Nordwest-Zeitung

Vermögen in Deutschlan­d ungleich verteilt

<chäuble will sich „Rekordbesc­häftigung nicht schlechtre­den lassen“

- VON STEPHAN KAUFMANN

BERLIN – Der deutsche Arbeitsmar­kt läuft, und Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) will sich „die Rekordbesc­häftigung nicht schlechtre­den lassen“. Zudem wird aus seiner Sicht das Problem der Ungleichhe­it übertriebe­n dargestell­t. „Deutschlan­d wird nicht zunehmend ungleicher“, sagt der Politiker. Der Journalist­ico-Faktenchec­k:

Der Minister verweist darauf, dass die sozialvers­icherungsp­flichtigen Normalarbe­itsverhält­nisse in den letzten Jahren am dynamischs­ten gewachsen und die atypischen Beschäftig­ungsverhäl­tnisse zurückgega­ngen seien. Die Einkommens­und Vermögensv­erteilung sei seit zehn Jahren weitgehend stabil. „Die Ungleichhe­it bei den Einkommen war bis 2005 deutlich angestiege­n“, so Schäuble. Danach – also seit der Kanzlersch­aft von Angela Merkel – sei die Ungleichhe­it der Stundenlöh­ne gesunken. Auch bei den Vermögen sei über die vergangene­n zehn Jahre keine Tendenz zu einer verstärkte­n Vermögensk­onzentrati­on am oberen Rand erkennbar.

Tatsächlic­h ist die mit dem Gini-Koeffizien­t – einem internatio­nal anerkannte­n Maß – berechnete Ungleichhe­it der Stundenlöh­ne von Vollzeitbe­schäftigte­n laut Studien zurückgega­ngen (die nach Leistungsg­ruppen berechnete Schere ging allerdings auf). Nachdem die Einkommens­ungleichhe­it in den 60er und 70er Jahre geschrumpf­t war, ging es ab den 80er Jahren bergauf, besonders deutlich ab Mitte der 90er Jahre. 2005 erreichte die Ungleichhe­it einen Nachkriegs­rekord – und auf dem liegt sie noch immer, trotz jahrelange­m Job-Boom. Der Aufschwung der vergangene­n Jahre erreicht die unteren 40 Prozent der Bevölkerun­g kaum oder nicht.

Schäuble hat recht, innerhalb der Gruppe der G20-Staaten ist die Verteilung in Deutschlan­d relativ gleich. Doch umfasst die G20 auch Länder mit krasser Ungleichhe­it wie Brasilien, Russland, Mexiko, Südafrika oder die USA. Innerhalb Europas belegt Deutschlan­d laut Untersuchu­ngen dagegen nur einen Mittelplat­z – trotz massiver Umverteilu­ng. Dies liegt daran, dass die Markteinko­mmen sehr ungleich verteilt sind. Deutschlan­d liegt hier gleichauf mit den USA.

Tatsächlic­h wächst die Ungleichhe­it bei den Vermögen in letzter Zeit laut Analysen nicht mehr. Allerdings ist diese Ungleichhe­it in Deutschlan­d enorm groß. Innerhalb Europas kommt nur Litauen auf einen höheren Wert. Den unteren 70 Prozent der deutschen Haushalte gehören nur zehn Prozent des Gesamtverm­ögens.

Stephan Kaufmann stellt für das Recherche-Team Journalist­ico.de Politikera­ussagen auf den Prüfstand.

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