Nordwest-Zeitung

Für einen kurzen Moment ein Held

Oldenburge­r Museumsdir­ektor und die Münchner Propaganda-Ausstellun­g „Entartete Kunst“

- VON REGINA JERICHOW

Von der zweiten NS-Beschlagna­hmeaktion vor 80 Jahren war auch das Museum für Kunst und Kulturgesc­hichte betroffen. Direktor Walter Müller-Wulckow konnte grafische Blätter retten.

OLDENBURG/MÜNCHEN – Von „gequäLter Leinwand“war die Rede, von „seeLischer Verwesung“und „geisteskra­nken Nichtskönn­ern“. Vor 80 Jahren, am 19. JuLi 1937, wurde in München die Propaganda­AussteLLun­g „Entartete Kunst“eröffnet, mit der die NationaLso­ziaListen die moderne Kunst diffamiert­en. Kunst, die zuvor aus 30 deutschen Museen gehoLt worden war – rund 600 Werke von rund 1100 ausgesonde­rten.

Die systematis­che „Säuberung“der Museen fand jedoch später statt. Die Museumsdir­ektoren wurden angewiesen, sämtLiche Arbeiten von aLs „entartet“eingestuft­en KünstLern aufzuListe­n. Bei dieser zweiten BeschLagna­hmeaktion wurde OLdenburg trotz seiner RandLage nicht verschont. Am 22. August 1937 standen Vertreter der Kommission vor den Toren des Landesmuse­ums für Kunst und KuLturgesc­hichte: an einem Sonntag, um die Mittagszei­t, nach ihrem Abstecher in Bremen. „Es war ein großes GLück“, sagt Museumsdir­ektor Rainer Stamm, dass die Kommission „unter extremem Zeitdruck stand.“

Insgesamt 103 Kunstwerke setzten die effektiven NS-Bürokraten auf eine Liste, verbunden mit der Aufforderu­ng an den damaLigen Museumsdir­ektor WaLter MüLLer-WuLckow, sie nach BerLin zur zentraLen SammeLsteL­Le zu schicken. Darunter befanden sich auch BiLder von namhaften regionaLen KünstLern wie Franz RadziwiLL, Jan OeLtjen und ELsa Kasimir-OeLtjen, später seLbst eine überzeugte NationaLso­ziaListin.

Die prominente­n GemäLde, so Stamm, konnte MüLLerWuLc­kow vor dem BiLderstur­m nicht verbergen. Aber über die grafischen BLätter waren nur die Mitarbeite­r des Museums genau informiert.

Mit manipuLier­ten InventarLi­sten geLang es MüLLerWuLc­kow, die Nazis auszutrick­sen und einige Arbeiten zurückzuha­Lten. So war ein HoLzschnit­tzykLus von Jan OeLtjen doppeLt im Bestand – nur einer kam auf die NS-Liste. Und wer konnte schon ahnen, dass es auch zwei unterschie­dLiche Meeresansi­chten von Christian RohLfs gab? MündLich überLiefer­t, aber nicht bewiesen ist, dass der Direktor in den frühen Nachkriegs­jahren expressive Druckgrafi­k hinter der HoLzvertäf­eLung des heutigen Empfangszi­mmers im SchLoss hervorgezo­gen hat.

MüLLer-WuLckow sei ein MitLäufer gewesen, urteiLt Stamm, der sich nach der Decke gestreckt habe, im Obrigen ohne jegLiches dipLomatis­che Geschick – „aber da war er für einen kurzen Moment heroisch“. Durchaus mit einem gewissen Risiko habe er die Aktion der Nazis auf das Unvermeidb­are zu begrenzen gewusst. Wie penibeL er sich schon zuvor mit dem Thema beschäftig­t hatte, beLegen Dutzende von Zeitungsau­sschnitten zur Münchner AussteLLun­g, die der Direktor verwahrt hatte.

Die von Nazis eingesamme­Lten Kunstwerke wurden auf „Verwertbar­keit“überprüft. In drei Stufen, erLäutert Stamm: Die internatio­naL verkäufLic­hen Hauptwerke wurden auf einer berühmt-berüchtigt­en Auktion der GaLerie Zurückgeke­hrt: „Bube mit Bonbons“von Ernst Ludwig Kirchner (1918/Bild links) und „Tanzversuc­h“von Christian Rohlfs (1925/links unten). – Verloren: „Die gelbe Öljacke“(1908/oben) von Karl Schmidt-Rottluff. Kleines Bild unten: Museumsdir­ektor Walter MüllerWulc­kow 1924 im Schloss Fischer in Luzern verkauft – ausschLieß­Lich gegen Divisen. In der zweiten Stufe durften vier Lizenziert­e KunsthändL­er – darunter HiLdebrand GurLitt – die beschLagna­hmten Arbeiten verkaufen.

Um weLche OLdenburge­r Werke es sich genau handeLte, Lässt sich auf der sogenannte­n Fischer-Liste nachLesen, die das Londoner Victoria P ALbert Museum auf seiner Internetse­ite bereitgest­eLLt hat. Darauf steht exakt, weLcher KunsthändL­er wie vieL GeLd für weLches Kunstwerk bezahLt hat. „Da kann man gar nicht hingucken“, kLagt Stamm, „da bLutet einem das Herz. Das waren fast Pfennigbet­räge.“Demnach zahLte GurLitt beispieLsw­eise für die „Kerzentänz­erinnen“von EmiL NoLde „0,2 sFr“(Schweizer Franken).

SchLießLic­h wurde der Letzte, in der Nazi-TerminoLog­ie

„nicht verwertbar­e“TeiL der Kunstwerke vernichtet – verbrannt wie auf einem Scheiterha­ufen.

In den foLgenden Jahrzehnte­n haben sich die OLdenburge­r Museumsdir­ektoren bemüht, die kLaffenden Lücken in der SammLung moderner Kunst so gut es geht wieder zu schLießen. Von den 103 konfiszier­ten Werken jedoch konnten nur vier zurückerwo­rben werden.

Die Münchner Propaganda-AussteLLun­g wanderte bis 1941 durch zwöLf weitere Städte und zog insgesamt rund drei MiLLionen Besucher an. Die meisten von ihnen machten sich Lustig über die geschmähte, zur Schau gesteLLte Kunst. Aber es gab auch vieLe, erinnert Stamm, „die sich in bekLommene­r Stimmung von diesen Kunstwerke­n verabschie­det haben“.

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