten die Kaufleute. Sie holten sich eine Kreditzusa­ge der Bank, trafen sich im März ’74 mit den Fraktionen, OB Fleischer, Oberstadtd­irektor Wandscher und Oberbaurat Neidhardt – und handelten die umgehende Umsetzung aus: bei eigener Vorleistun­g und Rückzahlun­g durch die Stadt bis März 1975. Jetzt endlich konnte es auch für den unteren Teil losgehen.

Peter Paraat-Zierrath (75) aus dem Tabakwaren- und Lottogesch­äft (heute Lollipop), das 1912 gegründet worden war, erinnert sich: „Wir haben das sehr begrüßt. Zur Eröffnung wurde ein großes Straßenfes­t gefeiert. Schon damals bildeten die Kaufleute in der Haarenstra­ße, denen wir das verdankten, eine starke Gemeinscha­ft.“

Die Haarenstra­ße hat sich dieses Gemeinscha­ftsgefühl bewahrt, wie die selbst organisier­te Beteiligun­g am neuen Pflaster, die eigene Weihnachts­beleuchtun­g, Spiel-Installati­onen, Bäume, Bänke oder die gemeinsam gepflegten Blumenkäst­en zur Stadtgarte­n-Zeit zeigen. Natürlich hat sich auch einiges geändert. Peter Paraat: „Wo heute das Venezia ist, war früher Holert Kolonialwa­ren. Wenn der Kaffee röstete, roch die ganze Innenstadt.“Später kam Luigi Sehr lange ein prägender und wichtiger Teil der Haarenstra­ße und der gesamten Innenstadt: das Einzelhand­elsgeschäf­t Carl Wilh. Meyer, vor dem damals noch locker mit dem Auto geparkt werden konnte. Vor Bruns links ab: Bis 1974 fuhren hier Autos.BILD:

Sarto aus Caorle (Vater der deutschen Schauspiel­erin Clelia Sarto) und eröffnete das Venezia. An den StadtfestM­orgenden „saßen alle aus der Haarenstra­ße gemütlich vor ihren Geschäften“, erzählt Paraat. „Das war eine besondere Stimmung.“Es war die Zeit, als auf der Ecke zur Burgstraße (heute Juwelier Simon) noch Feinkost Wuttig war – mit seinem Wildschwei­n in der Tür. Nachfolger wurden Hinrichs, dann Klöter.

Überhaupt war an Lebensmitt­eln in der Innenstadt kein Mangel – etwa mit Hansi Kunzes Obst und Gemüse an der Gaststraße (heute Tafelhaus). Paraat: „Wir haben immer gesagt: Zuckersüße Zitronen – weil der einfach alles hatte.“Stark vermisst Paraat „die Schlachter­eien: Monse, Klaue und Kreyenborg und das Lebensmitt­elgeschäft von Meta Schwarting. Aber auch Geschäfte Neuer Anzug mit Krawatte: So sah das damals im Männermode­geschäft Bruns an der Haarenstra­ße aus.

wie Zierrath („Das gute Bett von A bis Z“), Juwelier Ludwig oder Sport Mohr sind verschwund­en, wie die Weinstube mit dem Friseur – zwischen heutigem Zara und dem Stammhaus von Bruns.

Die Öffnungsze­iten wurden früher lockerer gehandhabt als heute. Paraat sagt: „Das ging so: ,Guck’ mal ’raus, wenn der Nachbar schon zu hat, machen wir auch zu.“Das war noch vor 1967 – als sich die Geschäftsl­eute morgens erstmal rasieren ließen, dann in „Döns“Weinstube bei Doris ein Glas tranken und weiter zu Paraat: „Ein’ in de Schnuut, fünf in de Tuut – dann bekakelten sie alles“, erinnert sich Paraat, der seine Stadt und seine Fußgängerz­one auch wegen dieser Gemütlichk­eiten liebt: „Ich sag’ immer, Oldenburg ist eine Großstadt mit Dorfcharak­ter – und das ist schön."

Zeitzeugin ist auch Helga Holert (84), die seit 60 Jahren in der Haarenstra­ße lebt. In ihrer Erinnerung war die Fußgängerz­one damals umstritten – „auch weil die Busse ’raus mussten, das hat viele Diskussion­en gegeben“. Zu der Zeit „war die Lange Straße Kaufstraße und die Haarenstra­ße Laufstraße“. Auch deshalb wollte die Haarenstra­ße unbedingt dazugehöre­n.“Die Rechnung ist aufgegange­n.

„50 Jahre Fußgängerz­one“– das weckt auch bei Helga Holert Erinnerung­en an die Einzelhänd­ler der Haarenstra­ße von damals: das Porzellanh­aus Büsing, Drogerie Storandt, Schmuck Schausten, die Bücherleih­e, die Gaststätte­n Wiggers und Helms, Obst und Gemüse Feldhus, Hungerland, Kielmann, Bäcker Harms, Schneider Meinecke und Spielwaren Schostak, Wäsche Hullen, Hüte von Anni

Fink, später Trachtenmo­de, heute Backstage, natürlich Holzberg und Isensee, Schuh Schütte, Haushaltsw­aren Damke, Zierrath, C.W. Meyer, Wellmann Schreibmas­chinen, die Annett Boutique (heute Jump), die ein Stück Paris in die Haarenstra­ße brachte.

Die Inhaber „wohnten damals fast alle oben überm Laden“, erzählt Helga Holert, die die veränderte Parksituat­ion auch in Verbindung mit dem späteren Wegzug vieler Menschen bringt: „Wir hatten unser Auto, zuerst einen kleinen Fiat, dann einen 12 M, natürlich zuerst bei Giese am Waffenplat­z stehen – damit war dann leider Schluss.“

Am Donnerstag: „Avantgardi­stische Modegeschä­fte in jener Zeit“

@ Mehr Infos unter https://www.nwzonline.de/ stadtgesch­ichte-oldenburg/ oldenburge­r-fussgaenge­rzone

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