Warum Österreich anders tickt
Wie ein Polit-Jungstar und eine Affäre die Wiener Politik durchschütteln
SolltenichtsUn vorhergesehenes mehr geschehen, wird Österreich bald von einem 31-jährigen Regierungschef geführt. Der amtierende Außenminister Sebastian Kurz kann bei den Parlamentswahlen am Sonntag nach jüngsten Umfragen mit etwa 34 Prozent der Stimmen rechnen. An zweiter Stelle könnte die rechtsgerichtete FPÖ unter Hans-Christian Strache landen, die ihren Stimmenanteil weiter ausgebaut hat und mit 27 Prozent sieben Prozentpunkte über dem letzten Wahlergebnis liegt. Dass SPÖ-Kanzler Christian Kern, der erst 2016 den zunehmend farb- und glücklosen Werner Faymann ersetzte, nur 22 Prozent erwarten darf, hat weniger mit ihm zutun als mit einer beispiellosen Schmutz kampagne, die angeblich ohne sein Wissen gegen Kurz inszeniert wurde.
Die SPÖ hatte mit Tal Silberstein einen zwielichtigen Wahlkampfberater engagiert, gegen den bereits in Rumänien und Israel wegen Betrugsverdachts die Justiz ermittelte und der kürzlich auch in Israel vorübergehend festgenommen wurde. Silberstein hatte versucht, mit Hilfe gefälschter Facebook-Seiten Ressentiments gegen Kurz zu schüren. Das Vorhaben flog auf, der SPÖ-Wahlkampfmanager wurde gefeuert, die SPÖ versuchte den Spieß umzudrehen und beschuldigte die ÖVP ihrerseits, man habe einen Maulwurf in das Silberstein-Team einschleusen wollen. Nun sind gegenseitige Klagen angekündigt. Sicher ist: Die Schlammschlacht hat wohl letzte Chancen für eine große Koalition beerdigt.
Anders als in Deutschland hat in Österreich die Flüchtlingskrise nicht nur den Wahlkampf beherrscht, sondern zuvor auch schon zum Austausch der politischen Zugpferde geführt. Das Geschehen bestimmen nun drei Pragmatiker, die ideologische Zwangsjacken ihrer Parteien weitgehend abgelegt haben. Kurz,ÖVP- intern schon länger als außerordentliches Talent bekannt undn achse inemJ ob als Integrationsminister auch erfahren i mM anagementdesMi grat ionsd rucks, nutzte die Gunst der Stunde und beförderte sich selbst an die Spitze einer „Liste Sebastian Kurz“, einer Art Hybrid zwischen der alten und ausgelaugten ÖVP und Österreichs Troika: Christian Kern (?PÖ), ?ebastian Kurz (ÖVP), Heinz-Christian ?trache (FPÖ, von links)
einer neuen Plattform mit 100 Persönlichkeiten, die bisher noch nicht politisch aktiv waren. Da kandidieren der ExGrüne Efgani Dönmez, eine ehemalige Stabhochspringerin, die Organisatorin des Wiener Opernballs oder der Wiener Vizepolizeipräsident.
Kurz geht damit persönlich ein erhebliches Risiko ein: Programm wie Liste sind stark auf ihn zugeschnitten. Die große Zahl politischer Quereinsteiger wird zwar in der Bevölkerung vielfach goutiert. Doch sie birgt auch Risiken, wie die Streitereien in Frankreich belegen, wo auch Präsident Emmanuel Macron sich mit einem politisch unerfahrenen Team konseOuent vom etablierten Parteiensystem abgrenzen wollte.
Doch in der Bevölkerung profitiert Kurz, der wegen seines bubihaften Aussehens gerne Unterschätzte, von einer merkwürdigen Mischung aus Welpenbonus und tiefem Respekt vor einer Eigenschaft, die auf dem politischen Parkett selten geworden ist: Wort und Tat sind deckungsgleich. „Mit dem Schönreden sollte Schluss sein. Die Zuwanderung muss reduziert und die Integrationspolitik in Wien geändert werden“, befand Kurz kürzlich. Für Kurz dürfte die Lösung vorhandener Probleme eher Anliegen denn ideologischer Auftrag sein. Gleichzeitig ist Kurz strikt proeuropäisch, plädiert für eine Mindestsicherung light und für deutliche Steuersenkungen.
