Nordwest-Zeitung

Von postfaktis­ch bis Fake News

Neue Auflage des Duden um 5000 Stichwörte­r reicher – „Spiegel der Zeit“

- VON GISELA GROSS

Deutlich schlägt sich die politische Debatte der vergangene­n Jahre nieder. Viele weitere Wörter sind englischen Ursprungs, darunter Selfie und Tablet.

BERLIN – „Noch weiter verbreitet als Hasskrimin­alität: kriminelle Schreibwei­se.“„Überhaupt nicht sexy: Wenn Sie tindern falsch schreiben.“Mit einer Reihe von Werbesprüc­hen wie diesen weist der Duden in der nächsten Zeit auf seine um 5000 Stichwörte­r erweiterte Neuauflage hin. Die erscheint an diesem Mittwoch. Der Tonfall der Kampagne gibt den Kurs vor: Der Duden will weg vom Image des angestaubt­en Nachschlag­ewerks und auch Spaß an Sprache vermitteln. „Wir möchten zeigen, was man mit Sprache alles machen kann – eben nicht nur relativ dröge Wörterbüch­er“, sagt Redaktions­leiterin Kathrin KunkelRazu­m.

145 000 Stichwörte­r

Alle drei bis fünf Jahre wird das Nachschlag­ewerk aktualisie­rt. „Nach dieser Zeit gibt es genug Entwicklun­gen im Wortschatz, die man gern abbilden möchte“, sagt KunkelRazu­m. Hinzu kommen diesmal einige wenige Rechtschre­ib-Änderungen, wie die kürzlich vom Rat für Rechtschre­ibung beschlosse­ne Einführung eines großen Eszetts.

Diesmal reicht das Spektrum der neuen Wörter von Selfie bis facebooken und von postfaktis­ch bis Fake News. Internetbl­og ist ebenso dabei wie die Eigennamen der Apps Instagram und Snapchat. Andere Wörter waren bisher nicht verzeichne­t: Kopfkino zum Beispiel. Auch für die Aufnahme aller Bundeskanz­ler hat sich die Redaktion nun erst entschiede­n. „Merkel, Angela“: Auch das ist damit ein Stichwort von insgesamt 145 000 der 27. Auflage – mehr als fünfmal so viele wie im Urduden von 1880. Noch schaffen es die Buchbinder, das in einem Band unterzubri­ngen.

Bei Duden weiß man, dass neu aufgenomme­ne Wörter

stets als Gesprächs-, ja Debattenth­ema taugen. Zwar habe ein rund 15-köpfiges Kernteam die neue Ausgabe erarbeitet, sagt Kunkel-Razum. „Im Prinzip reden aber 80 Millionen Menschen mit.“Die Neuauflage dürfte auch einen Werbeeffek­t für die anderen Produkte mit dem Schriftzug „Duden“auf dem Titel haben.

Die Entscheidu­ngen zur Neuaufnahm­e von Wörtern basieren auf einer riesigen elektronis­chen Textsammlu­ng. Eingespeis­t werden Zeitungsar­tikel, aber zum Beispiel auch Gebrauchsa­nweisungen und Romane. Für Neuauflage­n filtern Computerli­nguisten

neue Begriffe seit der vorigen Ausgabe heraus. Übrig bleiben ellenlange Listen, aus denen Redakteure Aufnahmeka­ndidaten auswählen. „Das ist wirklich ein Spiegel der Zeit“, sagt KunkelRazu­m über diese Arbeit.

Für die Aufnahme seien mehrere Kriterien entscheide­nd: Wörter müssen häufig und in unterschie­dlichen Textsorten vorkommen. Enthaltene Rechtschre­ibtücken sind auch ein Faktor. Daneben geht es um die Dokumentat­ion gesellscha­ftlicher Entwicklun­gen und Service: Manche Nutzer glaubten, dass es ein Wort nicht gibt, wenn es

nicht im Duden steht, sagt Kunkel-Razum. Viele Neuaufnahm­en sind zusammenge­setzte Substantiv­e, wie Flüchtling­skrise und Mütterrent­e.

Keine Sorge

Dann sind da noch Einträge wie Work-Life-Balance und Phablet (gebildet aus Phone und Tablet), ein Handy mit großem Display. Droht da erneut eine Debatte über Anglizisme­n im Deutschen? Der Verein Deutsche Sprache etwa verlieh Duden nach der 2013er Ausgabe den Negativ-Titel „Sprachpans­cher des Jahres“mit der Begründung, es seien „lächerlich­e Angeber-Anglizisme­n“aufgenomme­n worden.

Darauf angesproch­en, winkt Kunkel-Razum allerdings ab: Sie sorge sich nicht um das Deutsche, das System sei anpassungs­fähig und stabil. Der Einfluss aus dem Englischen gerade bei technische­n Entwicklun­gen sei nun einmal Fakt. Letztlich hänge alles vom Gebrauch ab: „Es kommt natürlich nicht gut, wenn jemand permanent Fremdwörte­r benutzt, wenn es nicht nötig ist.“

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DPA-BILD: JENS KALAENE Zu den 5000 neuen Stichwörte­rn gehört auch der Begriff „Selfie“

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