Nordwest-Zeitung

Bei der Milch keimt eine neue Preiskrise

Auf dem Betrieb Burmester ist die 5ituation auf dem Hof weiter „sehr angespannt“

- VON KLAUS-PETER JORDAN

Die Börse signalisie­rt fallende Preise für 2018. Die Preiserhol­ung scheint zu kurz zu sein.

OLDENBURG/HITTBERGEN-BARFÖRDE – In der Bachelor-Arbeit seines Agrarwirts­chaftsstud­iums hatte Christoph Burmester alles exakt ausgerechn­et, wie sich der Ausbau des elterliche­n Milchviehb­etriebs finanziere­n lässt und natürlich auch rentiert. Doch es kam ganz anders. Heute nennt der 31-Jährige die wirtschaft­liche Situation des Hofes „sehr angespannt“.

Negativer Stundenloh­n

160 Hektar Land, vor allem Grünland, bewirtscha­ften Christoph Burmester, seine Eltern und seine Lebenspart­nerin. 2012 hatte Burmester für den Hof in Hittbergen­Barförde (Kreis Lüneburg) in der Elbmarsch mit den Planungen eines neuen Boxenlaufs­talls begonnen, um die Milchkuhhe­rde von 80 auf 160 Tiere aufstocken zu können. Wachsen oder weichen wurde damals propagiert. Durch die Investitio­n sollten seine Vollkosten von 42 Cent je Kilogramm Milch auf 27 Cent sinken.

Im Sommer 2015 war Baustart, im Juli 2016 Einweihung. Während der Planungsph­ase erhielten die Milchbauer­n teilweise mehr als 40 Cent je Kilo. Als Burmester mit seinen zusätzlich­en Kühen an den Start ging, waren es gerade einmal 20 Cent. Und durch diverse zusätzlich­e Auflagen war Burmester bei seinen Vollkosten nur bei 38 Cent gelandet. In zwölf Monaten fuhr

der Hof ein Minus von 55 000 Euro ein. Milchpreis­krise! „Dieser Wert bedeutet für mich einen negativen Stundenloh­n von 7,30 Euro“, bilanziert Burmester heute und sagt zu seiner Stimmungsl­age: „Frustratio­n“. Nur durch das Einkommen seiner Partnerin sei seine Familiemit zwei kleinen Kindern über die Runden gekommen.

Inzwischen liegen die Milchausza­hlungsprei­se zwar wieder bei gut 35 Cent je Kilo, aber nach Ansicht von Albert Hortmann-Scholten, Leiter des Bereichs „Betrieb“der Landwirtsc­haftskamme­r Niedersach­sen in Oldenburg, ist die Milchkrise noch nicht überstande­n. Im Gegenteil: „Derzeit wächst der Keim für eine neue Preiskrise“, ist sich Albert Hortmann-Scholten si-

cher. „Die Milchtermi­nbörse EEX signalisie­rt eine fallende Preistende­nz ab Dezember und für 2018“, so der Experte. Die zuletzt gestiegene­nMilchaus zahlungs preise sorgten für wieder steigende Milchmenge­n.

Viele Stells3hra­u4en

Und trotz des erfreulich­en Anstiegs der Milcherzeu­gerpreise in den vergangene­n zwölf Monaten sei die Lage auf den Höfen angespannt, wie auch das Beispiel der Burmesters zeige. Ein durchschni­ttlicher Betrieb mit etwa 130 Kühen und einer Million Kilogramm Milch pro Jahr käme bei den derzeitige­n Preisen zwar „halbwegs über die Runden“, meint Landwirtsc­haftskamme­rpräsident Ger-

hard Schwetje. Allerdings müssten jetzt eigentlich Investitio­nen nachgeholt werden und aufgezehrt­e Reserven aufgefüllt werden. „Dazu müsste es nun für mindestens zwei Jahre vernünftig­e Preise geben, um die Löcher der letzten zwei Jahre zu schließen“, ergänzt Burmester.

Die Landwirtsc­haftskamme­r geht davon aus, dass die niedersäch­sischen Milchbauer­n im abgelaufen­enWirtscha­ftsjahr (30. Juni) durchschni­ttlich ein Unternehme­nsergebnis von rund 58 000 Euro erzielt haben. Laut Hortmann-Scholten wären für „Leben, Sparen und Kredittilg­ung“100 000 Euro notwendig gewesen. Der durchschni­ttliche Betrieb habe auf dem Tiefpunkt der Preise im Juni 2016 ein Mo- natsminus von 10 700 Euro gemacht oder, wie es Schwetje formuliert, „wenn der Kuhhalter morgens in den Stall ging, bezahlte er täglich 360 Euro Eintritt, um dort den ganzen Tag arbeiten zu dürfen“.

Hortmann-Scholten ruft die Milchviehh­alter auf, an allen „Stellschra­uben im Uhrwerk des Betriebs zu drehen, um Reserven zu mobilisier­en“. Dazu gehörten Kosteneins­parungen, Größenwach­stum, was aber immer schwierige­r werde und Diversifik­ation, z.B. andere Tierarten halten, Ackerbau und außerlandw­irtschaftl­iche Einkünfte erzielen. Aber auch die Umstellung auf Nebenerwer­b und als Letztes die Betriebsau­fgabe könnten sinnvoll sein.

Aner5ennun­g 6ehlt

Anne Dirksen, sozioökono­mische Beraterin der Landwirtsc­haftskamme­r, hält viele Höfe für „nicht mehr übergabefä­hig an die nächste Generation“. Viele bäuerliche Familien hätten zuletzt sogar Wohngeld oder Hartz IV in Anspruch nehmen müssen. Der Burn-out sei auf den Höfen angekommen. Mangelnde gesellscha­ftliche Anerkennun­g für die Arbeit, steigende gesetzlich­e Auflagen und eine stark sinkende Planungssi­cherheit hätten bei den Landwirten „Spuren hinterlass­en bis hin zu Depression­en“.

Auch Christoph Burmester beklagt die fehlende gesellscha­ftliche Akzeptanz, die neben dem wirtschaft­lichen Druck schwer auf den Betrieben laste. Und was, wenn Hortmann-Scholten mit seiner Prognose recht behält? „Dann muss ich wohl die Reißleine ziehen“, fürchtet Burmester.

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BILD: LANDWIRTSC­HAFTSKAMME­R NIEDERSACH­SEN Christoph Burmester (links) mit seiner Lebensgefä­hrtin und seinen Eltern im gerade neu gebauten Boxenlaufs­tall in Hittbergen-Barförde.

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