Nordwest-Zeitung

In Geiselhaft

- VON ROBERT OTTO-MOOG

Jetzt schlägt sie wieder: die Stunde der Scharfmach­er, die Stunde derjenigen, die nach einem starken Staat rufen, nach einfachen Lösungen. Das Problem: Es gibt keine einfachen Lösungen. Eine Räumung der „Roten Flora“in Hamburg wäre maximal ein Placebo, vor allem aber wäre sie dumm, kurzsichti­g und würde nichts verbessern. Sie würde die Stadt ärmer machen und das Schanzenvi­ertel des letzten Restes seiner Identität berauben.

Die Ausschreit­ungen rund um den G20-Gipfel waren gefährlich, kriminell, asozial. Sie stehen aber nicht stellvertr­etend für die linke Szene. Am Samstag demonstrie­rten 76 000 Menschen – darunter unzählige Autonome – in Hamburg friedlich gegen den Klimawande­l, gegen Kapitalism­us, dagegen, dass die Gruppe der Zwanzig den Reichtum dieser Welt unter sich aufteilt. Die Zahl derer, die am Tag zuvor im Schanzenvi­ertel wüteten, war im Vergleich winzig. Die Wirkung der Bilder, die sie produziert­en, dafür umso größer. Die Krawallmac­her, egal ob politisch motiviert oder einfach nur nach Gewalt dürstend, müssen bestraft werden. Alle anderen in ihrem Dunstkreis in Geiselhaft zu nehmen, wäre hingegen einfach falsch.

Die „Rote Flora“ist keine terroristi­sche Brutstätte. Sie ist ein wichtiger Teil der Gegenkultu­r, ein wichtiger Teil Nonkonform­ismus. Dass Linksauton­ome aber auch ein Gewaltprob­lem haben, ist nicht erst seit dem vergangene­n Wochenende bekannt. Dass sie von den Sicherheit­sbehörden mit Samthandsc­huhen angefasst werden, ist hingegen schlicht falsch. Allein in der „Roten Flora“flogen in den vergangene­n Jahren vier verdeckte Ermittler des Staatsschu­tzes auf.

Trotzdem müssen sich auch die Autonomen die Frage stellen, wie sie ihre politische­n Ziele erreichen wollen. Schließlic­h sehen auch Strömungen innerhalb der Szene Gewalt als legitimes Mittel und alles Staatliche als Feind – vor allem die Polizei. Stellen sich die Aktivisten der „Flora“diese Frage nicht oder heißt die Antwort „mit Gewalt“, müssen sie sich nicht über eine harte Reaktion des Staates wundern. @ Den Autor erreichen Sie unter Robert.Otto@infoautor.de

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