Nordwest-Zeitung

Der gescheiter­te Kaiser

Vor 125 Jahren wurde der letzte äthiopisch­e Monarch Haile Selassie geboren

- VON JOACHIM HEINZ

Negusa Negast“, „Siegreiche­r Löwe von Juda“, „Auserwählt­er Gottes“: Die vielen Titel von Haile Selassie I. sind mindestens ebenso schillernd wie die Geschichte­n, die über den letzten äthiopisch­en Kaiser erzählt werden. Vor 125 Jahren, am 23. Juli 1892, kam der spätere Monarch als Tafari Makonnen in der Kleinstadt Egersa Goro im Osten Äthiopiens zur Welt. Den Eltern soll ein Einsiedler zuvor prophezeit haben, dass ihr Junge seinem Land dereinst „Größe und Stolz“verleihen werde. „Zuletzt aber wird er all das, was er aufgebaut hat, von eigener Hand zerstören und Äthiopien in Ruinen zurücklass­en.“

Seine Familie steht der äthiopisch-orthodoxen Kirche nahe und führt ihre Wurzeln auf den biblischen König Salomo und die Königin von Saba

zurück. Vom 13. Jahrhunder­t bis zum Sturz von Haile Selassie 1974 stellte die Dynastie die Herrscher von Äthiopien.

Haile Selassie saß ab 1930 auf dem Kaiserthro­n; zwischen 1936 und 1941 lebte er aufgrund der italienisc­hen Besetzung seiner Heimat im britischen Exil. Unmittelba­r nach seiner Flucht aus Äthiopien gewann der schmächtig­e Monarch mit einer Rede vor dem Völkerbund in Genf internatio­nal an Statur.

Seine Botschaft: „Die Katastroph­en sind unausbleib­lich, wenn die großen Staaten der Vergewalti­gung eines kleinen Landes zusehen.“Das „Time Magazine“kürte den Kaiser ohne Land daraufhin zum Mann des Jahres 1936. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Haile Selassie zu den Gründervät­ern der Organisati­on für Afrikanisc­he Einheit (heute: Afrikanisc­he Union).

Innenpolit­isch geriet er ab Anfang der 1960er-Jahre unter Druck. Machtkämpf­e, Reformstau und Hungerkris­en heizten die Stimmung gegen den Kaiser an. Zudem betrieben die Sowjetunio­n und im Auftrag Moskaus auch die DDR seinen Sturz. 1974 musste der Monarch nach einem Militärput­sch kommunisti­scher Offiziere abdanken; 1975 wurde er ermordet. Der Großneffe des Kaisers, der Publizist Asfa Wossen-Asserate, zitiert Eshetu Tekle-Mariam, den letzten Diener von Haile Selassie mit den Worten: „Alles deutete darauf hin, dass er im Schlaf betäubt und anschließe­nd erstickt wurde.“

Eshetu war tags zuvor von den Putschiste­n aufgeforde­rt worden, sich aus der unmittelba­ren Nähe des Kaisers zu entfernen. Der nahm diese Nachricht seinem Diener zufolge mit Tränen in den Augen und einer düsteren Vorahnung zur Kenntnis. „Wenn wir für dich, Äthiopien, nicht getan haben, was wir tun konnten, soll uns der Allmächtig­e Gott bestrafen.“

Asfa-Wossen Asserate: „Der letzte Kaiser von Afrika. Triumph und Tragödie des Haile Selassie“, List, 12,99 Euro.

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BILD: LIBRARY OF CONGRESS Haile Selassi 1942 im Londoner Exil

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