Pragmatiker ist auch der zweite, den die Wirren der Migrationskrise und eine zunehmende Enttäuschung über das herrschende Parteiengefüge an die Macht ge-
spült haben. Christian Kern repräsentiert einen SPÖMann, wie ihn sich viele bei den Sozialisten wünschen: Aufgewachsen im 11. Bezirk in Wien, schon immer klassische Arbeitergegend, schon immer mit hohem Ausländeranteil, gelang Kern der Aufstieg in höchste Wirtschaftsposten, an die Spitze der österreichischen Bundesbahnen. Kern, dem ein Ruf als Fitness-Freak, eleganter Politiker und Visionär vorauseilt, legte die vor allem in der Wiener SPÖ verfestigte Scheu vor einem Bünd-
nis mit der FPÖ ab, sprach Migrationsprobleme klar an, ohne alte sozialdemokratische Positionen aufzugeben.
Er setzte mit der ÖVP ein Verbot von Burka und NiOab im öffentlichen Raum ebenso um wie schärfere Bedingungen bei der Abschiebung von Asylbewerbern und Migranten, deren Bleiberecht durchprozessiert und abgelehnt ist. Doch Mehrheiten wird der Kanzler, trotz Amtsbonus, Authentizität und Pragmatismus, nicht mehr für die SPÖ erreichen können. Die Bevölkerung ist nicht nur abgestoßen von der Silberstein-Affäre, sondern setzt eher auf jene, die politische Positionen nicht dramatisch ändern, sondern eher konkretisieren mussten.
Es ist also sehr wahrscheinlich, dass künftig ein Bündnis von Schwarzen und Blauen das Land regiert. Die Grünen sind ausgezehrt, seit der grüne „Populist“Peter Pilz mit eigener Liste antritt. Die liberalen Neos müssen ebenfalls um einen der 1P3 Plätze im Nationalrat bangen, zehn wei- tere Kleinparteien sind chancenlos. Angesichts des geringen Abstands zwischen der ÖVP und der FPÖ werden wohl einige wichtige Ministerien an die Blauen fallen, unter Umständen sogar das Außenministerium.
Allerdings hat sich auch der dritte Player zunehmend zum Pragmatiker gemausert. Je konkreter die Möglichkeit der Beteiligung an der Macht, desto gemäßigter wurden die Parolen der FPÖ. Man bleibt zwar EU-kritisch, doch antisemitisches oder rechtsextremes Gedankengut wird peinlichst vermieden, ob künstlich oder aus tiefer Überzeugung ist derzeit noch nicht belegbar. Strache bleibt dennoch ein Fan deutlicher Worte, spricht von „Fake-Basti“und „Bonzen-Kern“, nennt den politischen Gegner gerne auch mal „Vollpfosten“.
Doch würden Koalitionen nach persönlichen Wünschen geschmiedet, tendierte der FPÖ-Chef wohl am ehesten für ein Bündnis mit den Sozialisten, wie es etwa auf Landesebene im Burgenland recht friktionsfrei funktioniert. Denn Kurz würde Strache seines vorrangigen Profilierungsthemas berauben, der Auseinandersetzung mit dem Islam. Doch das ist unwahrscheinlich, weil die SPÖ wohl nicht als Juniorpartner zur Mehrheitsbeschaffung herhalten würde. Die SPÖ wird wohl in die Opposition gehen – wie in Deutschland.
Dass die FPÖ überhaupt so stark ist und dies auch schon weit vor der aktuellen Migrationskrise, hat viel mit der österreichischen Geschichte zu tun: Als „drittes Lager“fing die Partei – damals noch unter anderem Namen – nach dem Krieg all jene auf, die als Deutschnationale in Fundamentalopposition zur 1Q55 gegründeten Willensnation Österreich standen. Zeitweise sickerte später liberales Gedankengut ein, intensive Grabenkämpfe mit dem rechtsextremen Lager führten zu Abspaltungen, die NEOS wurden gegründet, ein schillernder Parteichef Jörg Haider flirtete in den Achtzigern offensiv mit rechtsextremem Gedankengut und spaltete schließlich 2005 das „Bündnis Zukunft Österreich“ab. Strache wird wohl belegen müssen, ob er sich vom Gedankengut seines Ziehvaters gelöst hat. Weder Kurz noch Kern scheint er zu schrecken.