Nordwest-Zeitung

Neymar sprengt das Koordinate­nsystem

TV-Journalist Marcel Reif im Exklusiv-Interview – „Ideen der <ans laufen bald ins Leere“

- VON OTTO-ULRICH BALS

Der renommiert­e und vielfach ausgezeich­nete Sport-1-Experte äußert sich kritisch zur TV-Vermarktun­g. Im Umgang mit Randaliere­rn und Krawallmac­hern gilt für den 67-Jährigen die Null-Tolerenz-Grenze.

FRAGE: Guten Tag Herr Reif Wenn Ich Sie jet t frage, ob Sie Fan des FC Bayern sind, legen Sie dann gleich auf? MARCEL REIF (67): Nein, aber es langweilt mich ungemein. FRAGE: Sie wollen mir doch jet t nicht er ählen, dass es Sie nicht nervt, ständig in die Bayern-Ecke gestellt u werden. REIF: Manchmal schon. Ich sag’ es mal so: Es kommt halt darauf an, wie es gemacht wird. Ich habe nichts gegen einen humorigen Einwurf. Wenn es dann allerdings ins Aggressive abdriftet, dann ist es mit meiner Toleranz ganz schnell vorbei. Denn ich bin natürlich kein Bayern-Fan. Auch wenn mir die großartige­n Erfolge der Münchner bewusst sind. Ich bin einfach nur ein Fan von gutem und schönem Fußball. Nun ja, die oftmals geäußerten dümmlichen Unterstell­ungen liegen aus heutiger Sicht ganz weit hinter mir. FRAGE: Dann also flugs urück ins Hier und Jet t. Was schoss Ihnen durch den Kopf als Sie erstmals vom 222-Millionen-Euro-Transfer des brasiliani­schen Fußballsta­rs Neymar vom FC Barcelona u Paris St. Germain gehört haben? REIF: In Spanien ist es ja gängige Praxis, dass die Clubs gern mal eine gigantisch­e Ablösesumm­e in die Welt posaunen. Ja, lächerlich, habe ich damals gedacht, als ich von der Festschrei­bung in Neymars Vertrag hörte. Monopoly eben. Nun kommt aber ein Verein, der sagt: 222 Euro Millionen? Okay, die bezahle ich. Also ich bin seit letzter Woche nicht mehr bereit, darüber zu reden. Mein Koordinate­nsystem reicht dafür nicht mehr aus. Hier wird eine Summe aufgerufen, die an anderer Stelle in dieser Welt ausreichen würde, eine ganze Volkswirts­chaft zu sanieren. Das ist für mich nur noch blanker Irrsinn, geprägt von einer hemmungslo­sen, endlosen Gier. FRAGE: Bleiben wir beim Thema Geld. Wer im deutschen Fernsehen den Bundesliga­Fußball in seinen gan en Facetten erleben will, der muss sich über kur oder lang wohl drei Decoder ulegen. Würden Sie die TV-Rechteverg­abe der Verbände, Ligen und Clubs noch als kundenorie­ntiert beeichnen? REIF: Hm, hier schließt sich die Frage an: Ist der Fußball an maximalen Erlösen oder am Kunden interessie­rt? Also ich, der aus dem Fernsehgew­erbe kommt, kriege das mit dem Fußballguc­ken noch hin. Aber für den Normalverb­raucher ist das zu viel. Ob sich da der Fußball nicht ins eigene Fleisch schneidet, frage ich mich. Denn ich glaube nicht, dass der Zuschauer das am Ende noch annimmt. FRAGE: Eine andere Baustelle wiederum könnte nun bald geschlosse­n werden. Sie haben sie auf dem Kommentato­renplat wohl selbst schon hunderte Mal erlebt: umstritten­e Schiedsric­hter-Entscheidu­ngen. Hätte der Videobewei­s nicht schon viel früher kommen müssen? REIF: Ja. Allerdings muss ich zugeben, dass ich drei viertel meines Berufslebe­ns dagegen gewettert habe. Bitte kein Videospiel, habe ich immer gesagt. Heute sehe ich das etwas anders. Ich habe mich aber immer gegen die oftmals schon religiös geführte Grundsatzd­iskussion gewehrt. Natürlich sollten