Bankraub auf Bestellung
Deutsch-lettische Zusammenarbeit zerschlägt eine 25-köpfige Räuberbande
Mehr als 30 Überfälle in ganz Deutschland wurden 2004 von der Oldenburger Ermittlungsgruppe aufgeklärt.
OLDENBURG/DELMENHORST – Eine ganze Serie von Banküberfällen nach immer demselben Strickmuster beschäftigte die Polizei zur Jahrtausendwende. Zwischen 2001 und 2004 gab es in ganz Deutschland mehr als 30 Überfälle, die nicht von Einzeltätern, sondern ganz offensichtlich von einer Tätergruppe verübten wurden, die auch schon 1997 bis 2001 mit anderen Straftaten aufgefallen war. Auch Bankfilialen im Landkreis Oldenburg und in Delmenhorst waren betroffen, mehr jedoch im Osnabrücker Raum. Der Gesamtschaden belief sich auf mehr als eine Million Euro.
Keine Einzeltäter
Dass es sich doch um eine größere Sache handeln muss, wurde bei den Ermittlungen zu einem Überfall bei Osnabrück klar, bei dem zwei Täter festgenommen werden konnten. Ein dritter war flüchtig. Bei der routinemäßigen Überprüfung der beiden festgenommenen Männer wurde festgestellt, dass ihr „genetischer Fingerabdruck“auch zu einem Überfall in Mannheim passte. Und klar wurde auch
schnell, dass es sich nicht um Einzeltäter handelte, sondern dass es Hintermänner geben musste.
Im November 2003 wurde das Oldenburger Fachkommissariat für Bandenkriminalität, das aus der Zentralen Ermittlungsgruppe (ZEG) Banden hervorgegangen war, damit beauftragt, die Hintermänner zu ermitteln. Zu ihr gehörte auch Kriminalhauptkommissar Wolfgang Tholen. Der erzählt: „Dass wir es mit einer professionellen Bande zu tun hatten, wurde schon bei den Ermittlungen klar. Und die festgenommenen Täter waren wirklich abgebrüht, die gaben immer nur das zu, was wir ohnehin wussten.“
Straff organisiert
Das war aber inzwischen eine ganze Menge. Die Oldenburger Soko fand nach der Festnahme des dritten Täters vom Osnabrücker Banküberfall, den LKA-Beamte nach einer Zielfahndung festsetzten, heraus, dass die meisten der Täter aus dem Baltikum, insbesondere aus Lettland, kamen. Und: Sie gehörten einer straff organisierten Bande aus Lettland an, die sich vor allem auf Banküberfälle spezialisiert hatte. „Das war schon bemerkenswert, wie gut die das organisiert hatten“, berichtet Tholen. Die Bandenmitglieder wurden in Lettland rekrutiert und reisten nur für Straftaten nach Deutschland ein. Das war Bankraub auf Bestellung.
Die Überfälle liefen fast immer nach demselben Muster ab: Ein Deutsch sprechendes Bandenmitglied wurde nach Deutschland geschickt, wo es Banken- und Sparkassenfilialen, meistens in relativer Nähe von Autobahnen, ausbaldowerte und eine Wohnung in der Nähe anmietete. Der Mann überprüfte genau, wie die möglichen Anfahrtswege von Polizeifahrzeugen nach einer Alarmierung sein würden. Dann reisten die eigentlichen Räuber mit Bussen an. Sie stahlen in der Regel in der Nacht vor dem geplanten Überfall vor Ort ein Auto, vorzugsweise der Marke BMW, und stellten dies an möglichst unübersichtlichen Orten wie großen Parkplätzen ab. Erst kurz vor der Tat holten sie das Auto und fuhren damit zum Tatort. Ein Fahrer wartete im Wagen vor der Bank, zwei bewaffnete Täter drangen in den Schalterraum ein, zwangen dort das Bankpersonal und Kunden, sich auf den Boden zu legen. Ein Bankmitarbeiter musste sofort das Geld herausgeben. Dann flüchteten sie. Die Überfälle dauerten meisten nur wenige Minuten.
Schon nach kurzer Zeit wechselten die Täter das Fluchtfahrzeug. Tholen: „Die hatten sich fast auf alle Eventualitäten vorbereitet. Die Täter waren sozusagen doppelt gekleidet, um Zeugen und Polizei zu verwirren. Unter einem Trainingsanzug, den sie unmittelbar nach der Tat auf der Flucht auszogen, trugen sie in der Regel feine Business-Klamotten. Bei einer Zufallskontrolle wäre man bei ihrem Anblick wohl nicht auf die Idee gekommen, dass es sich um Bankräuber handeln könnte.“
Das erbeutete Geld wurde meistens irgendwo an der Autobahn einem Kurier übergeben, der es nach Lettland brachte.
