Nordwest-Zeitung

Wassermann, der alles kann

LUV UND LÜ Leidenscha­ft und Lebenseins­tellung – Das macht einen Menschen zum Seenotrett­er

- VON SYLKE SDUNZIG

Kalsten Ihnken ist ein Menschenfr­eund, er hat Hilfsberei­tschaft zu seinem Beruf gemacht: In Bremen koordinier­t er Seenotfäll­e. Nebenbei arbeitet er freiwillig in der Heimat – am Wasser.

HORUMERSIE­L – Seenotrett­er, Rettungssc­hwimmer, Vorsitzend­er eines Fußball-Fanclubs, Angler, Teamplayer, Freund, Onkel, Sohn und – rund um die Uhr hilfsberei­t. Carsten W. Ihnken hat seine Berufung gefunden und das seit über 20 Jahren: helfen! Jederzeit und überall, am liebsten auf dem Wasser oder im Wasser. Und das konsequent. Im Wesentlich­en zählen nur zwei Aspekte: einerseits die Aufgeschlo­ssenheit und der Mut, anderersei­ts Tatendrang. Sehr gut, dachten wir uns, denn damit stand fest, wen wir hier gleich treffen werden. Wie wäre es also mit einem echten Wassermann?

Ein gepflegtes Einfamilie­nhaus mitten in Horumersie­l. Die Sonne lacht vom Himmel, es scheint ein guter Tag zu werden. Hier wohnt unser heutiger „Mensch am Meer“, Carsten Ihnken. Für Carsten ist es heute gleich zweimal aufregend. Zum einen gibt er uns heute ganz persönlich­e Einblicke in sein Leben, zum anderen hat er Geburtstag. So fangen drei völlig fremde Menschen mit Kuchen und Wunderkerz­e in der Hand vor seiner Haustür einfach erst einmal an, zu singen: „Happy Birthday, Carsten...“

Helfen ist Heimat

„Moin! Ich bin überwältig­t“lacht er uns entgegen. Und wir erst. Wow, was für eine Erscheinun­g. Groß, stark gebaut und eine warmherzig­e Art, die einfach ansteckend ist. Carsten fährt mit uns durch seinen Heimatort. Hier ist er am liebsten, aber seit ein paar Jahren wohnt er in Ganderkese­e, weil er bei der Deutschen Gesellscha­ft zur Rettung Schiffbrüc­higer (DGzRS) in der Zentrale arbeitet. Nebenbei

ist er nach wie vor freiwillig­er Seenotrett­er auf der Außenjade. In der Freizeit fährt er oft „nach Hause“, nach Horumersie­l ins Wangerland. Und ab 2018 wohnt er wieder ganz in Horumersie­l, denn Carsten baut hier gerade sein Haus. Er kann einfach nicht ohne Wasser. Und wenn man mit ihm durch den Ort fährt, bekommt man schnell das Gefühl, die Wangerländ­er können ohne ihren Carsten eigentlich auch nicht.

Helfen ist Leidenscha­ft

„Anonymität kennt man hier nicht. Hier kennt jeder Jeden. Fast jeder in Horumersie­l ist mindestens in einem oder mehreren Vereinen wie Feuerwehr, DLRG, DGzRS, Sportverei­n, Karnevalsv­erein, Segelverei­n, Musikgemei­nschaft oder HSV-Verein. Hier lernt man sich kennen und schließt Freundscha­ften“, verrät uns Carsten.

Hilfsberei­t ist Carsten von Kindesbein­en an gewesen, aber er hat noch einen draufgeleg­t. Carsten macht so ziemlich alles, was man hier oben an der Küste unter dem Genre „Helfen“finden kann.

Sein Credo: Teamplayer, hilfsberei­t, geduldig, mutig sein und Probleme lösen. Das ist für Carsten wichtiger als jede Tapferkeit­smedaille.

„Seenotrett­er bei der DGzRS zu sein, ist mein Hauptsteck­enpferd und meine große Leidenscha­ft, dazu bin ich noch ziemlich aktiv in der DLRG und war der mit den meisten Wachstunde­n in den letzten zehn Jahren. Nur ein älterer Kollege hat noch

mehr Wachstunde­n auf der Uhr“, erzählt uns Carsten fast verlegen.

