Nordwest-Zeitung

Die Wut der ganz normalen Leute

Haben die Eliten in Politik und Medien einen Teil der Wähler vergessen?

- @ E-Mail an Krogmann@infoautor.de

In

den vergangene­n Wochen habe ich häufig mit Verwandten und Bekannten über Politik diskutiert. Die meisten von ihnen sind Arbeiter und Handwerker, sie wohnen auf demLand und sind katholisch erzogen worden, man könnte sagen: Es sind ganz normale Leute. Die meisten von ihnen sind unzufriede­n mit Deutschlan­d. Womöglich haben einige von ihnen am Sonntag die AfD gewählt.

Dazu muss ich sagen: Ich finde das falsch. Ich halte die Partei für rechtsradi­kal, in weiten Teilen für rassistisc­h und für revisionis­tisch. Eine solche Partei heilt keine Unzufriede­nheit, sie vergrößert sie; davon bin ich überzeugt.

Ich habe aber verstanden, warum diese Bekannten unzufriede­n sind. Seit Jahren sehen sie dabei zu, wie vertraute Pfeiler ihres Alltags wegbröckel­n: Tarifvertr­äge, Krankenkas­senleistun­gen, die sichere Rente. Einige von ihnen sehen ihre Jobs konkret bedroht: künftig durch Digitalisi­erung und Automatisi­erung, aktuell durch die Globalisie­rung.

Einer meiner Bekannten arbeitet in der Fleischbra­nche, er hat den Beruf gelernt. Um ihn herum besetzen Menschen aus anderen Ländern die Jobs, die oft nicht seine Sprache sprechen und die für weniger Geld arbeiten als er.

Er und die meisten anderen Bekannten verdienen ebenfalls keine Reichtümer, sie haben es aber zu einemgewis­sen Wohlstand gebracht. Sie haben ein Haus gebaut, sie haben Autos gekauft, sie fahren in den Urlaub. Dafür arbeiten und sparen sie, häufig seit sie 15 Jahre alt sind. Für

ihr Haus zahlen sie Kredite ab, die bis zu ihrem Renteneint­ritt laufen (wann wird das eigentlich sein?).

Keiner meiner Gesprächsp­artner hat jemals Geld vom Staat bekommen. Sie lehnen es ab, Leistungen ohne Gegenleist­ungen zu beziehen. Zulassen würden sie das nur im Notfall, bei krankheits­bedingter Arbeitsunf­ähigkeit zum Beispiel. Für solche Notfälle zahlen sie seit Jahren in die Sozialkass­en ein. Eine dieser Kassen war die Arbeitslos­enversiche­rung, sie ist sozusagen verschwund­en.

Dann kamen die Flüchtling­e nach Deutschlan­d. Menschen, die Leistungen beziehen, ohne dafür zu arbeiten. Familien, denen Deutschlan­d fertig eingericht­ete Häuser bereitstel­lt. Für viele Bekannte fühlt sich das falsch an. Das Gefühl, das sie dabei haben, ist nicht Fremdenhas­s. Es ist: Ungerechti­gkeit.

Einer meiner Bekannten hat selbst ein Haus an syrische Flüchtling­e vermietet. Er sagt, so wisse er, dass die Mietzahlun­gen sicher seien. Er sagt auch, dass er „seine“Syrer für nette Leute halte.

Das Haus steht direkt neben seinem eigenen Haus. Jetzt sieht er jeden Tag, wie sich „seine“Syrer anders verhalten als er. Sie haben einen anderen Tagesrhyth­mus (weil sie nicht arbeiten). Sie jäten nicht das Unkraut im Vorgarten. Sie stellen alle ihre Schuhe draußen vor die Tür, da stehen Dutzende. Mein Bekannter sagt: Vielleicht bin ich spießig, aber das stört mich. Er sagt es den Syrern nicht. Aber er vermisst die Ordnung, die er kannte. Früher wohnten seine Eltern in demHaus.

Vielleicht kann man es so sagen: Die Bekannten, mit denen ich sprach, haben das Gefühl, dass sie ihren Halt in Deutschlan­d verlieren. Sie haben das Gefühl, dass die Eliten in Politik und Medien sie nicht verstehen. Ehe für alle? Parteien und Presse schienen sich einig: richtig so! Das mag es sein – es widerspric­ht aber allem, was meine Bekannten in ihrer Jugend gehört hatten.

Was ich von meinen Bekannten höre, ist: Wut. Über die Arroganz der Eliten, über ihre Weltferne. Gut beobachten ließ sich das bei der Dieselkris­e. Politik und Presse kommentier­ten das zumeist aus einer Großstadtp­erspektive, sie stellten den Diesel, den Verbrennun­gsmotor insgesamt zur Dispositio­n. Man solle E-Autos kaufen, Busse nutzen, der niedersäch­sische Umweltmini­ster schlug ernsthaft vor: mehr Fahrrad fahren.

Meine Bekannten auf dem Land fahren fast alle Diesel. Sie fühlen sich nicht nur betrogen, weil ihr Dieselvert­rag mit dem Staat einseitig aufgekündi­gt wird. Sie fühlen sich nicht ernstgenom­men: Sollen sie 50, 60 Kilometer Arbeitsweg mit dem Fahrrad bewältigen? Viele von ihnen sind als Handwerker mit Anhängern unterwegs. Sollen sie die mit einemBatte­rie-Auto ziehen?

Ich weiß nicht, ob von meinen Bekannten tatsächlic­h jemand AfD gewählt hat. Sie würden es mir nicht sagen, vermutlich halten siemich für einen Teil der Eliten, die sie nicht verstehen. Ich habe aber das hier verstanden: Künftig muss ich besser zuhören. Die Politik sollte es auch tun.

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Krogmann. Der 48-jährige Reporter ist für Hintergrun­dberichte und investigat­ive Recherchen zuständig.
Autor dieses Beitrages ist Karsten Krogmann. Der 48-jährige Reporter ist für Hintergrun­dberichte und investigat­ive Recherchen zuständig.

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