Enfassbar: Brieftasche ist wieder da
Gestohlene Dokumente von Zeteler Karl Carstengerdes nach 17 Jahren auf Friedhof gefunden
Vor 17 Jahren wurde Karl Carstengerdes’ Brieftasche gestohlen. Jetzt tauchte sie wieder auf – auf einem Friedhof in Friesland.
ZETEL – Jeder kennt das: Man verliert etwas, sucht danach, findet es nicht wieder und gibt schließlich auf. Tage, Wochen oder gar Monate später, wenn man längst vergessen hat, dass man überhaupt etwas gesucht hat, fällt es einem plötzlich wieder vor die Füße. Völlig unerwartet.
So etwas ähnliches ist auch Karl Carstengerdes, 81 Jahre alt und aus Zetel (Landkreis Friesland), passiert. Nur, dass zwischen seinem Verlust und dem Wiederfinden nicht Tage, Wochen oder Monate lagen, sondern ganze 17 Jahre. Was ist passiert? Der 7. Dezember 2000. Karl Carstengerdes Frau Anita putzt in der Realschule in Zetel. Heute ist dort die Außenstelle des Lothar-Meyer-Gymnasiums untergebracht. Normalerweise fährt Anita Carstengerdes mit dem Fahrrad zur Arbeit, die Strecke ist nicht weit. An dem besagten Tag nimmt sie aber das Auto, weil sie noch Altpapier mitnehmen will.
Während Anita Carstengerdes drinnen die Klassenräume auf Vordermann bringt, hilft der Hausmeister ihr, indem er das Altpapier in den Kofferraum des Autos packt. Als er fertig ist, schließt er ab. Offenbar war danach aber nur der Kofferraum, nicht aber die Türen abgeschlossen. Denn als Anita Carstengerdes nach getaner Arbeit wieder zum Auto zurückkehrt, merkt sie, dass sich jemand am Handschuhfach zu schaffen gemacht hat – und es fehlt eine Brieftasche. Darin: Karl Carstengerdes’ Führerschein, der Fahrzeugschein für das Auto, Bilder von den Kindern und noch ein paar mehr Papiere. Außerdem Kleingeld, um Parkuhren zu füttern – natürlich noch in Mark und Pfennigen.
Anita Carstengerdes ruft ihren Mann an. Zusammen mit dem Hausmeister durchsuchen sie die gesamte Umgebung. Vielleicht haben die Diebe ja nur schnell das Kleingeld
genommen und die Brieftasche in irgendeine Hecke geworfen, hoffen sie. Aber die Suche bleibt ohne Erfolg. Die Polizei rät, nicht gleich wieder einen neuen Führerschein zu beantragen. Möglicherweise findet sich der „Lappen“ja doch noch irgendwo wieder. Aber die Warterei nützt nichts, Anfang des neuen Jahres beantragt Karl Carstengerdes einen neuen Führerschein.
17 Jahre später stehen Hergen Haschen, Johannes David und Stefan Kamps, der in Zetel eine eigene Gärtnerei betreibt, auf dem alten Friedhof in Zetel. Johannes David hat eine Kettensäge im Arm. Er soll aus ein paar Büschen Kleinholz machen. Genau genommen geht es um eine Reihe Eiben, die dabei sind, ein Grab vollkommen zu überwuchern, und deshalb weg sollen. Gemeinsam machen sich die drei an die Arbeit.
Johannes David startet die
Kettensäge und setzt an. Die Säge zerlegt das Gehölz im Nu. Aber irgendetwas stimmt nicht. Das, was er da gerade eben zersägt hat, waren nicht nur Äste und Blätter. Irgendetwas hat er mit seiner Kettensäge zerfleddert, das nicht in eine Eibe gehört. Er hebt das
zerfledderte Etwas auf, betrachtet es genauer und stellt fest: Was er da in Händen hält, war einmal eine Brieftasche. Und darin ist etwas, das aussieht wie ein Führerschein. „Das Foto war nicht mehr zu erkennen, aber den Namen konnte man noch gut lesen“, sagt er. Und der Name war: Karl Carstengerdes. Die Adresse steht praktischerweise auch gleich drin.
Johannes David kennt Karl Carstengerdes nicht, auch wenn beide im gleichen Boßelverein sind und nicht besonders weit voneinander entfernt wohnen. Wer genau das ist, erfährt er von seinem Nachbarn. Er beschließt, ihm seinen Führerschein vorbeizubringen. „Es ist ja selbstverständlich, dass man da hingeht“, sagt der 29-Jährige.
Als Anita Carstengerdes aus dem Fenster schaut, fragt sie sich, wer der unbekannte Besucher ist. Ihr Mann ist gerade im Garten, also macht sie die Tür auf. Johannes David zeigt ihr das, was er auf dem Friedhof aus dem Gebüsch geholt hat. Sie ruft ihren Mann: „Komm‘ mal rein, dein Führerschein ist wieder da.“Karl Carstengerdes glaubt erst, sich verhört zu haben. Erst als er seinen alten „Lappen“wieder in den Händen hält, kann er sich einen Reim darauf machen. „Ich hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass ich den noch mal wiedersehe“, sagt Karl Carstengerdes.
Die Langfinger, die vor 17 Jahren die Brieftasche aus dem Auto mitgehen lassen haben, bedienten sich wohl an dem Bargeld, gingen die Straße weiter runter bis zum Friedhof und entsorgten alles, was für sie wertlos war, in der Eibe. Dort sollte die Brieftasche für die nächsten 17 Jahre liegen bleiben.
Aber wie kommt es, dass die Papiere in der langen Zeit nicht einfach vergammelt sind? Stefan Kamps hat dafür eine Erklärung: „So eine Eibe wächst sehr eng, da kommt kein Regen rein.“Und wo keine Feuchtigkeit ist, da vergammelt auch nichts. „In einem anderen Busch wäre es verwittert“, ist er sich sicher. Dazu kommt noch, dass die Papiere durch die Brieftasche einigermaßen gut geschützt waren.
Karl Carstengerdes weiß jedenfalls genau, was er jetzt mit seinem zurückgekehrten Führerschein machen wird: „Ich hänge da dran und deshalb werde ich ihn auf jeden Fall aufbewahren“, sagt er. Rahmen drum und eine Scheibe Glas davor, „damit er wenigstens so bleibt, wie er jetzt ist“.