Nordwest-Zeitung

Schlacht um die Deutungsho­heit

G20-<traßenkämp­fe, die Linke und der Streit um politische Gewalt

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Kach den Straßensch­lachten in Hamburg tobt die Schlacht um die Deutungsho­heit. Im Kern geht es um die Frage: War der Straßenter­ror vom Wochenende linksradik­al? Waren die Randaliere­r Linke? Oder waren sie es eben nicht?

Daran verkämpfen sich zurzeit sämtliche Parteien links der Mitte. Am härtesten aber die SPD. Seit Samstagabe­nd bombardier­t der stellvertr­etende Parteivors­itzende Ralf Stegner im sozialen Netzwerk Twitter seine Mitleser mit einem Strom von Nachrichte­n, die nur ein Ziel haben: Die Ereignisse von Hamburg bloß nicht in einen linken Kontext zu stellen. Da heißt es etwa: „Das waren keine Linken, sondern Kriminelle.“Und weiter: „Ideologisc­h gesehen, ist die Verherrlic­hung von Gewalt eher rechte Gesinnung. Schwarzer Block und Hooligans sind Kriminelle – keine Linken!“Rückendeck­ung gab’s von Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD), der sich mit dem Satz „Gewalt der Autonomen hat nichts mit ,linken Motiven‘ zu tun“in die Debatte einschalte­te.

So verständli­ch diese Strategie politisch sein mag, so ahistorisc­h und kontrafakt­isch ist sie. Zudem gebricht es an Logik, denn wer sagt denn, dass Linke keine Kriminelle­n sein können?

Wer etwas über linksradik­ale Gewalt erfahren will, beginnt damit am besten bei Verfassung­sschutzber­ichten. Auch in SPD-Ländern ist die ideologisc­he Kategorisi­erung autonomer Schlägertr­upps als „links“eindeutig. Vor dem G20-Gipfel in Hamburg hat sich zudem die Lektüre der wichtigste­n linksradik­alen Internet-Plattform Indymedia empfohlen. Hier wurde monatelang mobilisier­t. Der linke ideologisc­he Unterbau war selbstrede­nd.

Natürlich hat die linksradik­ale Szene in Deutschlan­d kein Zentralkom­itee, keinen Parteivors­tand und kein Oberkomman­do für allfällige Randale. Die Szene ist weltweit dezentral aufgestell­t, aber eng vernetzt. Das war übrigens auch schon vor dem Internet

so. Knotenpunk­te und Anlaufstel­len dieser Netzwerke sind „autonome Projekte“– in der Regel besetzte Häuser – oder im Laufe der Zeit legalisier­te „Wohnprojek­te“.

Ideologisc­h hat man es in der Regel mit einer Spielart des Anarchismu­s, gemischt mit marxistisc­her Klassenkam­pftheorie, zu tun. Das geht dann so: Weil die kapitalist­ische Gesellscha­ft ein Ausbeuters­ystem ist, muss diese Gesellscha­ft komplett beseitigt werden, um auf ihren Trümmern ein nicht näher bestimmtes egalitäres und kollektivi­stisches Paradies aufzubauen. Diese „Zerstörung“ist dabei ganz wörtlich zu nehmen und bezieht sich neben allem, was das „Schweinesy­stem“– also den demokratis­chen Verfassung­sstaat – repräsenti­ert, auch auf Strukturen und Symbole des bürgerlich­en Privatlebe­ns.

Derart ideologisc­h gefestigt mögen die wenigsten sein, die da in Hamburg randaliert haben. Doch darauf kommt es nicht an. Solche Überzeugun­gstäter sind wie Kondensati­onskerne, um die sich gewaltbera­uschtes Fußvolk sammelt, das schließlic­h eine kritische Masse bildet. Anderersei­ts sind wie Kommandoak­tionen anmutende Anschläge etwa auf die Bundeswehr in Dresden Produkte eben jener ideologisc­h gefestigte­n Zellen. Strukturen und Vorstellun­gen dieser Art offenbaren sich schnell, verbringt man Zeit in den Gemeinscha­ftsküchen besetzter Häuser.

Fragte man dort nach, ob dies alles denn nun „links“sei, würde man Verständni­slosigkeit ernten. Mit Recht. Denn diese Subkultur ist zum einen ihrem Selbstvers­tändnis nach ein Teil der Linken. Zum anderen sind die Stegners und Gabriels dieser Welt nicht diejenigen, die papstgleic­h darüber befinden könnten, wer denn nun „links“ist.

Wie fast jede politische Ideologie ist „links“janusköpfi­g. Hier die demokratis­che Linke, deren Ziel darin besteht, gesellscha­ftliche Verhältnis­se gewaltfrei zu verändern. Dort die radikale Linke, die Gewalt nicht nur akzeptiert, sondern sie geradezu zu einem Fetisch macht. Beiden gemeinsam sind kollektivi­stische, eigentumsf­eindliche Gene und eine Vorliebe für die Schaffung eines „neuen Menschen“, der unbedingt ideologisc­he Vordenker benötigt, um zu seinem Glück gedrängt zu werden, das er allein unfähig ist zu finden. Historisch war Gewalt immer Teil linker Praxis. Zu Zeiten dominierte sie diese sogar. Der Anarchismu­s des 19. Jahrhunder­t ist so ohne die Verherrlic­hung des politische­n Mordes nicht zu denken, und kommunisti­schen Parteien sind Fleisch vom Fleische der Sozialdemo­kratie. Man teilte zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts marxistisc­he Vorstellun­gen, war sich nur über den Weg ins klassenlos­e Paradies uneins. Namen wie Lenin, Stalin oder Mao stehen für die Gewalttrad­ition – und für viele Millionen Tote.

Stegner hat zudem unrecht, wenn er leugnet, dass es in der Linken Gewaltverh­errlichung gebe. Die Achtundsec­hziger verehrten kommunisti­sche Schlächter wie Heilige. Noch heute pflegt die Linke insgesamt ein fast erotisches Verhältnis zu dem brutalen Gewaltmens­chen Ernesto Guevara, der sich den Revolution­är als „selektive und kalte Tötungsmas­chine“wünschte. In Deutschlan­d kulminiert­e das in der RAF und einer ohne Zweifel linken Ulrike Meinhof, deren Credo „natürlich kann geschossen werden“lautete.

Es ist also eine selbst gewählte politische Krankheit, wenn sich Stegner & Co dem Janusgesic­ht nicht stellen. Ehrliche Auseinande­rsetzung wäre nützlicher für sie selbst als alles Wüten, Schimpfen und die Diffamieru­ng derjenigen als Dummköpfe, die auf solche Zusammenhä­nge hinweisen. Hohe Zeit also für die Rote Pille – und eine anschließe­nde gründliche historisch­e und ideologisc­he Säuberung des gewaltvers­euchten Kaninchenb­aus.

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