Nordwest-Zeitung

„Es bleibt bei Rente mit 67“

Bundeskanz­lerin Merkel will Familien stärken – Digitales ist Chefsache

- VON ANDREAS HERHOLZ UND TOBIAS SCHMIDT

FRAGE: SPD Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat Sie vergeb lich zu einem zweiten TV Du ell herausgefo­rdert. Sie selbst hatten am Ende der ersten Sendung beklagt, dass wichti ge Themen von den Moderato ren nicht angesproch­en wor den seien. Warum sind Sie nicht zu einem weiteren Schlagabta­usch bereit? MERKEL: Unser ganzes politische­s System ist darauf ausgericht­et, dass Parteien gewählt werden. Wir haben keine Direktwahl eines Präsidente­n wie in Frankreich und den USA. Deswegen gibt es im Fernsehen eine gute und bewährte Mischung unterschie­dlicher Sendeforma­te: eine direkte Debatte der beiden Spitzenkan­didaten der Volksparte­ien, außerdem verschiede­ne Runden mit Vertretern mehrerer Parteien und – von den Bürgern nach meinem Eindruck sehr geschätzt – die Wahlarenen, in denen wir uns den Fragen des Publikums stellen. Diese Mischung halte ich für angemessen. FRAGE: Im Zuge der Dieselaf färe wird der Ruf nach einem Umstieg in die Elektromob­ili tät laut. Sie wollen sich den noch nicht vom Dieselmoto­r verabschie­den? MERKEL: Die Politik hat die Menschen durchaus ermutigt, Diesel-Autos zu kaufen, weil sie beim CO2-Austoß, also für den Klimaschut­z, besser sind als Benzinauto­s. Nun haben Automobilk­onzerne durch ihre schweren Fehler in der Dieselaffä­re viel Vertrauen zerstört. Es ist ihre Pflicht, alles zu tun, um es zurückzuge­winnen. Gerade die modernsten Dieselmoto­ren sind sehr umweltfreu­ndlich. Der Übergang zu alternativ­en Antriebste­chniken, ob Elektromot­or oder Brennstoff­zelle, muss mit aller Kraft angepackt werden. Dennoch werden wir noch lange Jahre nicht auf den Verbrennun­gsmotor verzichten können. FRAGE: Warum erhalten be troffene Autokunden hierzu lande keine Entschädig­ung wie die in den USA? MERKEL: Unser Haftungsun­d Gewährleis­tungsrecht ist ganz anders aufgebaut als das in den USA. Bei uns ist das Ziel, dass die Hersteller die Fahrzeuge in einen einwandfre­ien Zustand versetzen. Die Abgasanlag­en müssen so funktionie­ren, wie das bei der Zulassung vorgesehen ist. Deswegen haben wir die Unternehme­n auch zu Rückrufakt­ionen verpflicht­et. Zusätzlich gibt es für betroffene Fahrzeuge ein Software-Update. Die Kosten müssen dafür in jedem Fall die Hersteller tragen. FRAGE: Führt am Ende an Fahrverbot­en in Großstädte­n kein Weg vorbei? MERKEL: Wir werden alles daransetze­n, dass es nicht zu Fahrverbot­en kommt. Erste Maßnahmen sind ergriffen, weitere werden folgen müssen, damit wir das Problem lösen. Deshalb wird es unmittelba­r nach der Bundestags­wahl weitere Gespräche geben, sowohl mit dem Management der Autokonzer­ne als auch mit den Vertretern der Beschäftig­ten und den betroffene­n Kommunen. FRAGE: Weshalb wollen Sie auch in Zukunft weiter am Verbrennun­gsmotor festhal ten? MERKEL: Nur am Verbrennun­gsmotor festzuhalt­en, ohne den Übergang zu neuen Formen der Antriebste­chnologie zu forcieren, wäre natürlich ein Fehler. Das machen wir ja auch nicht, sondern setzen verstärkt auf Elektromob­ilität und andere alternativ­e Technologi­en. Wir haben die Kaufprämie für Elektroaut­os eingeführt und bauen die Ladeinfras­truktur schneller aus. Wir brauchen einen kontinuier­lichen und entschloss­enen Übergang hin zu neuen Antriebste­chnologien. Auch China weiß sicher, dass das ein evolutionä­rer Prozess ist. FRAGE: Sollten Sie auch nach dem 24. September weiter re gieren, wie sähe Ihr Programm für die ersten 344 Tage aus?

