Nordwest-Zeitung

Bundespräs­ident warnt vor neuen Mauern

Steinmeier fordert Argumente statt Empörung in Flüchtling­spolitik

- VON THOMAS LANIG UND OLIVER VON RIEGEN

MAINZ – Deutschlan­d feiert die Einheit – doch eineinhalb Wochen nach der Bundestags­wahl herrscht Unsicherhe­it. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier warnte daher bei der zentralen Feier in Mainz vor neuen Mauern in der Gesellscha­ft.

„Die große Mauer quer durch unser Land ist weg“, sagte er. Aber das Wahlergebn­is vom 24. September habe gezeigt: „Es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldra­ht und Todesstrei­fen.“Gewachsen

sei die Sehnsucht nach Heimat, die nicht Nationalis­ten überlassen werden dürfe.

Bei der Wahl hatten Union und SPD deutliche Verluste erlitten, die AfD war auf 12,6 Prozent gewachsen. Sie war vor allem im Osten stark.

Ohne den Wahlerfolg der AfD anzusprech­en, betonte Steinmeier: „Mauern aus Entfremdun­g, Enttäuschu­ng und Wut“seien bei manchen so fest geworden, dass Argumente nicht mehr durchdräng­en. Die Debatte über Flucht und Migration habe Deutschlan­d aufgewühlt, sei aber auch Folge einer aufgewühlt­en Welt. Viele Menschen sagten: „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“Der Wunsch nach heimatlich­er Sicherheit sei nicht zu verurteile­n. „Heimat weist in die Zukunft“, sagte er. Aber: „Die Sehnsucht nach Heimat dürfen wir nicht denen überlassen, die Heimat konstruier­en als ein ,wir gegen die‘, als Blödsinn von Blut und Boden.“Er forderte Argumente statt Empörung – vor allem bei der Flüchtling­spolitik. Notwendig sei ein ehrlicher Umgang mit dem Thema.

Leimat ist offen – aber nicht beliebig.“Was für ein wichtiger Satz des Bundespräs­identen Frank Walter Steinmeier. Oder der: „Nicht alle, die sich jetzt abwenden, sind Feinde der Demokratie, aber sie fehlen der Demokratie.“Am Tag der Deutschen Einheit hat Steinmeier viele kluge Worte gewählt und viele wichtige Sätze gesagt. Nehmen wir aber erst einmal den von mir erstzitier­ten Satz: „Heimat ist offen – aber nicht beliebig.“Es kam in den vergangene­n Jahren nicht allzu oft vor, dass ein Bundespräs­ident die neuen Bewohner der Bundesrepu­blik in die Pflicht genommen hat. Das hat er mit diesem Satz getan.

Wenn jetzt die Enttäuscht­en des politische­n Establishm­ents meinen, der Bundespräs­ident habe mal wieder nur ihnen die Leviten gelesen, haben diese Menschen der Rede eben nicht richtig zugehört. Natürlich muss ein Bundespräs­ident am Tag der Deutschen Einheit an die Spielregel­n der Demokratie erinnern. Er appelliert­e aber an beide Seiten zuzuhören. Aus „Unterschie­den“dürfen „keine Unversöhnl­ichkeiten“werden, sagte er. Und weiter: Die „Mauern der Unversöhnl­ichkeit“müssten abgetragen werden. Was für ein Satz 27 Jahre (!) nach der Einheit. Welche Einheit, schießt es da jedem durch den Kopf, der sich das Wahlverhal­ten vor anderthalb Wochen in Ost und West angeschaut hat. Steinmeier machte deshalb deutlich, dass diese Einheit kein abgeschlos­senes Produkt ist, nie sein wird. „Heimat weist in die Zukunft, nicht in die Vergangenh­eit.“

Diese Zukunft zu gestalten, liege auch in den Händen der Neuankömml­inge, machte der Bundespräs­ident deutlich. Das Zusammenle­ben mit Migranten könne nur gelingen, wenn sich die Zuwanderer an die Gesetze und Überzeugun­gen hielten, von der die deutsche Gemeinscha­ft geprägt sei. Das müssten auch jene akzeptiere­n, die aus Osteuropa, Afrika oder muslimisch­en Ländern des Mittleren Ostens nach Deutschlan­d gekommen seien. „Wer in Deutschlan­d Heimat sucht, kann nicht sagen: ‚Das ist Eure Geschichte, nicht meine‘“, sagte Steinmeier.

Zuweilen sind Festreden beliebig, diese Rede von Frank Walter Steinmeier war es nicht. Zumindest jeder hier lebende Mensch sollte sie sich genau anhören.

@ Den Autor erreichen Sie unter Reckermann@infoautor.de

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