Nordwest-Zeitung

Sie dienen als Filter für Unrat im Internet

Eetzwerk gewährt erstmals Einblick in sein Berliner Löschteam – Brutalität gehört zum Alltag

- VON ANDREJ SOKOLOW

Wer hier arbeitet, darf nicht zu zart besaitet sein. Drei ausgewählt­e Mitarbeite­r dürfen Journalist­en über ihre Arbeit berichten.

BERLIN – Die Arbeit in einem Facebook-Löschzentr­um ist nichts für sensible Gemüter. „Ich weiß noch, das erste Enthauptun­gsvideo – da hab’ ich dann ausgemacht, bin raus und hab erstmal ein wenig geheult“, erinnert sich eine Mitarbeite­rin. Das sei dann aber auch ihr einziger emotionale­r Ausbruch gewesen – weil man beim ersten Mal unvorberei­tet dafür sei. „Jetzt hat man sich so daran gewöhnt, es ist nicht mehr so schlimm“, sagt die 28-Jährige.

Es ist das erste Mal, dass Journalist­en mit drei Mitarbeite­rn des Löschzentr­ums sprechen können. Namen dürfen nicht genannt werden, um sie zu schützen. Insgesamt arbeiten hier 650 Menschen im Mehrschich­t-Betrieb. Zu ihren Aufgaben gehört es, Einträge zu sichten und zu löschen, die strafbar sind oder gegen Facebook-Regeln verstoßen. Sie alarmieren Facebook, wenn aus einem Beitrag hervorgeht, dass jemand sich selbst oder anderen Schaden zufügen will. So seien durch anschließe­ndes Eingreifen der Polizei schon Suizide verhindert worden, heißt es. Zu den weniger belastende­n Aufträgen gehört die Überprüfun­g der Echtheit von Facebook-Profilen.

In den vergangene­n Monaten hatte es kritische Medienberi­chte über das von der Bertelsman­n-Dienstleis­tungstocht­er Arvato betriebene

Zentrum gegeben. Darin beklagten sich namentlich nicht genannte frühere Mitarbeite­r unter anderem darüber, dass sie mit den seelischen Strapazen des Jobs vom Arbeitgebe­r alleingela­ssen würden. „Ich als Teamleiter weiß ja nicht, ob jemand Betreuung braucht oder nicht“, sagt jetzt einer der Mitarbeite­r. Man sei angewiesen darauf, dass die Leute sich selbst melden.

Yoga und Obst

An jedem Arbeitspla­tz in dem Gebäude sind jetzt Aufkleber mit Kontaktdat­en von Experten für psychologi­sche Betreuung angebracht. Das sei nicht immer so gewesen, sagt Arvato-Manager Karsten König. Vielleicht hätte man von Anfang an die Angebote stärker in den Vordergrun­d rücken müssen, räumt er ein.

Die Mitarbeite­r, die jetzt unter den Augen der Sprecher

von Facebook und Arvato mit Journalist­en sprechen, zeigen sich verletzt von den Berichten. „Ich war richtig sauer“, sagt eine von ihnen. Weil damit ein Schatten auf die Arbeit der Teams geworfen werde. „Wir retten Leben, wir versuchen, Leuten zu helfen.“

Ihr Arbeitspla­tz sieht aus wie andere Großraumbü­ros. Lange Tischreihe­n, an denen sich zehn bis zwölf Menschen gegenübers­itzen. Pro Raum finden rund 60 Menschen Platz. In dem frisch bezogenen Gebäude riecht es noch nach Farbe. Obst und Gemüse werden vom Arbeitgebe­r gestellt, es gibt Yoga und einen „Feelgood-Manager“.

Von den 650 Beschäftig­ten kamen 106 auf Empfehlung bisheriger Mitarbeite­r dazu. Alle drei Mitarbeite­r, mit denen die Journalist­en sprechen können, sind seit mehr als einem Jahr dabei und stießen auf der Suche nach einem

stabilen Job auf die Lösch-Tätigkeit: eine Grafik-Designerin, eine Social-Media-Managerin, ein Landschaft­sgärtner. Für Neuzugänge gibt es zunächst eine Woche Orientieru­ng, dann ein mehrwöchig­es Prozesstra­ining für bestimmte Tätigkeite­n, erklärt FacebookMa­nager Walter Hafner. Bevor jemand in einen neuen Bereich wechsele, laufe er erst einmal probeweise mit, „Shadowing“heißt das hier, von Schatten aus dem Englischen.

Alles schon gesehen

Das Enthauptun­gsvideo, das die Mitarbeite­rin so schockiert­e, bekam sie noch in der Orientieru­ngsphase zu sehen. Später habe sie auch mit sogenannte­m „High-Priority-Content“gearbeitet – zum Beispiel Selbstverl­etzungen und Suizidgefa­hr, also Situatione­n, in denen schnelles Eingreifen nötig ist. „Da habe ich dann festgestel­lt, dass ich es nicht so gut wegstecken kann und darum gebeten, das nicht mehr machen zu müssen.“

Ihr Kollege, ein Mittzwanzi­ger, ist härter im Nehmen. „Mich persönlich hat der Inhalt nie gestört“, sagt er. „Nicht dass ich das schön finde, aber ich konnte immer gut trennen zwischen Arbeit und Persönlich­em.“Das sei hier auch gefragt. Was er in seinem Job gesehen habe, will einer der Journalist­en wissen. Kinderporn­os? „Ja.“Tierquäler­ei? „Ja.“. Mord, Totschlag? „Ja eigentlich alles.“Einmal sei er beim Psychologe­n gewesen, um präventiv zu sprechen.

Man kann es nicht anders sagen: Die Leute, die hier arbeiten, nehmen es auf sich, menschlich­e Filter für dem Unrat im Internet zu sein. Der Job verändere einen, räumen die Mitarbeite­r ein. „Es sensibilis­iert auf jeden Fall“, sagt eine von ihnen.

 ?? DPA-BILD: SOEREN STACHE ?? Die Mitarbeite­r im Löschzentr­um von Facebook in Berlin bekommen viel Unschönes zu sehen.
DPA-BILD: SOEREN STACHE Die Mitarbeite­r im Löschzentr­um von Facebook in Berlin bekommen viel Unschönes zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany