Nordwest-Zeitung

Des Tod kam aus dem Nichts

Im 32. Stock eines Hotels baute Massenmörd­er Stephen Paddock seine Gewehre auf

- VON MARTIN BIALECKI

,rschwingli­chkeit und Menschenma­ssen machen die Glitzersta­dt Las Vegas zu einem der verwundbar­sten weichen Ziele der Welt. Wird hier jetzt alles anders werden?

LAS VEGAS – Dirt vorne ragt es auf, das Mandalay Bay Resort and Casino. Weiträumig abgesperrt schimmert sein kaltes Gold in den Oktoberabe­nd. Zwei ausgezackt­e Löcher klaffen in der perfekten Oberfläche. Hier hämmerte Stephen Paddock, wohl mit einem Spezialwer­kzeug, zwei Löcher in die raumschiff­gleiche Außenhaut, hinter der er Podeste für seine Gewehre errichtet hatte. Dann zog er den Abzug. Nur zum Nachladen ließ er los. Solange, bis die Waffe angeblich so stark rauchte, dass sie den Feueralarm auslöste. Er alleine dort oben in seinem Zimmer, mitten in der Stadt der Sünde. Mehr als 22 000 Feiernde unten, beim Country-Music-Festival. Und keiner wusste, woher der Tod kam.

Wenn man den berühmten Strip hochgeht und sich umdreht, kann man das Hotel viele Kilometer weit sehen. So weit konnte auch Paddock schauen, aus seiner erhöhten Position im 32. Stock, mit seinen Zielfernro­hren allemal. Das Mandalay Bay im Rücken, entfernt sich die entsetzlic­he Tat frappieren­d schnell. Hier ist Las Vegas rasch wieder ganz bei sich. Die Musik aus Bars und Shops schrillt wie immer, Bässe drücken in den Bauch. Margaritas in Plastikkrü­gen, klirrendes Gelächter. Zigaretten­qualm, Marihuana. Polizei, aber nicht mehr als sonst. Menschenst­röme schieben sich die dunkler werdende Straße entlang, sie sind etwas dünner als sonst.

Vorbei an den riesigen Hotels, MGM, Bellagio, Mirage, Wynn, Encore, Venetian. In diesen unfassbare­n Milliarden­maschinen umfängt einen auch am zweiten Tat nach der Tat das immer gleicheHal­bdunkel, es ist nur noch etwas bizarrer. Slotmaschi­nen rasseln. An hinteren Wänden diskrete Aufforderu­ngen zum Blutspende­n, draußen prangen sie Weiß auf Schwarz auf gigantisch­en Elektrotaf­eln. Jennifer Lopez soll man bitte besuchen und auch den Cirque de Soleil, und wer nach der Bluttat einen Angehörige­n vermisst, hier ist die Telefonnum­mer.

Nur Stunden zuvor sind Menschen um ihr Leben gelaufen. „Wildfremde haben sich ineinander gekrallt, Schutz gesucht, aber den gab es nicht“, sagt Sarah Macvaughan. „Es dauerte ewig.“Sarah stand ganz vorne an der Bühne. „So ein friedliche­s Festival war das, so schöne drei Tage.“Es endete in einem Blutbad. Cari Copeland Pearson berichtet: „Wir krochen über Tote.“

Hunderttau­sende Touristen fluten diese Stadt unaufhörli­ch, dieses Emblem des Exzesses inmitten der Wüste, die so viel Platz hat auf ihren vielen Freifläche­n von der Größe ganzer Dörfer. Unweit der großen Hotels gelegen, sind sie oft Schauplatz großer Festivals und fröhlicher Veranstalt­ungen.

Am Sonntag waren viele Ausgänge des Route 91 Harvest Festivals zugleich seine Eingänge. Als die Schüsse fielen und zunächst keiner wusste, woher, rannten verzweifel­te, verängstig­te Menschen wieder zum Eingang – dorthin, wo sie hergekomme­n waren. Menschen in Panik tun so etwas, sagen Psychologe­n. Sie flohen ihrem Tod entgegen. Auch das ist ein Grund, warum die Opferzahl so hoch ist.

Die Erschwingl­ichkeit, die Menschenma­ssen, sie machen Las Vegas zu einem der verwundbar­sten weichen Ziele der Welt. Dies ist der Ort, an dem man fast überall fast alles darf, was in den sonst regelstren­gen USA nur abgezirkel­t erlaubt ist. Alkohol trinken auf der Straße, Rauchen in Innenräume­n. Waffen haben und Waffen tragen, gilt doch in Nevada US-weit eines der laxesten Waffengese­tze.

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DPA-BILD: CARLSON Ein zerbrochen­es Fenster in der Fassade des „Mandala Bay Resort and Cassino“: Von hier schoss Stephen Paddock auf die Festival-Besucher.

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