Spiel mit Angst der Autofahrer
GASTBEITRAG Politik und Industrie zögern, statt das Problem anzupacken
Die Kontroverse um den richtigen Umgang mit dem Dieselproblem hat sich zu einem Top-Thema des Bundestagswahlkampfs entwickelt. Leider setzen in diesem Wahlkampf manche Politiker auf die Angst der Autofahrer, welche, mit Steuerermäßigungen in die Dieselfalle gelockt, nun Fahrverbote und höhere Kosten befürchten müssen. Wer jetzt angesichts der Enthüllungen der letzten beiden Jahre eine Kehrtwende erwartet, stellt erstaunt fest: Etliche versprechen, dass alles beim Alten bleibt – anstatt das Problem nach 20 Jahren Fehlentwicklung anzupacken.
Zum Verständnis eine Rückblende: 1997 wird das bahnbrechende Kyoto-Protokoll zur Begrenzung der weltweiten Klimaerwärmung beschlossen. Es führt in Europa zur Zündung des Diesel-PkwBooms, da diese Technik nach damaligem Verständnis CO2effizienter war. Japan geht einen anderen Weg: Dort werden Diesel-Pkw fast völlig vom Markt genommen. Die japanische Autoindustrie sieht sich zur technischen Innovation gezwungen: Sie propagiert nun den benzinbetriebenen Elektrohybrid mit minimalen toxischen und CO2Emissionen. 2014 lagen japanische Pkw-Neuzulassungen um 21 g CO2/km (entsprechend 17 Prozent) unter europäischen. Das verkehrt die in Deutschland laufend gehörte Behauptung, man brauche den Diesel-Pkw für den Klimaschutz, ins Gegenteil.
In Europa interessiert man sich zunächst nicht für die Gesundheitsgefahren durch Millionen als Folge von Steuererleichterungen und abgeschwächten Emissionsvorgaben auf die Straßen gelangter Diesel-Pkw. Erst Anfang der 2000er Jahre wird hierzulande die medizinische Erkenntnis diskutiert, dass im Durchschnitt jeder Deutsche Monate seiner Lebenszeit verliert, nur aufgrund der Inhalation von Feinstaub aus DieselPkw. Die Industrie stattet danach neue Diesel freiwillig mit Filtern aus. Erst 2010 ist dieser Prozess abgeschlossen.
Ist damit das FeinstaubProblem der Diesel-Pkw gelöst? Leider nein. Die Filter halten rund 200000 Kilometer, der Austausch ist kostspielig. Autos mit defekten Filtern können bei Messungen kaum identifiziert werden. Ein Drittel der Gebrauchtfahrzeuge werden in diesem Alter nach Süd-/Osteuropa verschoben. Offenbar werden Abgasreinigungseinrichtungen schon vor dem Weiterverkauf entfernt oder funktionieren eben nicht mehr. Motorsteuergeräte werden manipuliert, Fehlermeldungen so unterbunden. Auf diese Weise exportieren wir den Dreck einfach. Und damit auch klimarelevante Emissionen, denn Ruß hat rund das tausendfache Erwärmungspotenzial verglichen mit CO2. Modelliert man die Klimawirkung von 20 Jahren Dieselboom in der EU unter Berücksichtigung der Ruß-Emissionen, dann hat der Dieselboom der Atmosphäre keinerlei Abkühlung gebracht. Hohe Emissionen in der letzten Lebensphase sind dabei noch nicht berücksichtigt; hier gibt es – erwartungsgemäß – kaum Daten. Die offiziellen Modelle funktionieren ohnehin anders; sie basieren auf (relativ) neuen Fahrzeugen, künstlichen Laborbedingungen und ignorieren den Ruß.
Heute stehen Stickoxide im Zentrum des Interesses. Der größte Teil der in den Städten gemessenen Stickoxidbelastung stammt aus dem Verkehr. Jeder der politisch über die vergangenen 20 Jahre in der EU in den Markt gedrückten etwa 80 Millionen zusätzlichen Diesel-Pkw emittiert rund 1000 Prozent dessen, was die von den Straßen verdrängten Benziner ausstoßen. Diese Tatsache konnte bis vor zwei Jahren verschleiert werden.
Der EUHöchstwert von 40 µg NO2/Kubikmeter ist auch ein Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er wird in vielen deutschen Städten, auch in Oldenburg, überschritten. Derartige Grenzwerte entstehen nach jahrzehntelanger Forschung auf Basis von Zellkulturen, Tierversuchen und Studien an Bewohnern belasteter und unbelasteter Räume. Grenzwerte stellen aber immer auch politische Kompromisse dar. Emissionsgrenzwerte bedeuten deshalb nicht, dass das Risiko darunter Null ist. Insofern sind aktuelle Vorschläge zur Aufweichung der Grenzwerte gefährlich. Arbeitsmedizinische Grenzwerte liegen immer höher, da in der Arbeitsmedizin von ausgedehnten Erholungsphasen ausgegangen wird. Demgegenüber können viele Menschen an stark befahrenen Straßen der Belastung nicht entkommen.
Man kann heute die Stickoxid-Emissionen von DieselPkw technisch effizient vermindern, wenn man denn will. Aber auch hier gilt: Die dann hochkomplexe Abgastechnik hält nicht ein Fahrzeugleben lang, sondern bedarf kontinuierlicher Investitionen. Wir haben in Europa jedoch derzeit keine technische Überwachung, die das überprüfen kann. Viele Diesel-Pkw mit Adblue-Entstickung dürften im späteren Leben deshalb wieder zu hohen Emissionen zurückkehren. Der sogenannte „clean diesel“ist folglich, über das Fahrzeugleben betrachtet, Augenwischerei. Wenn Stickoxide heute etwa dreimal so viele Todesopfer fordern wie Unfälle im Straßenverkehr, und daran zweifelt in Fachkreisen kaum jemand, dann hat der Diesel-Pkw-Boom eine der größten Umweltkatastrophen zur Folge, die es in Europa jemals gegeben hat.
Es bleibt vor allem diese Erkenntnis: Die Autoindustrie zu bewegen, saubere Fahrzeuge zu produzieren, bedeutet keinesfalls, dass dann weniger Geld verdient wird. Das zeigen die japanischen Weltmarktführer nur allzu deutlich. Aufgrund der Verflechtung von Industrie, Politik und auch Wissenschaft konnte die europäische Autoindustrie ihr Interesse, eine vorhandene Technik möglichst lange und möglichst unverändert zu verkaufen, weit länger als zumutbar durchsetzen. Ob es damit nun ein Ende hat? Als erstes muss, wie von der EU-Kommission gefordert, die sachwidrige steuerliche Bevorzugung des Diesels gegenüber Benzin beendet werden.