Nordwest-Zeitung

„In die Köpfe muss eine Sicherung rein“

Polizeispr­echer da Gloria Martins über Falschmeld­ungen und Panik mit „infektiöse­r Wirkung“

- VON SABINE DOBEL

FRAGE: Auch ein J hr d n ch scheint es unwirklich: Wie konnte die L ge in der St dt so esk lieren und eine solche P nik entstehen? DA GLORIA MARTINS: Das bedarf eigentlich einer gesonderte­n wissenscha­ftlichen Untersuchu­ng. Es gab nicht den einen universell­en Grund. Es gab eine gewisse Verunsiche­rung nach den islamistis­chen Anschlägen von Paris, Brüssel, Nizza, und dann auch Würzburg. Aber ich glaube nicht, dass es tatsächlic­h Angst war, die nur durch die Befürchtun­g getriggert wurde: Da kommt gleich ein Terrorist um die Ecke. Es war ein Gemenge vieler Aspekte und ein kollektive­s Phänomen. Einer fängt an zu laufen – und jeder, der das sieht, läuft mit. Das hat eine infektiöse Wirkung – wenn es eine entspreche­nde Grundlage gibt. FRAGE: W s w r denn n diesen mehr ls 70 nderen Orten los, von denen die Menschen Schüsse und Tote gemeldet h ben? DA GLORIA MARTINS: An diesen sogenannte­n PhantomTat­orten gab es absolut nichts Gefährlich­es. Es genügte aber ein Minimalrei­z, um beim Einzelnen den Schalter umzulegen und ihn Dinge als Bedrohung empfinden zu lassen, die völlig harmlos sind. Das waren zum Beispiel herunterfa­llende Tabletts in einer Gaststätte oder eine umstürzend­e Aluleiter in einem Geschäft. Beides wurde als Schüsse gewertet. Von all diesen 73 vermeintli­chen Tatorten kam von Bürgern unisono

die Darstellun­g: Schüsse, Verletzte, Tote. Es hat nicht ein Einzelner überreagie­rt, es gab nicht nur einen Anruf pro Tatort, sondern oft mehrere. FRAGE: Wenn Menschen so leicht m ssenh ft in P nik ger ten, h ben d nn Terroriste­n erreicht, w s sie wollten: tiefe Verunsiche­rung? DA GLORIA MARTINS: Nein. Auch wenn es hier kein Terror war: Die Bevölkerun­g ist zusammenge­rückt, die Menschen haben sich gegenseiti­g Schutz gewährt und sich ähnlich wie in Manchester gegenseiti­g ge- holfen. Das ist das Gegenteil dessen, was Terroriste­n gemeinhin erreichen wollen. FRAGE: Es hieß, der schnelle Aust usch über sozi le Medien und Messengerd­ienste h be zur Esk l tion in der St dt beigetr gen. Wie sehen Sie d s? GLORIA MARTINS: Die sozialen Netzwerke waren nicht allein der treibende Motor, sondern mehr eine Art Fieberther­mometer für das, was sich unter der Oberfläche abgespielt hat. Sie haben Gerüchte eher sichtbar gemacht, als dass sie selbst die Quelle dafür gewesen wären. Es war vor allem die unreflekti­erte Verteilung von Informatio­nen in Messengerd­iensten. Das Problem hier: Die Nachricht kommt von Absendern, denen ich als Empfänger vertraue, weil ich sie kenne. Aber ich sehe nicht, ob der Absender sie selbst geschriebe­n oder nur weitergele­itet hat. Wir haben im Rückblick viele Hinweise darauf, dass gerade in Messengerd­iensten unglaublic­h viele falsche oder falsch gedeutete Informatio­nen verbreitet worden sind. FRAGE: Wie wollen oder können Sie d r uf re gieren? DA GLORIA MARTINS: Die Frage ist: Wie weit sind wir überhaupt in der Lage, dieses Phänomen einzudämme­n? Denn es findet im Kopf des Einzelnen statt. Was wir brauchen, ist ein neues Problembew­usstsein. Das da heißt: Ich verbreite nicht alles durch Teilen in die Welt, was ich gerade bekomme, mag es noch so sensatione­ll oder erschrecke­nd sein. In die Köpfe muss eine Sicherung rein. FRAGE: H ben Sie persönlich heute ein nderes Sicherheit­sempfinden ls noch vor einem J hr? DA GLORIA MARTINS: Nein, habe ich nicht. Als jemand, der im Sicherheit­sapparat arbeitet, habe ich es allerdings sehr leicht zu sagen: Ich kenne die Fakten, ich kenne das Risiko, ich kenne die Wahrschein­lichkeit – und die ist so gering, dass ich kein eingeschrä­nktes Sicherheit­sgefühl habe. Zudem wird oft vergessen, dass die Polizei nicht nur in Bayern schon viele zum Teil weit gediehene Anschlagsp­läne vereitelt hat.

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