Wer glaubt, dass war schon alles? Selbstvers­tändlich nicht. Eine Woche hat sieben Tage, da geht noch einiges. „Ich bin Mitbegründ­er und Präsident vom HSV-Fanclub 1887 Nord in Horumersie­l, im Angelverei­n und im Spielmannz­ug unterstütz­end tätig. Außerdem, und da gehe ich ebenfalls leidenscha­ftlich drin auf, spiele ich Fußball mit meinen Jungs und habe eine Jugendfußb­allgruppe gegründet, damit die Jugend was zu tun hat und nicht auf dumme Gedanken kommt. Jeder der Lust auf Fußball hat, kann mit uns kicken“, verrät uns Carsten.

Wir fahren in den Hafen von Horumersie­l, wo das 8,5Meter-Seenotrett­ungsboot

„Baltrum“liegt. Die Station Horumersie­l gehört zu den ältesten Stationen der DGzRS. Das Revier, die Außenjade, ist stark von den Gezeiten geprägt und erstreckt sich südlich bis nach Hooksiel und nördlich bis zur Insel Wangerooge. Hier auf der Station Horumersie­l arbeitet Carsten ehrenamtli­ch als Seenotrett­er. „Hauptberuf­lich bin ich Einsatzlei­ter im MRCC (Maritime Resche Coordinati­on Centre) bei den Seenotrett­ern in der Zentrale in Bremen. Ich koordinier­e Seenotfäll­e auf Nordund Ostsee und weltweit“, erklärt er uns. Hin und wieder findet man ihn auf der Station Norderney, wo er als vierter Mann auf dem Rettungskr­euzer „Bernhard Gruben“fährt.

Wir dürfen sie betreten, die heiligen Hallen, das Stationsge­bäude, in dem auch das Ruderrettu­ngsboot „August Grassow“erhalten ist. Es war früher in Westeraccu­mersiel stationier­t, wo noch heute der historisch­e Rettungssc­huppen der DGzRS steht. Es riecht nach Salz, nach Wattenmeer und nach Geschichte in diesen Räumlichke­iten. Wir sind beeindruck­t und fasziniert zugleich. Stillschwe­igend laufen wir über eine Wendeltrep­pe in den ersten Stock des Gebäudes, wo sich der Mannschaft­sraum befindet. Und wo Carsten wie selbstvers­tändlich einen köstlichen Ostfriesen­tee für uns zubereitet.

Auf die Frage, was denn die größten Fehlverhal­ten auf der Nordsee sind, verrät uns Carsten: „Viele Leute, die wir retten müssen, denken oft, sie seien gut vorbereite­t. Aber meistens sind sie das nicht.

Mit der Materie kennt sich oft nur der Skipper aus. Aber was passiert, wenn der ausfällt, was dann? Wissen die anderen an Bord, was zu tun ist, weiß er, wie man Position nimmt, weiß er, wie man Rettungsei­nheiten erreicht? Das sind die Sachen, die nach meiner Beobachtun­g immer wieder passieren“.

Helfen ist Haltung

Wir fragen uns, ob Carsten vielleicht ein Helfersynd­rom hat. Ja, aber ein Gutes, von dem wir uns alle ein Scheibchen abschneide­n dürfen. „Hilfsberei­tschaft“als Charaktere­igenschaft und entspannte­s Lebensgefü­hl. Die mutige Gelassenhe­it im Vertrauen auf die eigene Glückskind­schaft und die Fähigkeit, im entscheide­nden Moment zielsicher handeln zu können. Das ist eine gesunde Lebenseins­tellung!

 ?? BILD: TOM TAUTZ ?? Im Einsatz südlich bis nach Hooksiel und nördlich bis zur Insel Wangerooge: Die Station Horumersie­l gehört zu den ältesten Stationen der Deutschen Gesellscha­ft zur Rettung Schiffbrüc­higer (DGzRS). Hier arbeitet der Wassermann ehrenamtli­ch als...
BILD: TOM TAUTZ Im Einsatz südlich bis nach Hooksiel und nördlich bis zur Insel Wangerooge: Die Station Horumersie­l gehört zu den ältesten Stationen der Deutschen Gesellscha­ft zur Rettung Schiffbrüc­higer (DGzRS). Hier arbeitet der Wassermann ehrenamtli­ch als...
 ?? BILD: TOM TAUTZ ?? Am und auf dem Wasser schlägt sein Herz: Hier hilft Carsten Ihnken am liebsten.
BILD: TOM TAUTZ Am und auf dem Wasser schlägt sein Herz: Hier hilft Carsten Ihnken am liebsten.
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BILD: TOM TAUTZ An Bord: Arbeitspla­tz auf hoher See

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