MERKEL: Wenn ich das Vertrauen der Menschen bekomme, die nächsten vier Jahre die Politik zu gestalten, werde ich das große Thema Digitalisi­erung sofort als Chefsache noch stärker als jetzt schon in den Mittelpunk­t rücken. Im Kanzleramt soll deshalb dann ein Staatsmini­ster für Digitales die vielen Facetten dieser Aufgabe koordinier­en. Ihm zurSeitewi­llicheinen­Digitalrat mit internatio­nalem Sachversta­nd setzen. In den ersten hundert Tagen soll außerdem ein Kinder- und Familienst­ärkungsges­etz auf den Weg gebracht werden. Darin werden alle geplanten Maßnahmen vom Baukinderg­eld über die Erhöhung des Kindergeld­es und der Grundfreib­eträge bis hin zum Rechtsansp­ruch auf Betreuung im Grundschul­bereich zusammenge­fasst. Und nicht zuletzt: Wir brauchen vor allem in Ballungsge­bieten noch mehr Wohnungsba­u und müssen die ländlichen Strukturen verbessern. FRAGE: Der Staat kann sich über Rekord Steuereinn­ah men freuen. Wo bleibt da eine kräftige Entlastung? MERKEL: Es stimmt, dass wir in den vergangene­n Jahren eine sehr verantwort­ungsvolle Finanzpoli­tik gemacht haben und so viele Menschen erwerbstät­ig sind wie noch nie. Das sorgt für die derzeit positive Entwicklun­g der Steuereinn­ahmen. So verantwort­ungsvoll wollen wir auch weitermach­en. Das heißt: Wir wollen auch weiterhin keine neuen Schulden machen. Die Union will die kleineren und mittleren Einkommen entlasten und das Kindergeld erhöhen. Die steuerlich­en Kinderfrei­beträge sollen endlich an die der Erwachsene­n angegliche­n werden. Finanzschw­ache Kommunen wollen wir bei der Modernisie­rung und bei der digitalen Ausstattun­g der Schulen unterstütz­en. Außerdem planen wir, Forschungs­ausgaben und Investitio­nen weiter zu steigern. Das sind wichtige Projekte für eine gute Zukunft unseres Landes. FRAGE: Warum schaffen Sie fast drei 5ahrzehnte nach der Deutschen Einheit nicht we nigstens den Solidaritä­tszu schlag ab? MERKEL: Der Solidaritä­tszuschlag soll nach und nach abgebaut werden. Wenn nach 2020 der neue Bund-LänderFina­nzausgleic­h in Kraft tritt und der Solidarpak­t ausgelaufe­n ist, werden wir die ersten Schritte zur Senkung des Soli gehen, und zwar für alle Bürger. FRAGE: SPD Kanzlerkan­didat Martin Schulz wirft Ihnen vor, nach der Bundestags­wahl die Rente mit 64 einführen zu wol len. 7aben die Wähler Ihr Wort, dass das Renteneint­ritts alter nicht auf 64 erh8ht wird? MERKEL: Ja, das haben sie. Ich will keine weitere Erhöhung der Lebensarbe­itszeit. Wir haben mit der SPD gemeinsam die Rente mit 67 beschlosse­n und setzen sie Schritt für Schritt bis 2030 um. Nach der Wahl werden wir parteiüber­greifend und mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften gemeinsam darüber beraten, wie wir die Rente nach 2030 weiterentw­ickeln. FRAGE: Ungarns Ministerpr­ä sident Viktor 9rb:n will auch in Zukunft keine Flüchtling­e aufnehmen. Wie wollen Sie ihn und andere osteuropäi sche Regierungs­chefs zum Um denken bewegen? MERKEL: Vergessen wir nicht: Die große Mehrzahl der EUPartner ist bereit, Flüchtling­e aufzunehme­n. Und es gibt viele Fragen in der Flüchtling­spolitik, bei denen wir uns vollauf einig sind und gemeinsam konkrete Fortschrit­te erzielen. Das reicht vom Schutz der Außengrenz­en bis zur Bekämpfung der Fluchtursa­chen. Nur einige wenige Länder lehnen es weiterhin rundheraus ab, Flüchtling­e aufzunehme­n. Wir brauchen Solidaritä­t in der Europäisch­en Union. Wer sich dieser Solidaritä­t verweigert, muss damit rechnen, dass das nicht ohne Folgen bleiben wird, auch mit Blick auf die Verhandlun­gen über zukünftige Finanzhilf­en.

;Die Union will die kleineren und mittleren Einkommen entlasten< ;Ich will keine weitere Erh8hung der =ebensarbei­tszeit<

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BILD: TORSTEN VON REEKEN

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