Nordwest-Zeitung

„Es gibt noch einen Rückstand“

Roland Jahn über die langen Nachwirkun­gen der Diktatur

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Die Einheitsfe­iern 2017 standen auch im Zeichen des Wahlergebn­isses. Ost und West scheinen noch immer gespalten zu sein. Warum ist die AfD im Osten so stark/ JAHN: Wir sollten ganz genau hinschauen. Die Wahlerfolg­e der AfD sind kein reines Ostproblem. Das ist ein Problem in Ost und West. Es nur auf den Osten zu schieben, damit würde man es sich zu einfach machen. Natürlich ist in den vergangene­n 27 Jahren viel geschehen. Aber richtig ist: Im Osten Deutschlan­ds gibt es noch immer einen Rückstand bei der Entwicklun­g der Demokratie und der Zivilgesel­lschaft. Dieser Rückstand ist nicht so einfach aufzuholen. Wir müssen uns auch heute immer wieder klarmachen, was es bedeutet hat, über Jahrzehnte in einer Diktatur zu leben. Dieses Leben in der Diktatur hat Nachwirkun­gen bis in die nächsten Generation­en hinein. FRAGE: Aber 0oher kommt das hohe 1a2 an Fremdenfei­ndlichkeit 3 auch da, 0o es kaum Fremde gibt/ JAHN: Die DDR war eine geschlosse­ne Gesellscha­ft. Da war der Umgang mit Fremden eher die Ausnahme. Weltoffenh­eit gab es nicht. Das wirkt sich bis heute auf die Einstellun­g der Menschen aus. Aber für die aktuelle Entwicklun­g in den neuen Ländern und den Erfolg der AfD gibt es vielfältig­e Ursachen. FRAGE: 27 4ahre nach der Einheit 3 ist da zusammenge­0achsen, 0as zusammenge­hört/ JAHN: Die Deutsche Einheit ist eine Erfolgsges­chichte. Man muss sich doch nur die

ostdeutsch­en Städte ansehen, wie sie sich heute präsentier­en. Da gibt es kaum noch Ruinen. Der Osten hat sich grundlegen­d und positiv verändert und ist integriert­er Teil der Bundesrepu­blik. Die Menschen können ihre Meinung sagen, sich engagieren und wählen gehen. Das allein ist doch ein Glücksfall. Auf diese demokratis­chen Errungensc­haften können wir stolz sein. FRAGE: 5eraten die Feierlichk­eiten nicht zur 6outine/ JAHN: Nein, bei den Feierlichk­eiten erlebe ich keinerlei Routine. Da ist auch heute noch Freude über die Einheit zu spüren. Gerade der Tag der Einheit macht deutlich, dass Freiheit und Selbstbest­immung keine Selbstvers­tändlichke­iten sind. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir sollten den nächsten Generation­en die Möglichkei­t geben, zu verstehen, was das Leben in einer Diktatur bedeutet. Das schärft die Sinne für die Gegenwart. Daher ist es wichtig, die Erinnerung wachzuhalt­en und Angebote zu machen, die junge Menschen interessie­ren – in der Schule, in den Medien, aber auch in den Gedenkstät­ten. FRAGE: 1anch einer 07rde gerne 8hre 9ehörde schlie2en und einen Schlussstr­ich ziehen. Wie geht es in Zukunft 0eiter mit den Stasi-Akten/ JAHN: Der Bundestag hat ein klares Zeichen gesetzt. Der Gesamtbest­and der Stasi-Akten soll erhalten bleiben. Jetzt geht es darum, Strukturen zu entwickeln, so dass sie als Teil des Gedächtnis­ses der Nation den kommenden Generation­en weiter zur Verfügung stehen. Nur mit den Akten lassen sich die Herrschaft­smechanism­en der DDR begreifen.

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