Nordwest-Zeitung

Keine fünf Flaschen nekt vor der Tat

Psychiatri­sches Gutachten vorgestell­t – Angeklagte­r wollte Galeristin ruhig stellen

- VONMARCO SENG

Christian I. soll Gerda Basse im Streit mit einem Hocker erschlagen haben. Der Gutachter hält ihn nicht für gestört.

AURICH/LEER/OLDENBURGE­R LAND – Mit zwei Promille am Morgen nach der Tat unauffälli­g Auto fahren und im Gespräch mit Zeugen nüchtern wirken? Nein, das sei nicht möglich, sagt Konstantin Karyofilis. Er hat genau nachgerech­net. „Man kann nur folgern, dass das mit den fünf Flaschen Sekt nicht stimmt.“

Der Vorsitzend­e Richter Daniel Hunsmann wird hellhörig, beugt sich leicht vor, um kein Wort des Gutachters zu überhören. War Christian I. nicht zurechnung­sfähig, als er Gerda Basse erschlug? Hat er im Affekt gehandelt? Leidet der Angeklagte unter psychische­n Störungen?

Christian I. sei laut Zeugenauss­agen alkoholisi­ert gewesen, sagt Karyofilis. Aber eben nicht „wahnsinnig betrunken“. Der Angeklagte rutscht jetzt leicht nervös auf seinem Stuhl herum.

Der Prozess um die Tötung der Millionäri­n aus Leer vor dem Landgerich­t Aurich steht kurz vor dem Abschluss. Am 19. Oktober will Richter Hunsmann das Urteil sprechen, ein Jahr nach der Tat.

Christian I. ist offiziell noch wegen Totschlag angeklagt. Doch längst geht es nur noch um Körperverl­etzung mit Todesfolge, möglicherw­eise sogar in einem minderschw­eren Fall. Weil Gerda Basse angeblich noch lebte und schimpfte, als der Täter sie blutend auf dem Boden ihres Cafés in Leer-Bingum liegen ließ und sich schlafen legte. Am nächsten Morgen war die Galeristin tot.

Der Oldenburge­r Gutachter Karyofilis, bekannt aus dem Prozess gegen den Klinikmörd­er Niels Högel, hat dreimal in der Untersuchu­ngshaft mit Christian I. gesprochen, hat eine psychiatri­sch-forensisch­e Expertise

erstellt, die er am Dienstag im Gericht präsentier­t.

Ja, Christian I. hat eine narzisstis­che Persönlich­keit, das Bedürfnis, sich darzustell­en und bewundert zu werden. Ja, der Angeklagte hat Schwierigk­eiten, zwischen Wichtig und Unwichtig zu unterschei­den. Ja, er hat vieles im Leben angefangen und sich immer wieder verzettelt. Aber das sei alles „nicht krankhaft“, erklärt Karyofilis.

Der Gutachter schildert Christian I. als intelligen­t, begeisteru­ngsfähig und eher friedferti­g. Warumhat er dann mit dem Barhocker zugeschlag­en, in der Nacht zum 22. Oktober 2016, im Café?

Weil es Streit gab. Weil Gerda Basse, mit der er ein Verhältnis hatte, ihn gereizt und als Schlappsch­wanz bezeichnet hat. Weil er an dem Tag fünf Flaschen Sekt getrunken hat. Das hat Christian I. vor zwei Wochen ausgesagt.

Keine Tat im Affekt, sagt der Gutachter. Eine „vermindert­e Steuerungs­fähigkeit“will Karyofilis aber nicht ausschließ­en. „Das Motiv war nicht, sie umzubringe­n. Sie sollte einfach ruhig sein.“

Was man in den zwei Prozessstu­nden am Dienstag über den Täter erfährt, reicht, um ein Buch zu füllen. Christian I. hat unzählige Vorstrafen und schon einige Jahre im

Gefängnis verbracht, unter anderem in Oldenburg, Wilhelmsha­ven, Nordenham: wegen Betrug, Diebstahl, Körperverl­etzung. Er schlug einen Mann, der seinen Hund getreten hatte.

Christian I., der aus Bochum stammt, hat an vielen Orten gelebt, hat diverse Jobs gemacht: Gastronom, Koch, Designer. Meist hat er als Musikprodu­zent gearbeitet. „Mein Job ist nicht die Finanzieru­ng, ich bin nicht Dieter Bohlen oder Frank Farian, sondern die handwerkli­che

Arbeit im Studio“, sagt er selbst im Gerichtssa­al.

Christian I., der aus einfachen Verhältnis­sen stammt, wurde nach der zweiten Heirat seinerMutt­er Teil einer bekannten Essener Großbürger­familie, vom Stiefvater aber nicht adoptiert, landete imInternat. „Er war ein Anhang, war der Außenseite­r“, sagt Karyofilis.

Christian I. verschwind­et im Leben manchmal von der Bildfläche, taucht anderswo wieder auf: in Schwäbisch Hall, Köln, auf Ibiza. Zwei Jah-

re lebt er mit seiner Tochter in Schortens (Kreis Friesland). Er ist unter anderem mit einem Tina-Turner Double und einer Pornodarst­ellerin liiert. Gerda Basse lernt er über einen Zellengeno­ssen aus Oldenburg kennen, mietet sich bei ihr in Leer ein.

Christian I. sei kein bösartiger­Mensch, kein Hochstaple­r, kein Betrüger des Betruges willen. „Er hat Straftaten begangen, um seine Projekte am Leben zu erhalten.“Christian I. droht trotzdem jetzt eine mehrjährig­e Haftstrafe.

 ?? BILD: ARCHIV ?? Im März 2017 wurde die Leiche der Millionäri­n in einem Waldstück südlich von Hamburg gefunden.
BILD: ARCHIV Im März 2017 wurde die Leiche der Millionäri­n in einem Waldstück südlich von Hamburg gefunden.
 ?? BILD: ARCHIV ?? Gerda Basse vor ihrer Villa in Leer. Die Galeristin verschwand im Oktober 2016.
BILD: ARCHIV Gerda Basse vor ihrer Villa in Leer. Die Galeristin verschwand im Oktober 2016.

Newspapers in German

Newspapers from Germany