Schuss in Tresor
Allerdings verliefen die Überfälle nicht immer glatt. In einem Fall führten Sprachprobleme zu einer Eskalation. Einer der Täter zwang eine Kassiererin, mit ihm in den Tresorraum zu gehen. Sie sollte den Tresor öffnen, was sie aber nicht konnte, weil aus Sicherheitsgründen ein zweiter Schlüssel notwendig war, den der Filialleiter hatte. Sie versuchte, dies dem Räuber zu erklären, der sie jedoch nicht verstand und zur Untermauerung seiner Forderung dafür in den Tresor schoss. Glücklicherweise blieb es dabei. In anderen Fällen scheiterten die Überfälle oder es blieb bei einem Versuch, weil die Täter gestört wurden. So gerieten zum Beispiel am 18. November 2003 drei von ihnen in Jever in eine allgemeine Verkehrskontrolle. Dabei wurden Masken und eine Gaspistole im Auto entdeckt. Das Fahrzeug hatte in der Nähe einer Bankfiliale gehalten.
Die größte Beute machte die Bande aber nicht bei einem Banküberfall. Am 3. Dezember 2002 überfielen drei Bandenmitglieder eine Niederlassung der DaimlerChrysler AG in Böblingen. Dabei erbeuteten sie 361 000 Euro.
Hilfe aus Riga
Aber nicht das ist Grund, warum die Taten der Bande zu den bemerkenswertesten Kriminalfällen gehören. Vielmehr gelang es der Oldenburger Ermittlungsgruppe, intensive, fast schon freundschaftliche Kontakte zu den zuständigen Ermittlungsbehörden in Lettland aufzubauen. Und mit deren Hilfe und Unterstützung gelang letztlich der Durchbruch im Bemühen, endlich auch an die Bandenchefs und Hintermänner zu kommen. Wolfgang Tholen: „Man kann das ruhig so sagen: Die Letten haben sich wirklich bemüht, uns zu unterstützen.“Das ist deshalb auch außergewöhnlich, weil sich reisende Straftäter aus osteuropäischen Ländern in ihrer Heimat bis dahin relativ sicher vor Strafverfolgern aus Deutschland fühlen durften.
Mehrfach reisten Mitglieder der Oldenburger Ermittlungsgruppe und der Staatsanwaltschaft nach Riga, um bei den Ermittlungen vor Ort live dabei zu sein. Telefonüberwachungen der Verdächtigen liefen in Lettland über den Geheimdienst. Trotzdem wurden den deutschen Ermittlern die Ergebnisse ausgehändigt. Lettisches Eigeninteresse gab es natürlich auch: Weil die Bande in wechselnder Beteiligung auch schwere Straftaten in Lettland begangen hatte, war sie auch dort ins Visier der lettischen Polizeibehörden geraten.
Erstmalig profitierten dabei die deutschen Ermittler von der Einführung des Europäischen Haftbefehls, der die Unterzeichner des Schengener Abkommens verpflichtet, bei Vorliegen eines internationalen Haftbefehls eigene Staatsangehörige an benachbarte Staaten auszuliefern. Die dafür notwendige Verfassungsänderung war im lettischen Parlament noch nicht einmal ratifiziert. Und doch wurde sie, sehr zur Freude der deutschen Ermittler, hier bereits im Vorgriff konsequent angewandt.
„Es gab damit ja keinerlei Erfahrungen. Insofern haben hier beide Seiten echte Pionierarbeit geleistet“, erinnert sich Tholen an die damaligen Risiken und Probleme. „Die Kollegen in Riga sind damit sehr unbürokratisch umgegangen. Das ging reibungslos.“
180 Jahre Knast
Dass sich das für die Strafverfolger – auch zur Abschreckung – ausgezahlt hat, steht außer Frage: Aufgrund des Umfanges der Überfallserie wurden die Täter in zahlreichen Verfahren zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt. Insgesamt 25 Täter brachten es dabei zusammen auf beachtliche 180 Jahre Knast. Und als sie diese abgesessen hatten, wurden sie ausgeliefert an die lettischen Behörden. Da gab es dann für einige noch einmal „Nachschlag“.