Houston, wir haben ein Problem
Welche Lehren die USA aus Hurrikan „Har9ey: ;iehen sollten
Es bedarf eigentlich nur der schockierenden Bilder, um auch ohne Experten und Mathematiker zu dem Schluss zu kommen: Hurrikan „Harvey“hat die größte und an Sachschäden folgenreichste Naturkatastrophe der USA in den vergangenen 100 Jahren mit sich gebracht. Die Langzeitfolgen sind noch nicht abschätzbar.
Zehntausende Menschen in der betroffenen Region werden nicht mehr in ihre bald von Schimmel durchwucherten Häuser zurückkehren können, weil sie nicht – vor allem aus Kostengründen und der Ansicht folgend, es werde schon nichts geschehen, – gegen die Monster-Fluten und die horrenden Reparaturkosten versichert waren. Die Energieversorgung ist vielerorts kollabiert. Ebenso sind es die Nerven der Menschen, die vielerorts um Restbestände von Benzin kämpfen.
Es ist angesichts dieser dramatischen Folgen nicht zu früh, um auf einige der Lehren aus „Harvey“einzugehen. Die wohl wichtigste: Amerika muss zu gesundem Menschenverstand zurückkehren, was die Ursachen eines solchen Desasters angeht.
Das gilt vor allem für die Politik und ihre Helfer in Teilen der Medien. Wenn – wie es vergangene Woche das konservative
und industriefreundliche „Wall Street Journal“tat – trotzig konstatiert wird, dass der Klimawandel nichts mit der Stärke von „Harvey“zu tun habe und dass im Übrigens das behauptete Phänomen des „global warming“durch unzureichende Daten bewiesen werden soll, dann liegt der Schluss nahe: Ein Teil der Nation, allen voran auch der klimaschutz-skeptische Präsident Donald Trump, ist lernunfähig. Umweltpolitik? Die gilt weiter als sinnloses Hobby der Linken im Land.
Stattdessen verweisen jene Zweifler nun fast unisono auf die Kraft der Texaner, sich selbst an den Haaren aus dem modrigen Wasser zu ziehen und neu zu beginnen. Dieser Trost ist nichts anderes als klassischer Selbstbetrug.
Natürlich gab es immer wieder heldenhafte Hilfsaktionen. Doch wenn die Kamerateams abgezogen sind, bleiben hunderttausende Menschen weitgehend sich selbst überlassen. So, wie es nach dem Wirbelsturm „Katrina“im Jahr 2005 geschah. Es ist eine bittere Ironie des Schicksals, dass Tausende von „Katrina“entwurzelte Menschen ausgerechnet nach Houston zogen – in der Hoffnung auf eine sichere Zukunft.
Doch die Behörden weigern sich beharrlich, die Lektionen der Vergangenheit zu lernen. Die Millionenmetropole Houston war schon immer flutanfällig, was auch an einer Infrastruktur liegt, die rücksichtslos auf Wirtschaftsinteressen, aber nicht auf Aspekte einer optimalen Katastrophenabsicherung ausgerichtet wurde. Ähnlich dilettantisch hatte man in New Orleans agiert, bis dann „Katrinas“brutaler Weckruf mit rund 1800 Toten kam.
Dass es keine rechtzeitige Evakuierungsanordnung für Houston gab, ist ein enormer Kunstfehler des Bürgermeisters. Doch sein Kopf wird vermutlich nicht rollen. Stattdessen nimmt man kollektiv und weitgehend unkritisch die Ereignisse als „schicksalsgesteuert“hin und tröstet sich mit der Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Seele, die auch solche Krisen überstehen könne. Wirkliche Konsequenzen scheinen nicht erwünscht. Nicht nur Houston hat damit, um in der NasaSprache zu reden, ein Problem. Die ganzen USA haben es.
Autor dieses Beitrages ist Friedemann Diederichs. Der WashingtonKorrespondent schreibt für diese Zeitung über die USA. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de