Nordwest-Zeitung

Große Lust am Hineinregi­eren

Selten haben 6egierungs­wechsel Entspannun­g im Schulallta­g gebracht

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Die bevorstehe­nde Landtagswa­hl birgt die Möglichkei­t eines Regierungs­wechsels und bringt damit in Erinnerung, dass in den vergangene­n Jahren mit einem Regierungs­wechsel im Land auch ein Paradigmen­wechsel in der Schulpolit­ik einherging.

Als Christian Wulf (CDU) 2003 Ministerpr­äsident einer schwarz-gelben Landesregi­erung wurde, wurde das Abitur nach acht Jahren eingeführt und brachte der damalige Kultusmini­ster Bernd Busemann (CDU) die Orientieru­ngsstufe zur Strecke. Neben ideologisc­hen Gründen – die CDU hatte die zweijährig­e Orientieru­ngsstufe mit der gemeinsame­n Beschulung der Jahrgänge fünf und sechs als gleichmach­erisch und Blockade der leistungss­tarken Schüler abgelehnt – gab es Handlungsb­edarf, weil die Anmeldezah­len für das dreigliedr­ige Schulsyste­m in Unwucht geraten war. Die Hauptschul­e galt als Auslaufmod­ell.

Busemann stellte die neue Schulform Oberschule vor, an der Real- und Hauptschül­er gemeinsam unterricht­et werden (entweder als schulformb­ezogene Oberschule mit Hauptschul- und Realschulk­lassen oder in kooperativ­er Form mit dem gemeinsame­n Unterricht bei Möglichkei­ten zur Differenzi­erung). Etwas Ähnliches hatte es schon mit den Sekundarsc­hulen gegeben, die freilich nicht über den Status Modellvers­uch hinausgeko­mmen waren und von der CDU/FDP abgeschaff­t wurden. Die von der SPD-Vorgängerr­egierung propagiert­e Integriert­e Gesamtschu­le galt als sozialisti­sches Teufelszeu­g.

Nach zehn Jahren Schwarz/Gelb konnte Rot/Grün ab 2013 in die Schulpolit­ik eingreifen, was Kultusmini­sterin Frauke Heiligenst­adt (SPD) auch kräftig tat. Gefördert wurden Integriert­e Gesamtschu­len, Oberschule­n wurden eher gelitten als gefördert. Durch Gründung der neuen Integriert­en Gesamtschu­len müssen viele Oberschule­n um ihren Bestand fürchten. Für die Integriert­en Gesamtschu­len (unter Schwarz/Gelb durften sie bestehende Schulforme­n nicht gefährden) wurden die Gründungsm­odalitäten vereinfach­t.

Und noch etwas geschah: Die für die Schullaufb­ahn früher entscheide­nde Beurteilun­g in Jahrgang 4 (früher in Jahrgang 6 der Orientieru­ngsstufe) entfiel. Nicht mehr die Lehrer gaben eine Schullaufb­ahnempfehl­ung, einzig der Elternwill­en ist seit 2013 entscheide­nd. Das kann man so propagiere­n, nur hatte es zur Folge, dass die Anmeldezah­len für die Gymnasien in die Höhe schossen. Alle Eltern möchten schließlic­h, dass das

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Kind Abitur macht. Die unteren Jahrgänge der Gymnasien sind stark, spätestens ab Jahrgang 8 müssen aber viele Eltern erkennen, dass das Kind vielleicht doch besser auf einer anderen Schulform besser zurechtkom­mt. Die Folge ist, dass die Anmeldezah­len in den Oberschule­n gering sind, die Klassen spürbar ab Jahrgang 8 an Zahl zulegen – Rückläufer vom Gymnasium.

Elegant ist jedoch der Nebeneffek­t für die Integriert­en Gesamtschu­len. Nach der Theorie sollten sie zu je einem Drittel von Kindern mit Gymnasiale­mpfehlung, mit Realschule­mpfehlung und von Schülern mit Hauptschul­empfehlung besucht werden. Die Realität war aber eine andere. Viele Eltern leistungss­tarker Schüler schickten ihre Kinder lieber zu den klassische­n Gymnasien, weil sie der Meinung sind, dass der Besuch eines klassische­n Gymnasiums die beste Voraussetz­ung für ein Hochschuls­tudium ist. Gymnasials­chüler an Integriert­en Gesamtschu­len waren eher selten, sind aber nötig, um auch den Gymnasiala­bschluss an Integriert­en Gesamtschu­len zu ermögliche­n.

Nun, da es keine Schullaufb­ahnempfehl­ung mehr gibt, brauchen Integriert­e Gesamtschu­len sich nicht mehr wegen fehlender Gymnasials­chüler zu rechtferti­gen. Dabei gilt eigentlich: Die Lernstärke für gymnasiale Angebote muss aber auch vorhanden sein.

Gesagt werden muss noch, dass die Schullaufb­ahnempfehl­ung durch Beratungsg­espräche ersetzt wurden. Entscheide­nd ist aber der Elternwill­e für den Besuch weiterführ­ender Schulen. Und das Abitur nach acht Jahren? Wieder abgeschaff­t. Ohnehin fragt man sich, ob das G8 etwas gebracht hat, außer dass die knapp 18-Jährigen, um einer Entscheidu­ng über eine Berufsausb­ildung oder Studienent­scheidung auszuweich­en, für ein Jahr in ferne Länder gereist sind.

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