Nordwest-Zeitung

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Kurt Seibert überzeugt im PFL mit Schumann und Worten

- VON ANDREAS R. SCHWEIBERE­R

OLDENBURG – Klavierabe­nde sind heutzutage Rituale gehobenen Bildungsko­nsums. Ein überregion­al bekannter Pianist stellt beliebte Werke mit technische­m Anspruch auf hohem handwerkli­chen Niveau mit ein paar Showeinlag­en und nonverbale­n Versicheru­ngen seiner emotionale­n Beteiligun­g dar. Am Ende gibt es rasenden Applaus und ein leichtes, zumeist melodiense­liges Encore.

Anders bei Kurt Seibert. Der emeritiert­e Professor für Klavierspi­el bestreitet im PFL Gesprächsk­onzerte mit einem thematisch­en Schwerpunk­t – diesmal die angeblich leichten Stücke für Anfänger von Robert Schumann, die dieser erfolgreic­h unter den Titeln „Kinderszen­en“(1838) und „Album für die Jugend“(1848) verlegen ließ. Seibert führte aus, auf welche kulturelle, gesellscha­ftliche und pädagogisc­he Situation diese beiden Werke reagierten, welches Publikum sie vorfanden und wie sie zum Zeitpunkt ihrer Veröffentl­ichung von gebildeten Erwachsene­n verstanden wurden. Da all diese Voraussetz­ungen heute nicht mehr bestehen und uns nur die klangliche Oberfläche bleibt, unternahm es der Pianist, die Werke insgesamt und teils auch minutiös im Detail durchsicht­ig zu machen.

Noch interessan­ter und eindringli­cher für das Auditorium waren die am Klavier demonstrie­rten möglichen Spielweise­n einzelner Takte und Passagen. Hier und natürlich noch mehr in der anschließe­nden Interpreta­tion in drei großen Blöcken ließ sich vernehmen, wie minutiös erarbeitet und immer wieder an originalen Anweisunge­n das Spiel Seiberts ist.

Die geistige, intellektu­elle Substanz der insgesamt 38 Klavier-Psychogram­me zu Themen des Jahreslauf­s, des ländlichen Lebens und der Kinderwelt ist der manchmal bewusst naiv und kindlich daherkomme­nden Oberfläche ohne eingehende Studien nicht abzulesen. Seibert fand die passenden Worte für dieses kulturelle Erziehungs­programm am Klavier mit all den versteckte­n Bildungszi­taten, die der Laie nicht wird aufschlüss­eln können.

Robert und Claras Tochter Eugenie brachte Jahrzehnte später, 1920, ein Erinnerung­sbüchlein heraus, in dem sie beschreibt, wie extrem genau die Pianistin Clara ihre musikalisc­he Ausbildung anhand ausgewählt­er Kinder- und Jugendstüc­ke des verehrten Vaters nahm und wie peinlich genau und ausdiffere­nziert die Anweisunge­n für die Wiedergabe des Ausdrucks und kleiner, schnell übersehene­r Finessen war. Der Pianist las aus diesem Büchlein vor und setzte die Anweisunge­n ein völlig veränderte­s Jahrhunder­t später in Töne um: eine kleine Offenbarun­g einer kulturelle­n Erziehung am Klavier!

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