„Sonst fliegt uns der Laden um die Ohren“
Wie die Europäische Union auf das blutige Wochenende in Katalonien reagiert
Für die aufmüpfigen Katalanen gibt es viele Sympathiebekundungen aus anderen Regionen Europas. Die EU will eine Unabhängigkeits-Welle auf jeden Fall vermeiden.
BRÜSSEL/BERLIN/BARCELONA – Die Bilder aus Barcelona vom Wochenende kann man auch in Brüssel nicht einfach abschütteln. „Gewalt darf nie ein Mittel in der Politik sein“, ließ EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seinen Sprecher erklären. Der hielt sich krampfhaft an vorbereiteten Sätzen wie „Das Referendum war nicht legal“und „Es handelt sich um eine interne Angelegenheit Spaniens“fest.
Keine Frage: Nicht nur die Konfrontation vom Wochenende
mit mehreren Hundert Verletzten ist der EU höchst unangenehm. Man möchte den „Fall Katalonien“auch nicht auf dem Tisch haben. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, viele Jahre Chef des mächtigen Auswärtigen Ausschusses in der Volksvertretung der Union, bringt das Problem auf den Punkt: „Wir können uns nicht auf die Seite Kataloniens stellen. Sonst fliegt uns der Laden um die Ohren.“
Die Situation in den Regionen mag unterschiedlich sein. Aber dass die Autonomie-Befürworter in Schottland, im Baskenland, in Südtirol und Flandern in diesen Tagen nach Katalonien gesehen haben, ist an vielen Sympathiebekundungen abzulesen.
Die EU-Spitze weiß: Wenn sie auch nur ansatzweise so etwas wie Verständnis für die Unabhängigkeit von Regionen durchscheinen lässt, könnte eine Welle die Union überrollen,
und die europäische Grundidee, dass gemeinsam alles besser geht, würde sich verflüchtigen. Dabei wissen eigentlich alle: Regionen, die sich vom Zentralstaat unabhängig machen würden, hätten trotz guter aktueller Wirtschaftsdaten kaum eine Chance zum Überleben. Zumal eine (rasche) EU-Mitgliedschaft nicht in Sicht ist.
Am Beispiel der Schotten hatte die Kommission das alles deutlich gemacht: Während der Ablösungsphase eines nach Autonomie strebenden Teilstaates sind noch keine Gespräche über eine Aufnahme als autonome Republik möglich, da nur Staaten mit eigener, unabhängiger Regierung Kandidaten sein können. Dann müssen viele Jahre lang Grundwerte und Gesetze auf EU-Stand gebracht werden. Eine Zentralbank wird nötig, um Mitglied der Euro-Zone bleiben zu können.
Und selbst wenn diese Kriterien erfüllt sind, werden Aufnahmegesuche in der Reihenfolge des Eingangs abgearbeitet. Ob Katalonien oder eine andere Region – zuerst behandelt Brüssel die laufenden Aufnahmeverfahren für die Balkan-Länder und – solange der Prozess nicht formell abgebrochen wurde – selbst für die Türkei.
Zum Schluss ist zudem ein einstimmiger Beschluss aller Mitgliedstaaten nötig – und aussichtslos. Kein Land mit eigenen Unruheprovinzen würde je zustimmen. Experten sprechen von zehn bis 15 Jahren, die so ins Land gehen würden, ehe ein unabhängiges Katalonien wieder Mitglied der Gemeinschaft werden könnte – falls die Region bis dahin überhaupt politisch und ökonomisch überlebt.
Es bleibt ein offenes Geheimnis, dass in der EU-Zentrale das Krisenmanagement des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy als wenig konstruktiv angesehen wird. Montagnachmittag telefonierte Juncker noch mit seinem Parteifreund (beide gehören der konservativen Europäischen Volkspartei an). Die Botschaft nahm Junckers Sprecher vorweg: „Es muss nun schnell zu einem Kompromiss zwischen der spanischen Regierung und den Katalanen kommen.“Ob ein Appell reicht, scheint fraglich.
Marie Kapretz, Vertreterin der Katalanen in Deutschland, rief die EU auf, eine Vermittlerrolle zu übernehmen: „Die Unabhängigkeitsbewegung war ein demokratischer und von unserer Seite gewaltfreier Prozess. Warum sollten die Katalanen auf Dauer aus der EU ausgeschlossen werden?“, fragte sie im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. „Wir sind überzeugte Europäer. Außerdem zahlt Katalonien bislang mehr an die EU als es aus Brüssel erhält.“