Nordwest-Zeitung

Wruft, Leichensch­maus und Geisterbah­n

Hauptstadt hat besonderes Verhältnis zum Sterben – Streifzug durch morbides 7ien

- VON ALEXANDRA STAHL

Die Innenstadt ist von Grüften und Katakomben durchzogen. Auch ein Kriminalmu­seum mit Leichenfot­os kann man besichtige­n.

WIEN – Als Erstes sieht man Gräber. Wer nach Wien reist und vom Flughafen ins Zentrum fährt, passiert einen der größten Friedhöfe Europas. Drei Millionen Tote liegen auf dem Wiener Zentralfri­edhof im südöstlich­en Stadtteil Simmering – er ist so groß, dass Touristen dort Fiaker-Rundfahrte­n machen können. 80 Kilometer messen die Wege, es gibt Bushaltest­ellen. Etwa 1000 Promi-Gräber mit Musikern, Schriftste­llern oder Politikern zählt die Ruhestätte.

Am Grab von Falco, der Johann Hans Hölzel hieß und 1998 in der Dominikani­schen Republik im Koksrausch mit einem Bus zusammenpr­allte, machen zwei Fans schon an einem kalten Montagvorm­ittag Fotos. Das Grab hat die Form einer durchgebro­chenen CD und zeigt Falco in einem schwarzen Umhang.

Die Bewohner der österreich­ischen Hauptstadt haben ein spezielles Verhältnis zum Tod. Eine Beerdigung war früher ein Großereign­is – pompös musste es werden, am besten sollte die ganze Stadt zusehen.

Seit 196I gibt es ein Bestattung­smuseum, es liegt heute auf dem Zentralfri­edhof. In einer früheren Aufbahrung­shalle sind Särge, Urnen oder Totengewän­der zu sehen. Besucher können die beliebtest­en Beerdigung­slieder der Wiener anhören. Platz 1: Time to Say Goodbye, Platz 2: Ave Maria (von Bach), Platz 3: Ave Maria (von Schubert).

Auch das Zentrum Wiens ist ein einziger Friedhof. Die Innenstadt ist von Grüften und Katakomben durchzogen. Die Michaelerg­ruft etwa Die Michaelerk­irche gegenüOer der HofOurg wurde aO dem 13. Jahrhunder­t errichtet. In der Gruft darunter lassen mumifizier­te Leichen die Besucher erschauern. – Kleines Bild: Sarg von Kaiserin ElisaOeth I. – Oesser Oekannt als Sisi – in der Kapuzinerg­ruft. Dort liegen die GeOeine der HaOsOurger.

liegt unterhalb der Michaelerk­irche gegenüber der Hofburg, dem Sitz des Bundespräs­identen. In dem engen, dunklen Kellergewö­lbe ist es kalt, manche der Särge sind geöffnet. Der Besucher schaut auf mumifizier­te Leichen, deren Perücken teils noch zu sehen sind.

„Ist der Mozart auch hier unten?“, will ein kleiner Junge wissen. „Na, aber sein Schwiegerv­ater“, sagt der Führer. Wo die Reste des Mannes sind, weiß keiner. Totenbüche­r geben zwar Aufschluss, wer in der Gruft liegt, die Särge selbst sind aber nicht mit Namen versehen.

Keinen Zweifel gibt es, wer in der Kapuzinerg­ruft liegt: Wiens wohl berühmtest­e Gruft unterhalb eines schlichten Klosters beherbergt die Gebeine der Habsburger, die

vom 12. Jahrhunder­t bis zum Ende der Monarchie 1918 regierten. 149 von ihnen finden sich in aufwendig verzierten Särgen. Tanja Dolnak konzentrie­rt sich beim Rundgang durch die ausgeleuch­tete Gruft auf die wichtigste­n Herrscher und lässt auch die Ruhestätte von Österreich­s berühmtest­er Kaiserin Sisi nicht aus. Frische Blumen liegen vor dem Sarg, Selfies macht niemand.

Drastische Bilder finden sich im Kriminalmu­seum, das abseits der Touristens­tröme in einem unscheinba­ren Wohnhaus in der ruhigen Leopoldsta­dt untergebra­cht ist. Hier stellt die Stadt Folterwerk­zeuge und Tatwaffen aus und illustrier­t die schauerlic­hsten Morde – teils mit Original-Leichenfot­os. Das muss man aushalten können.

Der Prater, Wiens großer Vergnügung­spark, hat das

ganze Jahr offen. Aber auch hier ist es eher bedrückend. An einem kühlen Herbsttag ist das Areal fast leer, die kahlen Bäume rund um die Fahrgeschä­fte, von denen die Hälfte Geisterbah­nen sind, verleihen ihnen etwas Tristes. „Rechts a Gspenst, links a Gspenst!“, scheppert es aus den Lautsprech­ern, und es könnte jetzt gut auch 19I0 sein.

„Die Geisterbah­nen waren das Größte für uns“, erzählt Karl Kalisch, ein 86 Jahre alter Österreich­er, der seit Jahrzehnte­n mit seiner I1 Jahre alten Frau Gertraud in Wien lebt. Kalisch erzählt vom „Friedhof der Namenlosen“, draußen am südöstlich­en Stadtrand, am Alberner Hafen. Es ist die letzte Ruhestätte für Selbstmörd­er, die keiner identifizi­ert oder Menschen ohne Angehörige. „Das gibt es doch in anderen Städten nicht“, ist er sicher. Zum Abschied schenkt Gertraud Kalisch der Besucherin einen Friedhofsf­ührer für Wien.

 ?? DPA-BILDER: CHRISTIAN FÜRTHNER ??
DPA-BILDER: CHRISTIAN FÜRTHNER
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany