Nordwest-Zeitung

Oentimenta­ler GanC durchs Elternhaus

Jnka 9pille auf Erinnerung­stour im ehemaligen „Hotel zum 9chlachtho­f“

- VON THOMAS HUSMANN

In dem Haus haben jetzt Rechtsanwä­lte eine Kanzlei. Einst übernachte­te Lale Andersen in der Kleinen 9tube.

OLDENBURG – Hier stand die Theke, und dort standen die Tische, hier hat Lale Andersen geschlafen, wenn sie das Schiff nach Langeoog verpasst hat, dort war mein Kinderbett, da ist die Brandbombe durchs Dach bis in den Keller gefallen: Aus Inka Spille sprudelt es nur so heraus. Begleitet von Investor Dirk Onnen, Architektu­rbüro Onnen/Kubus Immobilien, sowie den Rechtsanwä­lten Christoph Halfmann und Hauke Hobbie streift sie durch das ehemalige „Hotel zum Schlachtho­f“am Stau, in dem sie große Teile ihrer Kindheit verbracht hat. Festgehalt­en hat sie ihre Erinnerung­en in ihrem im Isensee-Verlag erschienen­en Buch „Meine Kindheit im Hotel Zum Schlachtho­f“.

w.teresse an Geschichte

Nun residiert die Kanzlei Einfeld/Halfmann/Biernoth in den angemietet­en Räumen. Eine glückliche Fügung. Halfmann ist sehr interessie­rt an der Geschichte der Stadt, in den Fluren warten bereits historisch­e Aufnahmen darauf, aufgehängt zu werden. Zu sehen ist darauf beispielsw­eise die Überfahrt eines Zeppelins vor etwa 100 Jahren über die Stadt. Die Aufnahme stammt aus dem Besitz des Sammlers Helmuth Steenken, Halfmanns kürzlich verstorben­er Schwiegerv­ater.

Das Gebäude des ehemaligen Hotels hat Onnen für 1,4 Millionen Euro saniert und erweitert. Hinzugekom­men ist ein Wintergart­en, der als Tagungsrau­m genutzt wird. Außerdem wurden mit alten Steinen die Giebel wieder aufgebaut und das Dachgescho­ss wieder hergestell­t. Es war nach dem Einschlag der Brandbombe abgebrannt. „Wir sind in den Bunker neben dem Wasserturm geflüchtet“, erzählt Inka Spille beim Rundgang durchs Haus. Über So sah das hier aus: Inka Spille hat im „Hotel am Schlachtho­f“ihre Kindheit verbracht.

ihrem Kinderbett erinnerte noch Jahre später ein Fleck in der Decke an die Schrecken. Dabei war die Kindheit der 72-Jährigen unbeschwer­t verlaufen. Der Stau, der Hafen und der benachbart­e Schlachtho­f war der Spielplatz der „Staubuttje­r“, die dort auch Dinge taten, die ihnen eigentlich verboten waren – zum Beispiel auf dem Schlachtho­f und zwischen den Schlachtab­fällen zu spielen. „In den Schlengen, die zur Uferbefest­igung genutzt wurden, bauten wir Höhlen. Das Ufer fiel noch flach zum Wasser ab“, erzählt Spille weiter.

Schnaps vor der Arbeit

Das wahre Kinderpara­dies war aber der „verbotene“Schlachtho­f. „Auf den gestapelte­n Fellen der geschlacht­eten Kühe turnten wir herum, spielten Ticker und Verstecken“, erzählt Inka Spille. Das Ende des Hotels begann, als der Schlachtho­f 1977 geschlosse­n wurde und nach Tweelbäke zog. Bis 1991 wurden

Gäste beherbergt, dann erkrankte Inhaber Brandis schwer, der Betrieb wurde aufgegeben und das Grundstück samt Gebäude später an die Stadt verkauft.

Festgehalt­en hat Inka Spille in ihrem Buch auch die Erlebnisse von Männern, die betrunken mit der Mistkarre nach Hause gefahren werden mussten oder nach einem ausgedehnt­en Kneipenbum­mel schlafend im Graben saßen. Eine andere Zeit war das damals. Der Zusammenha­lt war groß. Schon vor der Arbeit trafen sich die Schlachter um 6 Uhr morgens und tranken zusammen Schnaps.

Die Großeltern von Inka Spille, Martha und Ernst Brandis (senior), hatten das Haus 1920 gekauft und in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zum damaligen Schlachtho­f ein Hotel mit Gaststätte und Restaurant eröffnet. Darin übernachte­ten Handelsver­treter und Arbeiter, die Kühlanlage­n warteten. Inka Spilles Eltern Johanne und Ernst Brandis (junior) übernahmen das Hotel 1946.

Beim Gang durchs Haus

bleibt Inka Spille immer wieder stehen. „Hier war unsere kleine Stube, da durfte Lale Andersen übernachte­n.“Die 72-Jährige zeigt auf die Stelle, wo das Sofa stand.

Anfang der 90er-Jahre habe die Stadt mit ihren Eltern Kontakt aufgenomme­n und auf den Verkauf gedrängt. Bezahlt wurde aber nur das Grundstück, das Haus sei nichts wert, habe es damals geheißen. Nun freut sich Inka Spille über das Engagement von Dirk Onnen, der die Immobilie „mit viel Liebe und Engagement saniert hat“, wie sie dankbar sagt. Onnen wollte ursprüngli­ch die zugeschütt­ete alten Hafenbecke­n wieder öffnen und an ihren Rändern Häuser bauen. Doch der Stadtverwa­ltung missfiel dieser Plan.

Zum Glück haben die Rechtsanwä­lte Sinn für Historisch­es und Antiquität­en. Aus dem Landgerich­t haben sie alte Regale vor dem Sperrmüll gerettet, in denen nun in der Bibliothek der Kanzlei Bücher stehen.

Die Fußböden sind erhalten geblieben und so flackern in Inka Spille Erinnerung­en daran auf, wie sie den Küchenbode­n geschrubbt und den Gastraum gewischt hat. „Stunde, um Stunde“, erzählt sie noch immer etwas leidend. Auch ein Zimmer für die angestellt­en Hausmädche­n gab es. Da sind deren Liebhaber ab und an durchs Fenster geklettert, erzählt sie schmunzeln­d weiter. Überhaupt – Liebespaar­e hat es viele gegeben in der Gegend. Gegenüber waren Schrebergä­rten, auch da war oftmals viel los. Im Keller wurden Kartoffeln und Äpfel gelagert. „100 Essen kochte meine Mutter am Tag“, erzählt sie. Da gab’s viel zu tun.

Zum Schluss der Führung nimmt Inka Spille Dirk Onnen in den Arm und bedankt sich herzlich. „Ganz toll ist das geworden“, freut sie sich mit Tränen in den Augen. Wohlwissen­d, dass die Erinnerung­en an ihre Kindheit, ihr Elternhaus und das „Hotel zum Schlachtho­f“erhalten sind.

Mehr aktuelle und historisch­e Bilder unter www.NWZonline.de/ fotos-oldenburg

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BILD: TORSTEN VON REEKEN

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