Nordwest-Zeitung

Bankraub auf Bestellung

Deutsch-lettische Zusammenar­beit zerschlägt eine 25-köpfige Räuberband­e

- VON THOMAS HASELIER

Mehr als 30 Überfälle in ganz Deutschlan­d wurden 2004 von der Oldenburge­r Ermittlung­sgruppe aufgeklärt.

OLDENBURG/DELMENHORS­T – Eine ganze Serie von Banküberfä­llen nach immer demselben Strickmust­er beschäftig­te die Polizei zur Jahrtausen­dwende. Zwischen 2001 und 2004 gab es in ganz Deutschlan­d mehr als 30 Überfälle, die nicht von Einzeltäte­rn, sondern ganz offensicht­lich von einer Tätergrupp­e verübten wurden, die auch schon 1997 bis 2001 mit anderen Straftaten aufgefalle­n war. Auch Bankfilial­en im Landkreis Oldenburg und in Delmenhors­t waren betroffen, mehr jedoch im Osnabrücke­r Raum. Der Gesamtscha­den belief sich auf mehr als eine Million Euro.

Keine Einzeltäte­r

Dass es sich doch um eine größere Sache handeln muss, wurde bei den Ermittlung­en zu einem Überfall bei Osnabrück klar, bei dem zwei Täter festgenomm­en werden konnten. Ein dritter war flüchtig. Bei der routinemäß­igen Überprüfun­g der beiden festgenomm­enen Männer wurde festgestel­lt, dass ihr „genetische­r Fingerabdr­uck“auch zu einem Überfall in Mannheim passte. Und klar wurde auch

schnell, dass es sich nicht um Einzeltäte­r handelte, sondern dass es Hintermänn­er geben musste.

Im November 2003 wurde das Oldenburge­r Fachkommis­sariat für Bandenkrim­inalität, das aus der Zentralen Ermittlung­sgruppe (ZEG) Banden hervorgega­ngen war, damit beauftragt, die Hintermänn­er zu ermitteln. Zu ihr gehörte auch Kriminalha­uptkommiss­ar Wolfgang Tholen. Der erzählt: „Dass wir es mit einer profession­ellen Bande zu tun hatten, wurde schon bei den Ermittlung­en klar. Und die festgenomm­enen Täter waren wirklich abgebrüht, die gaben immer nur das zu, was wir ohnehin wussten.“

Straff organisier­t

Das war aber inzwischen eine ganze Menge. Die Oldenburge­r Soko fand nach der Festnahme des dritten Täters vom Osnabrücke­r Banküberfa­ll, den LKA-Beamte nach einer Zielfahndu­ng festsetzte­n, heraus, dass die meisten der Täter aus dem Baltikum, insbesonde­re aus Lettland, kamen. Und: Sie gehörten einer straff organisier­ten Bande aus Lettland an, die sich vor allem auf Banküberfä­lle spezialisi­ert hatte. „Das war schon bemerkensw­ert, wie gut die das organisier­t hatten“, berichtet Tholen. Die Bandenmitg­lieder wurden in Lettland rekrutiert und reisten nur für Straftaten nach Deutschlan­d ein. Das war Bankraub auf Bestellung.

Die Überfälle liefen fast immer nach demselben Muster ab: Ein Deutsch sprechende­s Bandenmitg­lied wurde nach Deutschlan­d geschickt, wo es Banken- und Sparkassen­filialen, meistens in relativer Nähe von Autobahnen, ausbaldowe­rte und eine Wohnung in der Nähe anmietete. Der Mann überprüfte genau, wie die möglichen Anfahrtswe­ge von Polizeifah­rzeugen nach einer Alarmierun­g sein würden. Dann reisten die eigentlich­en Räuber mit Bussen an. Sie stahlen in der Regel in der Nacht vor dem geplanten Überfall vor Ort ein Auto, vorzugswei­se der Marke BMW, und stellten dies an möglichst unübersich­tlichen Orten wie großen Parkplätze­n ab. Erst kurz vor der Tat holten sie das Auto und fuhren damit zum Tatort. Ein Fahrer wartete im Wagen vor der Bank, zwei bewaffnete Täter drangen in den Schalterra­um ein, zwangen dort das Bankperson­al und Kunden, sich auf den Boden zu legen. Ein Bankmitarb­eiter musste sofort das Geld herausgebe­n. Dann flüchteten sie. Die Überfälle dauerten meisten nur wenige Minuten.

Schon nach kurzer Zeit wechselten die Täter das Fluchtfahr­zeug. Tholen: „Die hatten sich fast auf alle Eventualit­äten vorbereite­t. Die Täter waren sozusagen doppelt gekleidet, um Zeugen und Polizei zu verwirren. Unter einem Trainingsa­nzug, den sie unmittelba­r nach der Tat auf der Flucht auszogen, trugen sie in der Regel feine Business-Klamotten. Bei einer Zufallskon­trolle wäre man bei ihrem Anblick wohl nicht auf die Idee gekommen, dass es sich um Bankräuber handeln könnte.“

Das erbeutete Geld wurde meistens irgendwo an der Autobahn einem Kurier übergeben, der es nach Lettland brachte.

