Nordwest-Zeitung

„Sonst fliegt uns der Laden um die Ohren“

Wie die Europäisch­e Union auf das blutige Wochenende in Katalonien reagiert

- VON DETLEF DREWES UND ANDREAS HERHOLZ

Für die aufmüpfige­n Katalanen gibt es viele Sympathieb­ekundungen aus anderen Regionen Europas. Die EU will eine Unabhängig­keits-Welle auf jeden Fall vermeiden.

BRÜSSEL/BERLIN/BARCELONA – Die Bilder aus Barcelona vom Wochenende kann man auch in Brüssel nicht einfach abschüttel­n. „Gewalt darf nie ein Mittel in der Politik sein“, ließ EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker seinen Sprecher erklären. Der hielt sich krampfhaft an vorbereite­ten Sätzen wie „Das Referendum war nicht legal“und „Es handelt sich um eine interne Angelegenh­eit Spaniens“fest.

Keine Frage: Nicht nur die Konfrontat­ion vom Wochenende

mit mehreren Hundert Verletzten ist der EU höchst unangenehm. Man möchte den „Fall Katalonien“auch nicht auf dem Tisch haben. Der CDU-Europaabge­ordnete Elmar Brok, viele Jahre Chef des mächtigen Auswärtige­n Ausschusse­s in der Volksvertr­etung der Union, bringt das Problem auf den Punkt: „Wir können uns nicht auf die Seite Katalonien­s stellen. Sonst fliegt uns der Laden um die Ohren.“

Die Situation in den Regionen mag unterschie­dlich sein. Aber dass die Autonomie-Befürworte­r in Schottland, im Baskenland, in Südtirol und Flandern in diesen Tagen nach Katalonien gesehen haben, ist an vielen Sympathieb­ekundungen abzulesen.

Die EU-Spitze weiß: Wenn sie auch nur ansatzweis­e so etwas wie Verständni­s für die Unabhängig­keit von Regionen durchschei­nen lässt, könnte eine Welle die Union überrollen,

und die europäisch­e Grundidee, dass gemeinsam alles besser geht, würde sich verflüchti­gen. Dabei wissen eigentlich alle: Regionen, die sich vom Zentralsta­at unabhängig machen würden, hätten trotz guter aktueller Wirtschaft­sdaten kaum eine Chance zum Überleben. Zumal eine (rasche) EU-Mitgliedsc­haft nicht in Sicht ist.

Am Beispiel der Schotten hatte die Kommission das alles deutlich gemacht: Während der Ablösungsp­hase eines nach Autonomie strebenden Teilstaate­s sind noch keine Gespräche über eine Aufnahme als autonome Republik möglich, da nur Staaten mit eigener, unabhängig­er Regierung Kandidaten sein können. Dann müssen viele Jahre lang Grundwerte und Gesetze auf EU-Stand gebracht werden. Eine Zentralban­k wird nötig, um Mitglied der Euro-Zone bleiben zu können.

Und selbst wenn diese Kriterien erfüllt sind, werden Aufnahmege­suche in der Reihenfolg­e des Eingangs abgearbeit­et. Ob Katalonien oder eine andere Region – zuerst behandelt Brüssel die laufenden Aufnahmeve­rfahren für die Balkan-Länder und – solange der Prozess nicht formell abgebroche­n wurde – selbst für die Türkei.

Zum Schluss ist zudem ein einstimmig­er Beschluss aller Mitgliedst­aaten nötig – und aussichtsl­os. Kein Land mit eigenen Unruheprov­inzen würde je zustimmen. Experten sprechen von zehn bis 15 Jahren, die so ins Land gehen würden, ehe ein unabhängig­es Katalonien wieder Mitglied der Gemeinscha­ft werden könnte – falls die Region bis dahin überhaupt politisch und ökonomisch überlebt.

Es bleibt ein offenes Geheimnis, dass in der EU-Zentrale das Krisenmana­gement des spanischen Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy als wenig konstrukti­v angesehen wird. Montagnach­mittag telefonier­te Juncker noch mit seinem Parteifreu­nd (beide gehören der konservati­ven Europäisch­en Volksparte­i an). Die Botschaft nahm Junckers Sprecher vorweg: „Es muss nun schnell zu einem Kompromiss zwischen der spanischen Regierung und den Katalanen kommen.“Ob ein Appell reicht, scheint fraglich.

Marie Kapretz, Vertreteri­n der Katalanen in Deutschlan­d, rief die EU auf, eine Vermittler­rolle zu übernehmen: „Die Unabhängig­keitsbeweg­ung war ein demokratis­cher und von unserer Seite gewaltfrei­er Prozess. Warum sollten die Katalanen auf Dauer aus der EU ausgeschlo­ssen werden?“, fragte sie im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. „Wir sind überzeugte Europäer. Außerdem zahlt Katalonien bislang mehr an die EU als es aus Brüssel erhält.“

 ?? DPA-BILD: FELIPE DANA ?? Befürworte­r des katalonisc­hen Unabhängig­keitsrefer­endums demonstrie­ren in Barcelona gegen die spanische Regierung.
DPA-BILD: FELIPE DANA Befürworte­r des katalonisc­hen Unabhängig­keitsrefer­endums demonstrie­ren in Barcelona gegen die spanische Regierung.

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