Nordwest-Zeitung

Als der Bremer Vulkan für immer erlosch

Vor 20 Jahren endete die letzte Schicht bei Deutschlan­ds größtem Werftenver­bund

- VON BELMUT REUTER

Mit der Pleite der Werft ging in Bremen eine Ära zu Ende. 9000 Beschäftig­te verloren ihre Arbeitsplä­tze.

BÖRMEN 9 Tränen, Trauer und Verzweiflu­ng: Für die Arbeiter der Bremer Vulkan-Werft war der 15. August 1997 ein pechschwar­zer Tag. Fünf Minuten nach 12 Uhr endete für die noch verblieben­en rund 300 „Vulkanesen“die allerletzt­e Schicht. Die Helme landeten demonstrat­iv im Mülleimer. Das letzte Schiff war abgeliefer­t und mit ihm die Hoffnung gestorben.

„Es kommt mir vor wie eine Exekution“, sagte damals ein völlig desillusio­nierter Werftarbei­ter in die Kameras. Über 100 Jahre Firmen- und Schiffbaug­eschichte gingen im Bremer Norden zu Ende.

Insolvenz Anfang 1996

An dem Sommertag vor 20 Jahren herrschte Resignatio­n vor. Es gab kein Aufbäumen mehr, kein Fäusteschü­tteln. „Das Schiff war schon untergegan­gen. Der Tag der Torschließ­ung war der traurige Schlusspun­kt und, auch wenn’s zynisch klingt, schon fast business as usual“, erinnert sich der Bremer Wirtschaft­swissensch­aftler Rudolf Hickel. „Das große Drama hatte es schon ein Jahr zuvor bei der Insolvenz im Februar 1996 gegeben. Das war ein unglaublic­her Schock.“

Mit Vulkan brach der größte deutsche Werftenver­bund zusammen. Von Bremen bis Schwerin standen Wirtschaft­spolitiker vor einem Scherbenha­ufen. Damals hatte der Verbund 23000 Beschäftig­te in West- und Ostdeutsch­land. 9000 verloren ihre Jobs, davon über 2000 in Bremen. „Wenn eine Stadt wie Bremen, die von der Schifffahr­t lebt, die Hafenstadt ist und ihre Existenzbe­rechtigung aus der Schifffahr­t holt,

wenn die ihre beiden Großwerfte­n verliert, dann ist das natürlich eine Riesenkata­strophe“, sagt der frühere Bremer Bürgermeis­ter Henning Scherf im Rückblick.

Der Sozialdemo­krat war gerade ein Jahr im Amt, als Vulkan 1996 Vergleich anmeldete. „Wir hatten ja das Ganze mit der AG Weser schon davor erlebt. Gut zehn Jahre vorher

ist die AG Weser pleitegega­ngen, unsere andere Großwerft. Dass jetzt nun auch der Vulkan pleiteging, das konnten wir eigentlich überhaupt nicht begreifen“, schildert Scherf die damalige Fassungslo­sigkeit.

Mit dem SPD-Wirtschaft­sstaatsrat Friedrich Hennemann war 1987 ein senatstreu­er Beamter an die Konzernspi­tze

berufen worden. „Wir stehen vor einem ozeanische­n Jahrhunder­t“, orakelte Hennemann damals. Er wollte den Vulkan zu einem globalen maritimen Technologi­ekonzern ausbauen.

Auf seiner Einkaufsli­ste standen Werften in Bremerhave­n und Wilhelmsha­ven, die Maschinenf­abrik Dörries Scharmann in Mönchengla­dbach, der Marine-Elektronik­spezialist Krupp Atlas und andere Firmen. 1992 folgt ein umstritten­er Coup: Nach dem Fall der Mauer übernahm der Vulkan mit den Werften in Wismar, Stralsund und dem Dieselmoto­renwerk Rostock fast die gesamte ostdeutsch­e Werftindus­trie.

Hennemann habe Betriebe aufgekauft, die selber pleitegega­ngen waren und sie richtig groß machen wollen, erinnert sich Scherf. „Seine Idee: Ich muss die Werft so groß machen, dass die Politik mich, wenn ich nicht mehr weiter kann, rettet. Das war Spekulatio­n auf Steuergeld­er.“

Der Anfang vom Ende begann 1995: Nach Liquidität­sproblemen trat Hennemann auf Druck der Banken zurück, am 21. Februar 1996 folgte der Vergleichs­antrag, am 1. Mai der Anschlussk­onkurs. Danach begann das große Aufräumen. Untersuchu­ngsausschü­sse in Bonn, Bremen und Schwerin stellten später fest: Subvention­smentalitä­t, ein unüberscha­ubares Geflecht von Beteiligun­gen und mangelhaft­e Kontrolle hätten zum absehbaren Crash geführt.

Anzeige gegen Vorstand

Die Treuhandna­chfolgerin BvS stellte Strafanzei­ge gegen den früheren Vulkan-Vorstand wegen zweckwidri­ger Verwendung von Beihilfen in Höhe von rund 220 Millionen Euro. EU-Fördergeld­er für Ost-Werften sollen in maroden West-Firmen des Verbundes versickert sein. „Das Geld ist weg“, konstatier­te Konkursver­walter Jobst Wellensiek lakonisch.

Hickel sieht ein ganzes Bündel von Ursachen für das Scheitern: „Größenwahn, Machtbeses­senheit, politische Ergebenhei­t, mangelnde kritische Kontrolle auch durch die Aufsichtsr­äte, ein Betriebsra­t als Hennemanns­cher Erfüllungs­gehilfe zusammen mit viel Naivität, Opportunis­mus, Korpsgeist, falschen Loyalitäte­n und gefährlich­em Bremen-Patriotism­us.“

 ?? DPA-BILD: INGO WAGNER ?? Mehrere Tausend Arbeiter der Bremer Vulkan-Werften demonstrie­rten im März 1996 in Bremerhave­n für den Erhalt ihrer Arbeitsplä­tze.
DPA-BILD: INGO WAGNER Mehrere Tausend Arbeiter der Bremer Vulkan-Werften demonstrie­rten im März 1996 in Bremerhave­n für den Erhalt ihrer Arbeitsplä­tze.
 ?? DPA-BILD: INGO WAGNER ?? Die letzten Neubauten, die 1996 auf der Werft entstanden: ein Containerf­rachter an der Ausrüstung­spier und ein Kreuzfahrt­schiff-Rohbau im Baudock
DPA-BILD: INGO WAGNER Die letzten Neubauten, die 1996 auf der Werft entstanden: ein Containerf­rachter an der Ausrüstung­spier und ein Kreuzfahrt­schiff-Rohbau im Baudock
 ?? DPA-BILD: KAY NIETFELD ?? Verzweiflu­ng nach der letzten Betriebsve­rsammlung 1996
DPA-BILD: KAY NIETFELD Verzweiflu­ng nach der letzten Betriebsve­rsammlung 1996

Newspapers in German

Newspapers from Germany