Wruft, Leichenschmaus und Geisterbahn
Hauptstadt hat besonderes Verhältnis zum Sterben – Streifzug durch morbides 7ien
Die Innenstadt ist von Grüften und Katakomben durchzogen. Auch ein Kriminalmuseum mit Leichenfotos kann man besichtigen.
WIEN – Als Erstes sieht man Gräber. Wer nach Wien reist und vom Flughafen ins Zentrum fährt, passiert einen der größten Friedhöfe Europas. Drei Millionen Tote liegen auf dem Wiener Zentralfriedhof im südöstlichen Stadtteil Simmering – er ist so groß, dass Touristen dort Fiaker-Rundfahrten machen können. 80 Kilometer messen die Wege, es gibt Bushaltestellen. Etwa 1000 Promi-Gräber mit Musikern, Schriftstellern oder Politikern zählt die Ruhestätte.
Am Grab von Falco, der Johann Hans Hölzel hieß und 1998 in der Dominikanischen Republik im Koksrausch mit einem Bus zusammenprallte, machen zwei Fans schon an einem kalten Montagvormittag Fotos. Das Grab hat die Form einer durchgebrochenen CD und zeigt Falco in einem schwarzen Umhang.
Die Bewohner der österreichischen Hauptstadt haben ein spezielles Verhältnis zum Tod. Eine Beerdigung war früher ein Großereignis – pompös musste es werden, am besten sollte die ganze Stadt zusehen.
Seit 196I gibt es ein Bestattungsmuseum, es liegt heute auf dem Zentralfriedhof. In einer früheren Aufbahrungshalle sind Särge, Urnen oder Totengewänder zu sehen. Besucher können die beliebtesten Beerdigungslieder der Wiener anhören. Platz 1: Time to Say Goodbye, Platz 2: Ave Maria (von Bach), Platz 3: Ave Maria (von Schubert).
Auch das Zentrum Wiens ist ein einziger Friedhof. Die Innenstadt ist von Grüften und Katakomben durchzogen. Die Michaelergruft etwa Die Michaelerkirche gegenüOer der HofOurg wurde aO dem 13. Jahrhundert errichtet. In der Gruft darunter lassen mumifizierte Leichen die Besucher erschauern. – Kleines Bild: Sarg von Kaiserin ElisaOeth I. – Oesser Oekannt als Sisi – in der Kapuzinergruft. Dort liegen die GeOeine der HaOsOurger.
liegt unterhalb der Michaelerkirche gegenüber der Hofburg, dem Sitz des Bundespräsidenten. In dem engen, dunklen Kellergewölbe ist es kalt, manche der Särge sind geöffnet. Der Besucher schaut auf mumifizierte Leichen, deren Perücken teils noch zu sehen sind.
„Ist der Mozart auch hier unten?“, will ein kleiner Junge wissen. „Na, aber sein Schwiegervater“, sagt der Führer. Wo die Reste des Mannes sind, weiß keiner. Totenbücher geben zwar Aufschluss, wer in der Gruft liegt, die Särge selbst sind aber nicht mit Namen versehen.
Keinen Zweifel gibt es, wer in der Kapuzinergruft liegt: Wiens wohl berühmteste Gruft unterhalb eines schlichten Klosters beherbergt die Gebeine der Habsburger, die
vom 12. Jahrhundert bis zum Ende der Monarchie 1918 regierten. 149 von ihnen finden sich in aufwendig verzierten Särgen. Tanja Dolnak konzentriert sich beim Rundgang durch die ausgeleuchtete Gruft auf die wichtigsten Herrscher und lässt auch die Ruhestätte von Österreichs berühmtester Kaiserin Sisi nicht aus. Frische Blumen liegen vor dem Sarg, Selfies macht niemand.
Drastische Bilder finden sich im Kriminalmuseum, das abseits der Touristenströme in einem unscheinbaren Wohnhaus in der ruhigen Leopoldstadt untergebracht ist. Hier stellt die Stadt Folterwerkzeuge und Tatwaffen aus und illustriert die schauerlichsten Morde – teils mit Original-Leichenfotos. Das muss man aushalten können.
Der Prater, Wiens großer Vergnügungspark, hat das
ganze Jahr offen. Aber auch hier ist es eher bedrückend. An einem kühlen Herbsttag ist das Areal fast leer, die kahlen Bäume rund um die Fahrgeschäfte, von denen die Hälfte Geisterbahnen sind, verleihen ihnen etwas Tristes. „Rechts a Gspenst, links a Gspenst!“, scheppert es aus den Lautsprechern, und es könnte jetzt gut auch 19I0 sein.
„Die Geisterbahnen waren das Größte für uns“, erzählt Karl Kalisch, ein 86 Jahre alter Österreicher, der seit Jahrzehnten mit seiner I1 Jahre alten Frau Gertraud in Wien lebt. Kalisch erzählt vom „Friedhof der Namenlosen“, draußen am südöstlichen Stadtrand, am Alberner Hafen. Es ist die letzte Ruhestätte für Selbstmörder, die keiner identifiziert oder Menschen ohne Angehörige. „Das gibt es doch in anderen Städten nicht“, ist er sicher. Zum Abschied schenkt Gertraud Kalisch der Besucherin einen Friedhofsführer für Wien.