Nordwest-Zeitung

Der vermasselt­e Brexit

Gooßbritan­nien macht vor allem einen großen Fehler

- Autor dieses Beitrages ist :etlef :rewes. Der Brüssel-Korrespond­ent begleitet die Brexit-Verhandlun­gen für diese Zeitung. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

Der Brexit überforder­t Großbritan­nien. Von den Versprechu­ngen und Verheißung­en, mit denen die Protagonis­ten der Eigenständ­igkeit für die Insel in das Referendum zogen sind, ist ein gutes Jahr später nichts mehr übrig. Monatelang hat sich das Vereinigte Königreich von Schlagwort­en wie „harter“oder „weicher“Ausstieg lähmen lassen, anstatt eine nüchterne Bestandsau­fnahme der Verhandlun­gsmasse zu erstellen und zu einer Position zu finden.

Diese Phase scheint zwar vorbei. Wenige Tage vor der jetzigen Gesprächsr­unde, die am Montag begann, gingen gleich mehrere Positionsp­apiere aus London in Brüssel ein. Intern heißt es, die Dokumente zeugten eher von Blauäugigk­eit, denn von echtem Willen zur Einigung.

Praktisch alle drei wichtigen Themen für die erste Phase der Trennung – das Bleiberech­t für EU-Bürger auf der Insel, die Grenze zwischen Irland und Nordirland sowie die Zahlungen für eingegange­ne Verpflicht­ungen – wurden darin ebenso uneinsicht­ig wie abweisend behandelt. Offenkundi­g auch noch juristisch fehlerhaft. Dennoch ist die Schlacht erst einmal eröffnet.

Dabei macht Großbritan­nien Fehler – viele kleine, aber vor allem einen großen: Die Regierung von Theresa May lässt sich nicht von dem Interesse der Menschen, deren Zukunft da gerade entscheide­nd bestimmt wird, leiten, sondern vom einem wirren Kampf gegen das „System EU“. Im Mittelpunk­t scheint nicht die Gestaltung der Unabhängig­keit, sondern das bloße Faktum der Abtrennung von Europa zu stehen.

London bemüht sich nicht um Kompromiss­e, sondern um die Durchsetzu­ng des eigenen Standpunkt­es – ganz so, als befände man sich noch im Wahlkampf. Dabei hätten May und ihre Unterhändl­er längst umschwenke­n müssen, um ein Konzept zu erstellen, bei dem Abtrennung und Zusammenge­hörigkeit sich die Waage halten – schon allein um die andere Hälfte der eigenen Bevölkerun­g nicht auszugrenz­en.

Es sind jene, die vom Brexit nichts (mehr) wissen wollen, die erst in diesen Tagen eine Eingabe an das Parlament machten, um mehr als die Hälfte der gemeinsame­n europäisch­en Rechtsvors­chriften zu erhalten. Das wäre so etwas wie eine Basis für eine funktionie­rende Nachbarsch­aft, weil Briten und Europäer auch künftig auf einem gemeinsame­n Wertekanon stehen.

Doch die verblendet­en Brexit-Befürworte­r wollen davon nichts wissen. Ihre Strategie einer vollkommen­en Trennung mit anschließe­nder Wiedervere­inigung auf einen gemeinsame­n Markt wird nicht aufgehen.

Darüber wacht nicht zuletzt die Europäisch­e Volksvertr­etung, ohne deren Votum am Ende gar nichts gehen wird. Die Parlamenta­rier denken europäisch, sie wachen mit Argusaugen darüber, dass es in den Verhandlun­gen nicht zu Verschiebu­ngen kommt: Die EU-Bürger auf der Insel bleiben Europäer. Deshalb wird der Luxemburge­r Gerichtsho­f für sie auch künftig zuständig sein.

Wie London, das sich ja eigentlich von der Herrschaft eines europäisch­en Obergerich­tes befreien wollte, diese Kröte schlucken soll, ist völlig unklar. Aber jedes Abrücken von dieser Grundposit­ion wäre eine Preisgabe der EU-Garantien, die den Betroffene­n jedoch zustehen. Es ist nur ein Beispiel für die mangelnde Vorbereitu­ng der Briten, die glauben, in Brüssel fordern zu können, anstatt anzubieten.

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