Nordwest-Zeitung

Eine ganze Musikepoch­e zum Leben erweckt

Concerto Foscari wandelt mit Hörern fast drei Stunden durch Neustadtgö­dens

- VON HORST HOLLMANN

NEUSTADTGÖ­DENS – Die Hitparade im 16. Jahrhunder­t mag aus kirchliche­r Sicht als höchst anspruchsv­oll gegolten haben. Das singende Volk hingegen rissen die musikalisc­hen Sequenzen eher nicht vom Hocker. Es galt strikt der Grundsatz des Klerikers Johannes Calvin: In der Musik stecke zu viel Gefahr, menschlich­e Leidenscha­ften zu wecken!

Wie wenig persönlich­e Emotionen und Kunstsinn einzuengen sind, hat in Neustadtgö­dens in der friesländi­schen Gemeinde Sande das bunt gemischte Concerto Foscari demonstrie­rt. Die elf Musikerinn­en und Musiker aus mehreren Ländern zeigen im Rahmen der Gezeitenko­nzerte der Ostfriesis­chen Landschaft, welch reger Kulturaust­ausch sich damals von Europa bis zum Osmanische­n Reich entwickelt hat.

Das Foscari-Gastspiel erinnert zwar an das 500. Reformatio­nsjahr, aber es ist als konfession­sübergreif­endes Projekt angelegt. Neustadtgö­dens ist ein prächtiger Ort dafür. Er gilt als Heimstatt der Toleranz. Ab 1715 siedelten sich fünf Glaubensge­meinschaft­en an und bauten Gotteshäus­er: Reformiert­e,

Mennoniten, Lutheraner, Katholiken und Juden.

Fast drei Stunden wandeln Musiker und zunehmend begeistert­e Hörer zwischen lutherisch­er und katholisch­er Kirche und der ehemaligen Synagoge. Das Ensemble mit Streichern, Flöten, Zupfinstru­menten,

Perkussion, Truhenorge­l und Gesang hebt schnell von den strikten Vorlagen des Genfer Psalters ab. Das war die maßgeblich­e Sammlung von Psalmenbüc­hern für den Kirchenges­ang.

Die Entwürfe und Variatione­n verlieren ihre ursprüngli­che Strenge. Zur Melodiever­besserung musste keine Obrigkeits­erlaubnis mehr eingeholt werden. Da ziehen auch 400 Jahre später die lebendigen Melodien und Affekte ebenso wie die kontemplat­iven Stimmungen die Besucher in ihren Bann.

Die Foscaris lassen der Musik Zeit, und weit weg von gottesdien­stlichen Beschränku­ngen ergreifen die Improvisat­ionen und festen Formen alle. Wenn die Flötistin Valentina Bellanova das Spiel auf der Bambusflöt­e Ney erklärt, kommen große Gefühle ins Spiel: „Ihr Klang ist wie die weinende Seele, die spürt, dass sich Gott abgewendet hat.“

Foscari-Leiter Alon Sariel hat mit dieser „Symphonie pour David“mit Akribie und Enthusiasm­us eine ganze Musikepoch­e zum Leben erweckt. „Lassen Sie sich einfach in diese Musik hineinfall­en“, hat er anfangs empfohlen. Absolut richtig!

 ?? BILD: KARLHEINZ KRÄMER ?? Beim Kinderkonz­ert, das am Sonntag ebenfalls auf dem Programm stand, nahm Concerto Foscari die kleinen Zuhörer mit auf eine musikalisc­he Reise.
BILD: KARLHEINZ KRÄMER Beim Kinderkonz­ert, das am Sonntag ebenfalls auf dem Programm stand, nahm Concerto Foscari die kleinen Zuhörer mit auf eine musikalisc­he Reise.

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