Nordwest-Zeitung

Auf herrliche Weise altmodisch

Donna Leon feiert 75. Geburtstag – Weitere Brunetti-Romane geplant

- VON WILHELM ROTH

Die 8chriftste­llerin lebt schon lange in Venedig. Donna Leon nennt Brunetti ihre „Milchkuh“– und verwendet das Geld für etwas ganz anderes.

VENEDIG – Pünktlich wie immer ist auch in diesem Jahr, in dem Donna Leon 75 Jahre alt wird, wieder ein Brunetti-Roman erschienen: „Stille Wasser“ist der 26. seit Beginn der Krimireihe. Ein für Donna Leon ungewöhnli­cher Roman, denn er spielt nicht in der Stadt Venedig, sondern in der Lagune. Commissari­o Brunetti macht auf der Insel Sant’ Erasmo einen Kurzurlaub bei einem alten Freund seines Vaters, einem Bienenzüch­ter. Als der plötzlich stirbt, sucht Brunetti ehemalige Arbeitskol­legen und Freunde von ihm auf, die als Invaliden in einem luxuriösen Heim wohnen.

In langen Gesprächen, allen Wendungen meisterhaf­t folgend, kommt Brunetti schließlic­h dem unglücklic­hen Leben dieser drei Männer auf die Spur, sie waren Mittäter und Opfer eines Umweltverb­rechens. Das Unternehme­n, für das sie arbeiteten, hat Gifte in der Lagune entsorgt und tut es immer noch. Keine Chance, die Firma vor Gericht zu bringen. Es ist ein ungemütlic­hes, pessimisti­sches Buch.

Dabei gelten die DonnaLeon-Krimis als Wohlfühl-Bücher. Manchen Kritikern gefällt das nicht. Das Lesepublik­um aber bleibt Donna Leon treu. Auch „Stille Wasser“kam nach Erscheinen im März sofort auf die Spiegel-Bestseller­Liste.

Geboren wurde die US-Autorin, die seit 1981 in Venedig und der Schweiz lebt, am 28. September 1942 in Montclair im US-Bundesstaa­t New Jersey. Nach dem Studium der englischen Literatur lebt sie seit mehr als 50 Jahren im Ausland, war Reiseleite­rin und Lehrerin in Italien, der Schweiz, China, Iran und Saudi-Arabien. Populär wurde sie mit ihren Venedig-Krimis Amerikaner­in in Venedig: Autorin Donna Leon 2016 auf der Frankfurte­r Buchmesse

in Deutschlan­d. Das liegt sicher auch an den TV-Verfilmung­en, zunächst mit Joachim Krol und dann mit Uwe Kockisch als Brunetti.

Schon gleich in ihrem ersten Krimi „Venezianis­ches Finale“trafen die Leser auf die typischen Elemente. Dazu gehören Venedig, sein Zauber und sein Niedergang, außerdem Brunetti und Umgebung: Ehefrau Paola, die Kinder Chiara und Raffi, der dominante, aber unfähige Vorgesetzt­e Patta. Als der Roman 1993 auf dem deutschen Markt erschien, war die Autorin schon 51.

Donna Leons Krimis haben eher altmodisch­e Qualitäten,

sie meiden Brutalität­en. Brunetti versucht, die Täter und Opfer zu verstehen, ihre Leidenscha­ften, ihre Macht- und Geldgier, ihre Angst, ihre Verzweiflu­ng. Die Verbrechen sind oft typisch für die überteuert­e Stadt, es geht um Korruption, mafiösen Immobilien­oder Kunsthande­l. In „Acqua alta“treibt das Hochwasser die Handlung voran, in „Blutige Steine“wird ein schwarzer Straßenhän­dler vor vielen Zeugen auf dem Markt erschossen.

Brunetti ist gebildet, er liebt seine Stadt, trotz ihres langsamen Verfalls, trotz des Massentour­ismus, der dazu führt, dass Venedig sich allmählich

in ein Disneyland verwandelt. Vor allem nachts, wenn die Dunkelheit die Schäden an den Palazzi unsichtbar macht, ist Brunetti noch immer von der Schönheit der Serenissim­a fasziniert. Und so geht es wohl auch Donna Leon.

Ihr Refugium ist die Musik. Das Geld, das sie mit Brunetti verdient – sie nennt ihn ihre „Milchkuh“– steckt sie in die Musik. Sie unterstütz­te das Ensemble „Il Complesso Barocco“, neuerdings fördert sie das Orchester „Il Pomo d’Oro“. Sie liebt nicht nur die Musik des Venezianer­s Vivaldi oder ihres Lieblingsk­omponisten Händel, sie schätzt ebenso Haydn und Mozart.

Aber ihre Liebe zur Klassik hat auch klare Grenzen. Vor Jahren hat sie einmal ihren absoluten Albtraum verraten: von der Wagner-Society gekidnappt zu werden und alle Opern Richard Wagners hören zu müssen.

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BILD: DPA

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