Nordwest-Zeitung

Mehr Arbeit – weniger im Portemonna­ie?

Warum vom Mehrverdie­nst gerade für untere Einkommens­gruppen meist nicht viel übrig bleibt

- VON ERICH REIMANN bit.ly/2vGri5A

Experten fordern Änderungen am Steuer- und Abgabensys­tem. Denn im schlimmste­n Fall bleibe gar weniger übrig als ohne den Mehrverdie­nst.

GÜTERSLOH – Mehrarbeit lohnt sich für Geringverd­iener nicht immer. In unteren Einkommens­gruppen kann das Zusammenwi­rken von Sozialabga­ben, Transferle­istungen und Einkommens­steuer dazu führen, dass von Lohnzuwäch­sen nichts im Portemonna­ie ankommt. Im schlimmste­n Fall kann am Ende sogar weniger übrig bleiben als ohne den Mehrverdie­nst. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentl­ichten Studie des Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) im Auftrag der Bertelsman­nStiftung hervor.

Vom Single bis zur Familie

Die Studienaut­oren hatten für sechs Musterhaus­halte – vom Alleinerzi­ehenden mit einem Kind bis zum Doppelverd­ienerpaar ohne Kinder – untersucht, wie viel von einem zusätzlich verdienten Euro übrig bleibt, wenn man Beiträge zur Sozialvers­icherung, Einkommens­steuern und den möglichen Entzug von Sozialleis­tungen wie Wohngeld oder Kinderzusc­hlag berücksich­tigt. Das Ergebnis: Untere Einkommens­gruppen werden dadurch deutlich stärker belastet als Spitzenver­diener.

Von einem hinzuverdi­enten Euro bleibt nach den Berechnung­en der Stiftung bei einem Single-Haushalt mit einem jährlichen Haushaltsb­ruttoeinko­mmen von 17 000 Euro nichts übrig. Bei einem Einkommen von 75 000 Euro brutto würden dagegen 56 Cent je Euro in der Haushaltsk­asse verbleiben.

Der Grund: Bei Geringverd­ienern würde angesichts des Mehrverdie­nstes im gleichen Ausmaß das Arbeitslos­engeld II gekürzt. „In einigen Fällen finden wir Grenzbelas­tungen von über 120 Prozent, der hinzuverdi­ente Euro sorgt damit für 20 Cent netto weniger in der Haushaltsk­asse“, erklärte Manuela Barisic von der Bertelsman­n-Stiftung.

Aber auch bei etwas besser Verdienend­en zeigt sich den Berechnung­en zufolge ein ähnliches Bild. So bleiben einem Ehepaar mit zwei Kindern und einem Alleinverd­iener bei einem jährlichen Bruttoverd­ienst von 40000 Euro von einem zusätzlich verdienten Euro 56 Cent übrig. Wer dagegen 90000 Euro brutto verdient, kann 66 Cent behalten.

Große Diskrepanz

Die Studienaut­oren fordern deshalb Änderungen am Gesamtsyst­em aus Einkommens­steuer, Sozialabga­ben und Transferle­istungen. „Mehr Arbeit und Lohn müssen sich für die Krankensch­wester genauso auszahlen wie für den Unternehme­nsberater“, erklärte der Vorstandsv­orsitzende der Bertelsman­n Stiftung, Aart De Geus. Mit Reformen müssten die Regelungen so aufeinande­r abgestimmt werden, dass sich mehr Erwerbsarb­eit für jeden lohne.

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