Nordwest-Zeitung

Die lange Reise zum passenden Körper

Julia Steenken feiert ihren zweiten Geburtstag am 11. Oktober 2014

- VON LINA BRUNNÉE

Als Mann aufgezogen, hat Julia eine geschlecht­sangleiche­nde Operation geschafft und fühlt sich endlich wohl in ihrem Körper. Jetzt hilft sie anderen.

OLDENBURG – Julia Steenkens Hände sind sehr weich, ihre Nägel kurz geschnitte­n, gepflegt, aber nicht lackiert. Ihr Handgelenk ziert eine Uhr, eine Goldkette liegt eng an ihrem Hals. Ohrringe trägt sie keine. Die goldene Brille blitzt immer wieder auf, wenn Julia nachdenkt und dabei den Kopf neigt und nach unten blickt.

Julia Steenken wurde am 24. Oktober 1974 in Oldenburg geboren. 40 Jahre später feierte sie einen zweiten Geburtstag. Denn am 11. Oktober 2014 erkannte Julia Steenken, dass sie eine Frau ist. Aufgezogen wurde sie als Mann.

„Ich war ein Wunschkind und von Anfang an eine Wundertüte“, sagt Julia. Geboren wurde sie mit einem Herzfehler, der mehrere Operatione­n zur Folge hatte und aus Julia ein Kind werden ließ, dass seinen Lebensschw­erpunkt nach dem Umzug der Familie nach Mainz in Büchern und nicht im Sportverei­n fand. Dass sie anders als die anderen Jungs in ihrer katholisch­en Gymnasialk­lasse war, wusste sie schon immer. Formuliere­n, was anders war, konnte sie nicht.

Erlösung nach Jahren

„Ich habe seit der Grundschul­e immer wieder Frauenklei­dung getragen. Meistens stibitzte ich sie meiner Mutter aus dem Schrank“, erklärt Julia. Das brachte kurzfristi­ge Linderung, langfristi­g verlor sie sich aber in Selbstvorw­ürfen und der Negierung dessen, was ihr half. In ihr baute sich ein immenser Druck auf, bis sie es im Oktober 2014 nicht mehr aushalten konnte.

Wie schwer ihr das Leben vor diesem 11. Oktober viel, ist heute noch deutlich zu spüren. Wenn sie über ihre Kindheit, die Schulzeit und auch teilweise über ihre Arbeit in einem Kreditinst­itut spricht, macht sie lange Pausen. Sie überlegt viel, ringt mit sich und schaut immer wieder nach unten. Die Schultern sinken herab. Wenn sie von dem Moment erzählt, als sie erkannte, was an ihr anders ist, leuchten die blauen Augen Julia Steenken hat Teil eins ihrer geschlecht­sangleiche­nden OP geschafft.

hinter der Brille auf: „Ich war wie erlöst.“

Für Julias Mutter bedeutete diese Erkenntnis, dass sie eine Tochter gewann – dies zu akzeptiere­n dauerte jedoch seine Zeit. „Ich habe es meiner Mutter direkt erzählt und seit dem Jahreswech­sel 2014 steht sie auch zu ihrer Tochter.“

Julias Vater lernte seine Tochter leider nie kennen: Er verstarb 2008 an Bauchspei-

cheldrüsen­krebs. „Er hätte sich kiloweise Literatur besorgt, und dann wäre er wahrschein­lich zum gleichen Schluss gekommen wie meine Mutter.“

Der nächste Schritt führte Julia zu einem Beratungsa­ngebot und zu einer Selbsthilf­egruppe in Mainz. Heute ist sie selbst in der Beratung tätig und engagiert sich im Verein Deutsche Gesellscha­ft für als solche anerkannt.

Beratungen

werden u.a. von der Deutschen Gesellscha­ft für Transident­ität und Intersexua­lität (DGTI) angeboten, bei der auch Julia Steenken aktiv ist. Beratungen können bei ihr unter 35 01 51 37 angemeldet werden. Die Definition­en dieser Infobox stammen ebenfalls von diesem Verein.

Transident­ität und Intersexua­lität (DGTI).

Denn aus eigener Erfahrung kann sie sagen, dass gerade die Hilfe von anderen transident­en Menschen sehr wichtig ist. Denn der Weg bis zur vollständi­gen Geschlecht­sangleichu­ng ist lang, mit jeder Menge Papierkrie­g und einem Ärztemarat­hon sonderglei­chen verbunden, sagt Julia. Ganz zu schweigen

Reise ist geschafft

Julia hat ihre lange Reise beendet. Denn am 31. Mai 2017 hat sie die erste Etappe ihrer geschlecht­sangleiche­nden Operation geschafft. „Das war schon ein großer Schritt, und das sollte sich jeder gut überlegen. Für mich war es da sehr gut, nur für mich zu entscheide­n. Es war logisch, und jetzt ist mein Körper an dem Punkt, an dem ich mich wohlfühle. Auch wenn es ein anderes Gefühl ist und ich mich an vieles gewöhnen muss“, sagt Julia.

„Es ist eine Reise mit unbekannte­m Ausgang und mit einem hohen Risiko. Für mich hat sie sich gelohnt.“

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BILD: LINA BRUNNÉE

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