Keine fünf Flaschen nekt vor der Tat
Psychiatrisches Gutachten vorgestellt – Angeklagter wollte Galeristin ruhig stellen
Christian I. soll Gerda Basse im Streit mit einem Hocker erschlagen haben. Der Gutachter hält ihn nicht für gestört.
AURICH/LEER/OLDENBURGER LAND – Mit zwei Promille am Morgen nach der Tat unauffällig Auto fahren und im Gespräch mit Zeugen nüchtern wirken? Nein, das sei nicht möglich, sagt Konstantin Karyofilis. Er hat genau nachgerechnet. „Man kann nur folgern, dass das mit den fünf Flaschen Sekt nicht stimmt.“
Der Vorsitzende Richter Daniel Hunsmann wird hellhörig, beugt sich leicht vor, um kein Wort des Gutachters zu überhören. War Christian I. nicht zurechnungsfähig, als er Gerda Basse erschlug? Hat er im Affekt gehandelt? Leidet der Angeklagte unter psychischen Störungen?
Christian I. sei laut Zeugenaussagen alkoholisiert gewesen, sagt Karyofilis. Aber eben nicht „wahnsinnig betrunken“. Der Angeklagte rutscht jetzt leicht nervös auf seinem Stuhl herum.
Der Prozess um die Tötung der Millionärin aus Leer vor dem Landgericht Aurich steht kurz vor dem Abschluss. Am 19. Oktober will Richter Hunsmann das Urteil sprechen, ein Jahr nach der Tat.
Christian I. ist offiziell noch wegen Totschlag angeklagt. Doch längst geht es nur noch um Körperverletzung mit Todesfolge, möglicherweise sogar in einem minderschweren Fall. Weil Gerda Basse angeblich noch lebte und schimpfte, als der Täter sie blutend auf dem Boden ihres Cafés in Leer-Bingum liegen ließ und sich schlafen legte. Am nächsten Morgen war die Galeristin tot.
Der Oldenburger Gutachter Karyofilis, bekannt aus dem Prozess gegen den Klinikmörder Niels Högel, hat dreimal in der Untersuchungshaft mit Christian I. gesprochen, hat eine psychiatrisch-forensische Expertise
erstellt, die er am Dienstag im Gericht präsentiert.
Ja, Christian I. hat eine narzisstische Persönlichkeit, das Bedürfnis, sich darzustellen und bewundert zu werden. Ja, der Angeklagte hat Schwierigkeiten, zwischen Wichtig und Unwichtig zu unterscheiden. Ja, er hat vieles im Leben angefangen und sich immer wieder verzettelt. Aber das sei alles „nicht krankhaft“, erklärt Karyofilis.
Der Gutachter schildert Christian I. als intelligent, begeisterungsfähig und eher friedfertig. Warumhat er dann mit dem Barhocker zugeschlagen, in der Nacht zum 22. Oktober 2016, im Café?
Weil es Streit gab. Weil Gerda Basse, mit der er ein Verhältnis hatte, ihn gereizt und als Schlappschwanz bezeichnet hat. Weil er an dem Tag fünf Flaschen Sekt getrunken hat. Das hat Christian I. vor zwei Wochen ausgesagt.
Keine Tat im Affekt, sagt der Gutachter. Eine „verminderte Steuerungsfähigkeit“will Karyofilis aber nicht ausschließen. „Das Motiv war nicht, sie umzubringen. Sie sollte einfach ruhig sein.“
Was man in den zwei Prozessstunden am Dienstag über den Täter erfährt, reicht, um ein Buch zu füllen. Christian I. hat unzählige Vorstrafen und schon einige Jahre im
Gefängnis verbracht, unter anderem in Oldenburg, Wilhelmshaven, Nordenham: wegen Betrug, Diebstahl, Körperverletzung. Er schlug einen Mann, der seinen Hund getreten hatte.
Christian I., der aus Bochum stammt, hat an vielen Orten gelebt, hat diverse Jobs gemacht: Gastronom, Koch, Designer. Meist hat er als Musikproduzent gearbeitet. „Mein Job ist nicht die Finanzierung, ich bin nicht Dieter Bohlen oder Frank Farian, sondern die handwerkliche
Arbeit im Studio“, sagt er selbst im Gerichtssaal.
Christian I., der aus einfachen Verhältnissen stammt, wurde nach der zweiten Heirat seinerMutter Teil einer bekannten Essener Großbürgerfamilie, vom Stiefvater aber nicht adoptiert, landete imInternat. „Er war ein Anhang, war der Außenseiter“, sagt Karyofilis.
Christian I. verschwindet im Leben manchmal von der Bildfläche, taucht anderswo wieder auf: in Schwäbisch Hall, Köln, auf Ibiza. Zwei Jah-
re lebt er mit seiner Tochter in Schortens (Kreis Friesland). Er ist unter anderem mit einem Tina-Turner Double und einer Pornodarstellerin liiert. Gerda Basse lernt er über einen Zellengenossen aus Oldenburg kennen, mietet sich bei ihr in Leer ein.
Christian I. sei kein bösartigerMensch, kein Hochstapler, kein Betrüger des Betruges willen. „Er hat Straftaten begangen, um seine Projekte am Leben zu erhalten.“Christian I. droht trotzdem jetzt eine mehrjährige Haftstrafe.