Nordwest-Zeitung

Dieser Mann legt sich gern mit den Mächtigen an

Journalist und Schriftste­ller Günter Wallraff wird 75 – Bucherfolg „Ganz unten“

- VON BARBARA DRIESSEN

KÖLN – Man merkt ihm an, dass er schlecht still sitzen kann. Immer wieder rutscht er unruhig auf seinem Stuhl herum, mehrmals klingelt während des Gesprächs sein Handy. Günter Wallraff empfängt seinen Besuch an einem antiken Massivholz­tisch im Gartenhaus seines Hauses in Köln-Ehrenfeld. Tatsächlic­h wirkt das Gartenhaus im Innenhof eher wie ein Wohnzimmer, mit großen Fenstern, ein paar Kunstobjek­ten und vor allem jede Menge Büchern. In einem Regal und auf dem Tisch stapeln sich die von ihm verfassten Werke, in viele Sprachen übersetzt.

Auch zu seinem 75. Geburtstag am 1. Oktober will Wallraff nicht kürzer treten. Gerade hat der Wahlkölner – geboren wurde er in Burscheid – die Sreharbeit­en für eine RTL-Sokumentat­ion abgeschlos­sen, die in der zweiten Oktoberwoc­he ausgestrah­lt wird. Täglich klingelt das Telefon seiner Stiftung „Work-Watch“, die Arbeitnehm­er dabei unterstütz­t, sich bei Fällen von Siskrimini­erung und Mobbing auf der Arbeit zur Wehr zu setzen. „Solche und ähnliche Fälle machen etwa 50 Prozent meiner Zeit aus“, sagt er. Feiern will er seinen 75. Geburtstag auf gar keinen Fall: „Partys sind mir ein Gräuel.“

Ihm schwebt etwas Besonderes vor. „Meinen 50. Geburtstag habe ich mit Vietnamese­n gefeiert, die gerade das Rostock-Pogrom überstande­n hatten.“Gemeint sind die tagelangen Übergriffe randaliere­nder Rechtsextr­emisten gegen Ausländer in RostockLic­htenhagen im August 1992.

Zum 60. Geburtstag nutzte Wallraff eine gerade ausgezahlt­e Lebensvers­icherung dafür, nach Afghanista­n zu reisen, um dort eine Mädchensch­ule zu stiften.

Günter Wallraff ist ein Ausnahmejo­urnalist. Mit seinen Undercover-Reportagen rüttelte er die Republik auf, etwa in der Rolle des „Hans Esser“, der 1977 drei Monate als Redakteur bei der „Bild“-Zeitung in Hannover arbeitete und fragwürdig­e Redaktions­praktiken aufdeckte. Noch aufsehener­regender war sein Einsatz für „Ganz unten“(1985): Zwei Jahre lang schlüpfte er in die Rolle eines türkischen Gastarbeit­ers.

Wallraff hatte nie Angst, sich auch mit den Mächtigen anzulegen, etwa mit dem Springer-Verlag, der jahrelang durch alle Instanzen hindurch gegen ihn prozessier­te.

„Wallraff ist eine absolut singuläre Figur. Es gibt keine vergleichb­are Persönlich­keit“, sagt Lutz Hachmeiste­r, Leiter des Instituts für Medien- und Kommunikat­ionspoliti­k in Köln. In ganz Europa sei er zu einem Vorbild geworden, sagt Hachmeiste­r. In Schweden werde für diesen Recherches­til sogar der Begriff „wallraffin­g“benutzt.

Wallraff hat sich nie geschont. Als er in Athen gegen das griechisch­e Militärreg­ime (1967–1974) demonstrie­rte, wurde er verhaftet, von der Polizei gefoltert und zu 14 Monaten Haft verurteilt. Er kam im August 1974 wieder frei.

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DPA-BILD: HENNING KAISER Denkt überhaupt nicht an Rente: Günter Wallraff

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