wir jetzt nicht glauben, die absolute Wahrheit gefunden zu haben. Aber es kann doch nicht mehr sein, dass der Schiedsric­hter der einzige Depp im Stadion bleibt. Es geht auch darum, ihn zu schützen. Videobewei­s ja, aber eben nicht für jeden Quatsch, sondern bei den entscheide­nden Dingen N wenn es also um eindeutige Fehlentsch­eidungen geht. Ansonsten sollten wir alle aus dem ganzen Thema ein bisschen mal den Dampf rauslassen. Das meiste muss am Montag nicht mehr diskutiert werden. FRAGE: An diesem Wochenende startet der DFB-Pokal. Das Spiel von Werder Bremen in Wür burg musste wegen der Lärmschut bestimmung­en um 110 Kilometer nach Offenbach verlegt werden. Dabei hätte der DFB das Heimspiel der Kickers durchaus auf 19.30 Uhr vorverlege­n können. Muss man tatsächlic­h die Gren e der Fernsehver­marktung weiter und weiter um Leidwesen der Fans verschiebe­n? REIF: Die Details der Verlegung sind mir so jetzt nicht bekannt. Darum geht es aber nicht. Tatsache ist nun einmal, ohne das Bezahlfern­sehen und die TV-Vermarktun­g funktionie­rt der Fußball heute nicht mehr. Okay, wir hätten Neymar nicht. Das wäre dann vielleicht das Gute. Aber was wollen wir? Auch so ein kleinerer Verein wie Würzburg profitiert letztendli­ch von der, gesamtheit­lich betrachtet, guten Entwicklun­g des Fußballs in Deutschlan­d. Aber ich gebe Ihnen recht, die Fans, deren Ideen laufen ins Leere. Zukünftig werden wir von einem Event-Publikum sprechen. Showeinlag­en wie zuletzt beim Pokalfinal­e in Berlin werden dann nicht mehr mit Pfiffen begleitet. Den Fan, für den der Fußball so etwas wie eine Ersatzreli­gion ist, suchen wir dann vergeblich. FRAGE: Andere Fangruppie­rungen wiederum pochen im wahrsten Sinne des Wortes auf ihr Recht, indem sie sich als Krawallmac­her positionie­ren. . . REIF: Nun, ich weigere mich, diese Leute als Teil des Fußballs zu akzeptiere­n. Das sind Kriminelle, die so weit aus dem Spektrum herausfall­en. Die dürfen nicht dazugehöre­n. Aber diesen Zeitpunkt haben offensicht­lich einige Vereine verpasst, indem sie viel zu lange schützend ihre Hand über diese sogenannte­n Fans gehalten haben. Nun haben sie die an der Backe und werden sie nicht mehr los. Über diese Fangruppen diskutiere ich nicht eine Sekunde lang mehr. Was die machen, geht zu weit. Diese Menschen stehen nicht für den Fußball. FRAGE: Zurück um Fernsehen. Sie arbeiten heute noch als E@perte für Sport 1 und den Schwei er Pay-TV-Sender Teleclub. In Ihrer Wahlheimat werden Sie auch wieder in der Champions League aktiv sein. Hatten Sie nicht Ihre internatio­nale Karriere eigentlich schon beendet? REIF: (lacht). Nein, nein N das ist kein Rücktritt vom Rücktritt. Das wird nur ein kurzer Ausflug, wenn ich ab der Saison 2018/2019 für Teleclub zwei Spiele und das Champions-League-Finale kommentier­e. Ab dann hat der Sender ja erst die Rechte. Schauen Sie, das ist hier in der Schweiz alles ein bisschen ruhiger und sachlicher. Gefühlt so ungefähr 400 Stockwerke unter Neymar. Ich bin in aller Freundscha­ft angesproch­en worden und mache das noch mal.

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BILD: IMAGO Seit mehr als 30 Jahren ein kritischer und auch oftmals kritisiert­er Begleiter des Fußballges­chehens: TV-Journalist Marcel Reif

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