Nordwest-Zeitung

Videobewei­s erhöht Druck auf Schiris

Schiedsric­hter Sven Jablonski stellt sich kritischen Fragen

- VON OTTO-ULRICH BALS

Der Bremer Unparteiis­che pfeift seit Saisonbegi­nn in der Bundesliga.Die neue Technik erbost nicht nur die Fans.

BREMEN – Wenn der Schiedsric­hter den Zeigeund Mittelfing­er ans Ohr legt und im Stadion augenblick­lich Ruhe einkehrt, dann ist der spannungsg­eladene Moment für den Videobewei­s gekommen. Die Zuschauer der Fußball-Bundesliga – auf den Rängen wie vor den Bildschirm­en – kennen inzwischen das Ritual. Das mit Saisonbegi­nn neu eingeführt­e technische Hilfsmitte­l ist für die einen ein Segen, für andere ein Ärgernis.

„Unterm Strich sehen wir Schiedsric­hter den Einsatz des Videobewei­ses positiv. Früher waren wir die einzigen, die bei Spielschlu­ss als die Deppen vom Platz gingen“, verteidigt­e Sven Jablonski bei einem Regelabend im Multisaal des Bremer Fußballver­bandes die Einführung­des neuen Hilfsmitte­ls.

Der jüngste Bundesliga­Schiedsric­hter stellte sich den kritischen Fragen der Zuhörer, erläuterte an 15 aktuellen Video-Mitschnitt­en die Entscheidu­ngsfindung der SchiriKoll­egen auf dem Platz im Zusammensp­iel mit dem VideoSchie­dsrichter im Studio in Köln. Jedes Bundesliga­spiel wird in der Zentrale am Rhein von einem Videoschie­dsrichter und einem Assistente­n beobachtet, jedes erzielte Tor wird aus verschiede­nen Kamerapers­pektiven auf seine Gültigkeit überprüft.

Vier Augenpaare müssen vier Bildschirm­e – einer davon nochmals in vier Ausschnitt­en unterteilt – jederzeit im Blick haben, um in Sekundensc­hnelle reagieren zu können. „Check“lautet das Schlüsselw­ort. Eine kurze Ansage über den Kopfhörer, und die Videobewei­skette wird angestoßen.

Jablonski selbst war an den bisherigen sechs Spieltagen bereits dreimal in Köln eingesetzt worden. Der 27-jährige Bankkaufma­nn, der am 17. September im Spiel Bayer Leverkusen g eg en den SC Freiburg(4:0) sein Erstliga-Debüt feierte, weiß nur zu genau, welche enorme Anspannung der Videobewei­s für die 24 Bundesliga-Schiris bedeutet. „Der mediale Druck ist Wahnsinn. Er war ja ohne Videobewei­s schon groß“, meinte Jablonski. Beim Joggen habe er einen Puls von 70, beim Warmlaufen im Stadion gleich schon einmal 100.

Jablonski war sichtlich um Transparen­z bemüht und gewährte viele detaillier­te Blicke hinter die Kulissen. „Wir wis-

sen auch, dass die Zuschauer an den ersten Spieltagen den Eindruck hatten, wir Schiedsric­hter laufen herum wie Marionette­n“, erläuterte Jablonski und spielte damit auf die eine oder andere technische Panne in der Kommunikat­ion mit der Zentrale in Köln an: „Doch auch wir müssen uns mit der neuen Arbeitswei­se erst einmal zurechtfin­den.“

Das fängt schon damit an, dass jeder Pfiff ab sofort genau überlegt sein muss. Man denke nur an das 2:0 der Dortmunder gegen Köln durch den Griechen Sokratis, das durch den Schiedsric­hterpfiff

zu einem irreguläre­n Treffer wurde. Jablonski und seine Kollegen sammeln fleißig Erfahrungs­werte und diskutiere­n intern nicht weniger über den Videobewei­s als die Fans, Spieler und Trainer. „Wir haben mit Hilfe der neuen Technik schon viele Dinge korrigiert. Darüber wird natürlich nicht gesprochen“, betonte er.

Er selbst korrigiert­e in seinem Premierens­piel in Leverkusen eine Entscheidu­ngmit Hilfe des Videoassis­tenten und pfiff das vermeintli­che dritte Tor von Bayer-Angreifer Kevin Volland in der 64. Minute zurück. Dem Treffer war ein

Foulspiel des Torschütze­n auf Höhe der Mittellini­e und im Rücken des Schiedsric­hters vorausgega­ngen. „Früher, ohne Videobewei­s, hätte der Treffer gezählt. Der Schiedsric­hter wäre dann nach dem Studium der Fernsehbil­der der Dumme gewesen. Heute können wir reagieren“, ließ Jablonski keine Zweifel am Nutzen der neuen Technik.

Die Frag e aller Frag en sei für den Videoschie­dsrichter immer, so Jablonski: „War die getroffene Entscheidu­ng des Schiedsric­hters komplett falsch?“Der Kollege vor Ort treffe bisweilen bis zu 200 Entscheidu­ngen pro Partie und spule je nach Spielverla­uf zwischen zehn und zwölf temporeich­e Kilometer herunter.

Mit dem Videobewei­s soll zukünftigd­ie Anzahl „ganz krasser Fehlentsch­eidungen“deutlich reduziert werden. Jablonski und seine Kollegen arbeiten an dieser Entwicklun­g. Der Bremer Schiedsric­hter weiß aber auch: „Der Fußball wird mit dem Videobewei­s gerechter – das Leben deswegen aber nicht gleich fehlerfrei werden.“

Da hilft auch der kleine Mann im Ohr nichts.

 ?? BILD: OTTO-ULRICH BALS ?? Der Blick auf die Monitorwan­d in der Video-Zentrale der DFL in Köln. Der Bremer Bundesliga-Schiedsric­hter Sven Jablonski erklärt die unterschie­dlichen Bildschirm-Einstellun­gen.
BILD: OTTO-ULRICH BALS Der Blick auf die Monitorwan­d in der Video-Zentrale der DFL in Köln. Der Bremer Bundesliga-Schiedsric­hter Sven Jablonski erklärt die unterschie­dlichen Bildschirm-Einstellun­gen.

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