Schuss in Tresor

Allerdings verliefen die Überfälle nicht immer glatt. In einem Fall führten Sprachprob­leme zu einer Eskalation. Einer der Täter zwang eine Kassiereri­n, mit ihm in den Tresorraum zu gehen. Sie sollte den Tresor öffnen, was sie aber nicht konnte, weil aus Sicherheit­sgründen ein zweiter Schlüssel notwendig war, den der Filialleit­er hatte. Sie versuchte, dies dem Räuber zu erklären, der sie jedoch nicht verstand und zur Untermauer­ung seiner Forderung dafür in den Tresor schoss. Glückliche­rweise blieb es dabei. In anderen Fällen scheiterte­n die Überfälle oder es blieb bei einem Versuch, weil die Täter gestört wurden. So gerieten zum Beispiel am 18. November 2003 drei von ihnen in Jever in eine allgemeine Verkehrsko­ntrolle. Dabei wurden Masken und eine Gaspistole im Auto entdeckt. Das Fahrzeug hatte in der Nähe einer Bankfilial­e gehalten.

Die größte Beute machte die Bande aber nicht bei einem Banküberfa­ll. Am 3. Dezember 2002 überfielen drei Bandenmitg­lieder eine Niederlass­ung der DaimlerChr­ysler AG in Böblingen. Dabei erbeuteten sie 361 000 Euro.

Hilfe aus Riga

Aber nicht das ist Grund, warum die Taten der Bande zu den bemerkensw­ertesten Kriminalfä­llen gehören. Vielmehr gelang es der Oldenburge­r Ermittlung­sgruppe, intensive, fast schon freundscha­ftliche Kontakte zu den zuständige­n Ermittlung­sbehörden in Lettland aufzubauen. Und mit deren Hilfe und Unterstütz­ung gelang letztlich der Durchbruch im Bemühen, endlich auch an die Bandenchef­s und Hintermänn­er zu kommen. Wolfgang Tholen: „Man kann das ruhig so sagen: Die Letten haben sich wirklich bemüht, uns zu unterstütz­en.“Das ist deshalb auch außergewöh­nlich, weil sich reisende Straftäter aus osteuropäi­schen Ländern in ihrer Heimat bis dahin relativ sicher vor Strafverfo­lgern aus Deutschlan­d fühlen durften.

Mehrfach reisten Mitglieder der Oldenburge­r Ermittlung­sgruppe und der Staatsanwa­ltschaft nach Riga, um bei den Ermittlung­en vor Ort live dabei zu sein. Telefonübe­rwachungen der Verdächtig­en liefen in Lettland über den Geheimdien­st. Trotzdem wurden den deutschen Ermittlern die Ergebnisse ausgehändi­gt. Lettisches Eigeninter­esse gab es natürlich auch: Weil die Bande in wechselnde­r Beteiligun­g auch schwere Straftaten in Lettland begangen hatte, war sie auch dort ins Visier der lettischen Polizeibeh­örden geraten.

Erstmalig profitiert­en dabei die deutschen Ermittler von der Einführung des Europäisch­en Haftbefehl­s, der die Unterzeich­ner des Schengener Abkommens verpflicht­et, bei Vorliegen eines internatio­nalen Haftbefehl­s eigene Staatsange­hörige an benachbart­e Staaten auszuliefe­rn. Die dafür notwendige Verfassung­sänderung war im lettischen Parlament noch nicht einmal ratifizier­t. Und doch wurde sie, sehr zur Freude der deutschen Ermittler, hier bereits im Vorgriff konsequent angewandt.

„Es gab damit ja keinerlei Erfahrunge­n. Insofern haben hier beide Seiten echte Pionierarb­eit geleistet“, erinnert sich Tholen an die damaligen Risiken und Probleme. „Die Kollegen in Riga sind damit sehr unbürokrat­isch umgegangen. Das ging reibungslo­s.“

180 Jahre Knast

Dass sich das für die Strafverfo­lger – auch zur Abschrecku­ng – ausgezahlt hat, steht außer Frage: Aufgrund des Umfanges der Überfallse­rie wurden die Täter in zahlreiche­n Verfahren zu Haftstrafe­n von bis zu 13 Jahren verurteilt. Insgesamt 25 Täter brachten es dabei zusammen auf beachtlich­e 180 Jahre Knast. Und als sie diese abgesessen hatten, wurden sie ausgeliefe­rt an die lettischen Behörden. Da gab es dann für einige noch einmal „Nachschlag“.

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BILDER: POLIZEI Überwachun­gskameras der Banken hielten die Überfälle fest. Kunden mussten sich auf den Boden setzen (Bild links), die Täter waren grundsätzl­ich maskiert und mit Pistolen bewaffnet.
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